„Slow Horses“ ist die beste Krimi-Serie, die es derzeit gibt. Und die gute Nachricht: Sie wird von Staffel zu Staffel besser. Zu sehen auf AppleTV+ mit einem überragenden Gary Oldman als abgehalftertem MI5-Geheimagenten in der Hauptrolle.
Das fängt schon gut an: „Surrounded by losers, misfits and boozers“, singt Mick Jagger in „Strange Game“, dem Intro zu „Slow Horses“. Wie recht er hat. Dieser Spionagethriller der Extraklasse ist vollgepackt mit Verlierern, Sonderlingen und Säufern. Und die Rede ist nicht etwa von den Gangstern, Kriminellen und Landesverrätern – sondern von den Agenten des britischen Inlandgeheimdienstes MI5. Allen voran Jackson Lamb (Gary Oldman). Jackson wurde schon vor längerer Zeit ins Slough House strafversetzt, wo er mit einer Handvoll ebenfalls gescheiterter MI5-Agenten – den Slow Horses – zu ultra-dröger und sinnloser Büroarbeit verdonnert wurde. Doch bald stellt sich heraus, dass die Horses auf ihre unnachahmliche Art weitaus bessere Geheimagenten sind, als es die MI5-Zentrale sich je hätte träumen lassen.
Gescheiterte Agenten in Bestform
Die Vorlage zu diesem – nach drei Staffeln – bereits zur Kult-Serie avancierten Spionage-Thriller (alle Folgen kann man sich bei AppleTV+ ansehen), lieferte der britische Bestseller-Autor Mick Herron. „Mick hat bereits neun ‚Slow Horses‘-Krimis geschrieben. Gerade drehen wir die vierte Staffel. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als Jackson noch viele Jahre zu spielen, so lange, bis AppleTV+ den Stecker zieht“, meint Oldman begeistert.
Wir begegnen Jackson Lamb zum ersten Mal in seinem Büro im Slough House, wo er auf einem abgeranzten Sofa seinen Rausch ausschläft. Auf dem Tisch eine halbleere Whisky-Flasche, unappetitliche Überreste von diversem Fast-Food und ein von Zigarettenstummeln überquellender Aschenbecher. Seine Füße ruhen auf der Sofalehne, in den Socken zwei Löcher. Und plötzlich: ein Furz, der Jackson aus seinem Schlummer reißt. Er schaut leicht benebelt um sich und steckt sich erst einmal eine Fluppe an. Selten wurde eine Hauptfigur so unattraktiv eingeführt wie Jackson Lamb. Nichts könnte weiter entfernt sein vom Image eines glattrasierten und geschniegelten Top-Agenten à la James Bond. Und niemand ist weniger vertrauenerweckend als dieser versoffene Proll-Profiler.
Die Lieblingszielscheibe von Jackson Lamb ist der junge MI5-Agent River Cartwright (Jack Lowden), den er gerne mit üblen Beleidigungen und ätzendem Spott verhöhnt. Denn Cartwright versiebt zu Beginn der ersten Staffel eine verdeckte Trainingsübung am Flughafen, löst eine mittlere Katastrophe aus, wird deshalb degradiert und sofort ins Slough House abgeschoben. Doch er muss nicht lange in der Agenten-Vorhölle darben. Zusammen mit den anderen Horses wird er unvermittelt in einen neuen, hochgefährlichen Einsatz hineingezogen. Ein britisch-pakistanischer Student wird nämlich von der rechtsradikalen Gruppe namens „Sons of Albion“ gekidnappt. Ein tödliches Katz-und Maus-Spiel nimmt seinen Lauf …
In der zweiten Staffel wirft der Kalte Krieg noch einmal lange Schatten. Jackson und seine Mannschaft müssen einen mysteriösen Mordfall aufklären und stoßen dabei auf eine Zelle russischer Schläfer-Agenten, die sich vermutlich sogar im MI5 eingenistet haben. Und dann fliegt auch noch eine Cessna mit einer schweren Bombenfracht an Bord auf die Londoner City zu …
Gary Oldman als Herzstück der Serie
Zu Beginn der dritten Staffel wird in Istanbul eine MI5-Agentin während eines Einsatzes brutal ermordet. Es entsteht ein schlimmer Verdacht. Wurde der Mord etwa aus der Führungszentrale des MI5 angeordnet? Um das herauszufinden, verschafft sich River mit ein paar Verbündeten Zutritt zu einem Hochsicherheitstrakt, in dem hochbrisante MI5-Akten gelagert werden. Wird er die kompromittierende Akte finden, die zu den wahren Tätern führt? Und wird er das verrückte Husarenstück überleben? Das MI5-Rollkommando ist jedenfalls schon im Anmarsch …
Bei aller Spannung, den spektakulären Action-Sequenzen und der stimmigen Charakterzeichnung der Protagonisten – das Herzstück der Serie ist Gary Oldman, der diesen „George Smiley fürs Grobe“ so wunderbar relaxt und völlig uneitel spielt. Wie er zum Beispiel – während er mit River in einem chinesischen Restaurant einen Mordfall erörtert – genüsslich schlabbernd eine Schüssel Nudeln vertilgt, so etwas hat man noch nie gesehen. (Laut Oldman musste er, bis diese Szene endlich im Kasten war, ganze 17(!) Schüsseln Nudeln essen.) Oder wie er mit der MI5-Chefin, gespielt von einer sehr reservierten Kristin Scott Thomas, die Themse entlang spaziert, ein Eis schleckt und ihr dann anbietet mit zu schlecken – ganz großes Kino. Als der Requisiteur ihn vor den Dreharbeiten zur dritten Staffel fragte, ob er nicht mal eine neue Krawatte oder einen neuen Mantel haben wolle, den er ganz nach Colombo-Art fast ständig anhat, antwortete Oldman: „Spinnst du? Mach den alten nur etwas fettiger!“
Die Serie „Slow Horses“ ist eine höchst gelungene Mischung: Sie bietet ein unterhaltsames, absolut unorthodoxes Spionage-Drama, ist auf erfrischende Weise politisch unkorrekt und hat dabei einen hohen moralischen Anspruch. Gleichzeitig ist sie ein mitreißender Action-Thriller, in dem heimtückische Attentate, wilde Schießereien und verheerende Explosionen keine Wünsche offen lassen. Als Zuschauer reiht man sich also begeistert in die große Fan-Gemeinde ein.