Im Saarland als Vergleichsgröße liegt ein ungeheures Potenzial
Wenn nicht gerade ein Fußballrasen wegen Wasserpfützen unbespielbar ist, eine Scheckübergabe in Milliardenhöhe in Szene gesetzt wird oder ein vermeintlicher Tornado über eine kleine Gemeinde hinwegfegt, wird das Saarland im Rest der Republik kaum wahrgenommen. Viele der mehr als 84,6 Millionen Bundesbürger kennen das kleinste Flächenland nicht, geschweige denn wissen sie, wo seine geografische Lage ist. Als ich vor gut 20 Jahren als gebürtiger Berliner in die saarländische Landeshauptstadt zog, war das Bundesland für mich ein unbekanntes Gebiet im äußersten Südwesten Deutschlands.
Vor langer Zeit schon ist mir eines aufgefallen: Immer wieder muss das Saarland in Medienberichten als Vergleichsgröße herhalten. Mancher mag angenehm überrascht reagieren, dass sein Heimatbundesland in einem Kontext aufploppt, in dem er nicht im Geringsten damit gerechnet hätte. Doch unschön finde ich, dass das Saarland meistens in den Nachrichten vorkommt, in denen die Rede ist von brennenden Wäldern, Gegenden, in denen die Artenvielfalt bedroht ist und von in Ozeanen treibenden Eisbergen.
Die Fläche des Saarlandes misst exakt 2.569,69 Quadratkilometer. Diese Zahl ist allerdings so abstrakt, dass sich kaum einer vorstellen kann, wie groß das in Wirklichkeit ist. Warum man allerdings nicht so und so viele Fußballfelder, die Insel Mallorca oder den Kosovo als Referenzgröße nimmt, erschließt sich mir nicht.
Erst kürzlich wurde das Saarland wieder herangezogen, um eine Relation zu verdeutlichen. Grönland hat seit 1985 eine Eismasse von der Größe des Saarlandes verloren, hieß es. Das Schmelzen der Eisschilde der Insel kann wohl niemand aufhalten – selbst dann nicht, wenn die Saarländerinnen und Saarländer, die übrigens Spitzenreiter in Sachen Auto-Dichte sind, von heute auf morgen vom Pkw auf öffentlichen Nahverkehr umsteigen würden.
Noch ein Beispiel gefällig? Fünf Jahre ist es her, dass eine deutsche Tageszeitung vermeldete, dass 1960 in Äthiopien 22 Millionen Menschen lebten und sich die Einwohnerzahl mehr als verfünffacht habe – ganz anders als die Bevölkerung des Saarlandes, die einen Seltenheitsstatus hat, da sie unaufhaltsam schrumpft. In fast sechs Jahrzehnten habe der Staat bereits 80 Prozent seiner Wälder verloren. Das jedoch bedrohe den Naturschutz, vor allem in Höhen zwischen 1.500 und 4.400 Metern, wo auf einer Fläche so groß wie das Saarland seltene Arten wie der Äthiopische Wolf vorkommen.
Selbst wenn er etwas hinkt, darf das kleinste Flächenland nicht den Vergleich scheuen. Als nämlich vor längerer Zeit in der argentinischen Pampa – ja, die wird wirklich so genannt und ist mindestens so schön wie manche Region im Saarland – das Pierre-Auger-Observatorium mit 27 Teleskopen und 1.660 Wassertanks seine Arbeit aufnahm, fiel den deutschsprachigen Verfassern der Pressemitteilung nichts Besseres ein, als einzuräumen, dass die Gesamtfläche des Beobachtungsfelds die Größe des Saarlandes überschreitet. Nanu? War denn etwa der Kreis Uckermark mit rund 3.000 Quadratkilometern Fläche nicht passender?
In den unzähligen Größenvergleichen mit dem Saarland steckt Potenzial, um den Ruf des oft vernachlässigten und vergessenen Bundeslands in der Öffentlichkeit zu verbessern. Die nächste Landesregierung sollte ein Ministerium für Tourismus und Außenwirkung einrichten.
Der längst abgedroschene Saarland-Claim „Großes entsteht immer Kleinen“ sollte ersetzt werden durch einen selbstbewussteren. Wie wär’s mit dem Slogan „Das Saarland als das Maß (fast) aller Dinge“? Die Bevölkerung an der Saar bräuchte sich nicht länger als vom Rest der Republik abgehängte Provinz fühlen und könnte zu Recht stolz sein auf das robuste Vergleichsmaß, in dem sich Zähheit und Ausdauervermögen widerspiegeln.
Statt sich allein über schnöde Erfolgsmeldungen wie das Weiterkommen eines Drittligisten im DFB-Pokal, milliardenschwere Geldzuwendungen vom Bund und das historische Stimmergebnis der Regierungspartei zu freuen, könnten sich die Saarländerinnen und Saarländer rückbesinnen auf die wahre Größe ihres Landes.