Ein Medien-Tsunami wie noch nie fegt über den Red Bull-Rennstall hinweg. Der unrühmliche Sex-Skandal um Teamchef Christian Horner hält die Formel 1 in Atem. Sein Rausschmiss vor dem dritten Saisonlauf am Sonntag in Australien bahnt sich an. FORUM versucht Licht in den Dschungel eines hochexplosiven Machtgerangels im Weltmeister-Team zu bringen.

Im Bullen-Stall rumort es. Es brodelt, fackelt und kracht. Es soll ausgemistet werden. Es „stinkt zum Himmel“. Dabei läuft es sportlich optimal. Zwei Saisonrennen, zwei Doppelsiege durch Max Verstappen und Stallkollege Sergio Perez. Doch die Ergebnisse jucken kaum noch jemanden, sie verkommen zu einer Randnotiz. Trotz dieser beeindruckenden Erfolge ist die Stimmung im einstigen Vorzeigerennstall tief im Keller. Red Bull ist ein Pulverfass. Ein Rennstall, der sich selbst zerlegt. Ein hochexplosiver Machtkampf tobt. Er stellt das Team seit Wochen in einem brisanten, konfliktgeladenen Hauskrach vor eine Zerreißprobe. Das Team ist gespalten. In zwei Lager. Der „Stall“ kommt nicht zur Ruhe. Immer wieder gießt irgendjemand Öl ins Feuer. Heckenschützen versorgen die Presse regelmäßig mit neuer Munition. Ständig werden neue Eskalationsstufen gezündet. Und plötzlich platzt die Bombe und geht hoch. Und dann geht alles ganz schnell.
Hauptdarsteller in diesem Skandal-Krimi ist Bullen-Chef Christian Horner (50). Schalten wir hoch in den aktuellen Schnell(durch)gang, in die Kurzform, und bremsen später runter ins chronologische Detail. Horner wurde von einer Mitarbeiterin aus dem Red Bull-Konzern vorgeworfen, er hätte sich ihr gegenüber unangemessen, grenzüberschreitend verhalten. Das Team gab eine unabhängige Untersuchung in Auftrag, das Horner von der Anschuldigung freisprach. Der dienstälteste Teamchef (seit 2005) durfte im Amt bleiben. Damit war für Horner der Fall erledigt. Doch es kam anders.
Mitarbeiterin freigestellt

Der thailändische Red Bull-Mehrheitseigner, der Horner immer Rückendeckung gab, ist auf die österreichische Seite mit Red Bull-Berater Dr. Helmut Marko und Bullen-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff „übergelaufen“. Diese Fraktion hat den Erfolgsmenschen, der die totale Macht und komplette Kontrolle im Rennstall an sich reißen wollte, „im Regen“ stehen lassen. Laut Informationen des Branchendienstes F1-Insider muss nun Horner das Team verlassen. Demnach soll er beim Grand Prix am Sonntag in Australien (7 Uhr Sky) nicht mehr am Kommandostand stehen.
Pikant: In einer internen Untersuchung wurden die Anschuldigungen der Mitarbeiterin, die den Skandal ins Rollen gebracht hat, zurückgewiesen. Die Frau, bei der es sich um die persönliche Assistentin Horner‘s handeln soll, wurde in der Woche vor dem Saudi-Grand-Prix bei voller Bezahlung freigestellt. Das berichteten die BBC, der TV-Sender Sky Sports und Agenturen übereinstimmend. Laut BBC soll der Frau mitgeteilt worden sein, sie habe sich unehrlich verhalten, eine Falschaussage gemacht. Ihren Dienstlaptop und ihr Diensthandy musste sie laut BILD abgeben. Offenbar behalte sich die besagte Frau das Recht vor, Berufung gegen die Entscheidung ihres Arbeitgebers einzulegen und eventuell sogar eine Zivilklage gegen den Teamchef einreichen.

Soweit die Kurzfassung in der Horner-Gate-Affäre.
Steigen wir jetzt chronologisch ins Detail dieses hollywoodreifen Red-Bull-Dramas ein. Eine quälende, unappetitliche Affäre ist der Ausgangspunkt. Die tragende Rolle in diesem öffentlichen Skandal ist Red Bull-Teamchef Christian Horner. Ihm wird vorgeworfen, sich gegenüber einer ihm unterstellten Mitarbeiterin unangemessen verhalten zu haben. Diesen Vorwurf ließ Horner, der seit Anfang Februar weltweit in den Schlagzeilen steht, nicht auf sich sitzen. Der 50-Jährige, seit 2015 mit dem Ex-Spice-Girl Geri Halliwell (51) verheiratet, bestritt jegliches Fehlverhalten und beteuerte stets seine Unschuld. Ein externer Fachanwalt einer britischen Kanzlei wurde von der Red-Bull-Zentrale in Salzburg beauftragt, den „Fall Horner“ zu untersuchen. Der Beschuldigte wurde am 9. Februar an einem unbekannten Ort in London einen Tag lang verhört. Die niederländische Tageszeitung „De Telegraaf“ veröffentlicht erst Einzelheiten der Vorwürfe und berichtet, dass eine mögliche sexuelle Nötigung Gegenstand der Ermittlungen ist.
Freispruch – und dann?
Drei Wochen später, am 28. Februar, verkündet Red Bull das Untersuchungsergebnis. Christian Horner wird freigesprochen. „Red Bull kann bestätigen, dass die Beschwerde abgewiesen wurde, die beschwerende Partei hat das Recht Berufung einzulegen“, heißt es in der dürren Pressemitteilung. Und: „Red Bull ist überzeugt, dass die Untersuchung fair, gründlich und unbefangen war.“ Aber genau daran wird gezweifelt und fehlende Transparenz bemängelt. Niemand bekam den Untersuchungsbericht des Rechtsanwalts zusehen, nicht einmal die Red Bull-Zentrale, die die Kanzlei beauftragt hat. Nur Horner kennt Inhalt und Namen des Anwalts. Horner verrät: „Es handelte sich um einen der namhaftesten britischen Corona-Anwälte.“ Der Anwalt beruft sich auf den Schutz der Privatsphäre. Wie die „Daily Mail“ berichtet, soll Ehefrau Geri Halliwell nach dem Freispruch „erleichtert und ermutigt“ gewesen sein. Die Anschuldigungen gegen ihren Ehemann hätten sie „gedemütigt“. Es sei das erste Mal in acht Jahren, dass ihre Ehe auf der Kippe stehe. Horner soll die Vorwürfe gegen ihn auch gegenüber seiner Frau vehement abgestritten haben.

Etwa 14 Tage vor seinem Freispruch berichtete „De Telegraaf“, Horner soll der Mitarbeiterin eine hohe Abfindung von 750.000 Euro geboten haben, die Red Bull nach RTL-Informationen auf eine Million erhöht hat, um die Angelegenheit möglichst unter Verschluss zu halten. In der RTL-Sendung „Exclusiv - Das Star-Magazin“ wurde die Frage aufgeworfen „Warum muss jetzt die Frau ihre Sachen packen und nicht etwa der Mann von Spice Girl Geri Halliwell? Liegt es vielleicht an einem millionenschweren Schweigegeld? Die Beschwerde mag vom Tisch sein, aber genau hier wird die Sache rätselhaft: Ist die Mitarbeiterin, die die Sexvorwürfe vorgebracht hat, dafür gefeuert worden? Oder wurde ihr ein Angebot gemacht, das sie nicht ablehnen konnte?“ Für die beiden Autorinnen würde der Jobverlust der Mitarbeiterin einen sehr bitteren Beigeschmack hinterlassen. Und zwar den, dass ein mögliches Opfer sexueller Belästigung quasi „entsorgt wird“.

Obwohl der Beschuldigte freigesprochen wurde, kam er kurz danach erneut in die Bredouille. Die Heckenschützen hatten nachgelegt. Anzügliche Textnachrichten sind an die Öffentlichkeit geraten, die Horner stark belasten. Ein anonymer Absender verschickte eine pikante, anonyme E-Mail an die Medien, Teamchefs und F1-Bosse. Die Mail soll Auszüge aus der privaten Korrespondenz zwischen Horner und der besagten Mitarbeiterin enthalten, die ihn erneut unter Druck bringen und die Ergebnisse der Untersuchung damit öffentlich in Frage stellen – und seine Ehe vor eine Zerreißprobe. Er soll die Mitarbeiterin in persönlichen Nachrichten massiv unter Druck gesetzt und dabei Grenzen überschritten haben.
RTL liegt die E-Mail des anonymen Absenders ebenfalls vor. In den veröffentlichten Chatverläufen soll Horner seine Mitarbeiterin unter anderem gefragt haben, was sie drunter tragen würde und dass er ihr „Lachen“ und ihren „Arsch“ vermisse. Zudem soll er sie darum gebeten haben, seine Nachrichten von ihrem Handy zu löschen, um ihn und sie zu schützen. Für seine Frau Geri muss das alles zu viel gewesen sein: Laut britischen Medien soll die Ex-Sängerin der Popgruppe Spice Girls einen Nervenzusammenbruch erlitten haben.
Geräuschloser Abschied geplant?
Der Vater von drei Kindern, ein gemeinsamer Sohn (7) geht aus der Ehe mit seiner Frau Geri hervor, soll die anzüglichen Sexbotschaften über einen längeren Zeitraum verschickt haben. Red Bull hätte schon länger Kenntnisse über die Vorwürfe der Frau gehabt und intensiv über Horner beraten. Laut dem Magazin „Business F1“ soll die Konzern-Mitarbeiterin am Rande eines Rennwochenendes zusammengebrochen sein und Kollegen weinend vom Verhalten des Teamchefs berichtet haben. Auch ein interner Red-Bull-Plan sickerte durch: Laut dem Portal „motorsport-total.com“ hätte das Team einen Rücktritt Horners offiziell mit „gesundheitlichen Problemen“ begründet. So wäre sein Abschied halbwegs geräuschlos von der großen F1-Bühne gegangen. Doch Horner lehnte dieses „Angebot“ ab. Der Erfolgsmacher und Machtmensch klebt an seinem Posten. Dabei wäre der österreichische Konzern und dessen deutscher Geschäftsführer Oliver Mintzlaff (48), ehemals Vorstandsvorsitzender des Bundesliga-Fußballklubs RB Leipzig, den Teamchef gerne losgeworden. Horner, die „Persona non grata“, wird aber weiter gestützt von den thailändischen Red Bull-Mehrheitseignern, der Familie Chalerm Yoovidhya. Sie hält 51 Prozent der Anteile an Red Bull, Mark Mateschitz (31), Sohn des im Oktober 2022 verstorbenen Firmengründers Dietrich Mateschitz, ist mit 49 Prozent beteiligt. Familienoberhaupt Chalerm Yoovidhya (73) ist der starke Mann und erklärter Horner-Fan. Der Skandal um den Teamchef hat einen internen Red Bull-Machtkampf entzündet und inzwischen schon eine Schlammschlacht ausgelöst, bei dem es auch darum geht, wer künftig den Takt vorgibt.

Das Verhältnis zwischen Horner und Sportchef Dr. Helmut Marko ist seit Längerem angespannt. Der Doktor der Rechtswissenschaft hat den Rennstall mit Horner 2005 aufgebaut und war bei allen 115 Siegen dabei. Der 80-jährige Österreicher aus Graz war bis zum Tod des Rennstall-Gründers Dietrich Mateschitz dessen engster Vertrauter. Vor allem aber hält er seine schützende Hand über Superstar Max Verstappen und ist dessen Vertrauter. Die beiden sind eine verschworene und eingeschworene Gemeinschaft. Das kommt bei Horner nicht gut an, der Marko schon länger „entsorgen“ wollte, um eigenständig den Hammer zu schwingen und zu dirigieren. Horner, lange mächtigster Mann im Team kann bei seinem Egotrip nur schwer ertragen, dass Red Bull-Urgestein Marko mittlerweile mit ihm gleichgestellt ist.
Vor dem Grand Prix in Saudi-Arabien stand Marko auf der Abschussliste. Der Doktor stand (vor allem bei Horner) unter Verdacht, Informationen zu dem Sex-Skandal Medien durchgesteckt zu haben – was er aber heftig und deftig bestritt. Marko selbst wusste nicht, ob er nach dem Rennen in Dschidda noch als Berater in Amt und Würden sein wird. Nachdem Spekulationen um eine baldige Ablösung Markos im Netz kursierten, hatte der Österreicher ein klärendes Gespräch mit Geschäftsführer Mintzlaff geführt, aus dem Marko gestärkt aus der Causa Honda und dem Machtkampf mit dem Teamchef hervorgeht. „Ja, ich mache weiter“, stellte Marko danach gegenüber „Sky“ klar. Bei dieser Krisensitzung soll Mehrheitseigner Yoovidhya dem Rat der österreichischen Fraktion gefolgt sein und sich auf deren Seite geschlagen haben. Ausschlaggebend für den Sinneswandel des Thailänders sollen auch wirtschaftliche Gründe sein.
„Helmut muss bleiben“

Markos Verbündeter Verstappen hatte sich öffentlich für einen Verbleib des Beraters stark gemacht. „Helmut muss bleiben, das ist auch für mich ganz wichtig. Ohne ihn im Team, glaube ich, wird es ein Problem geben, auch für mich selbst“, so der Niederländer. Meine Loyalität zu ihm ist sehr groß, das habe ich jedem im Team gesagt.“ Marko fand diese Worte „sehr beeindruckend, da bin ich ihm auch sehr dankbar“, sagte der Doktor zur Unterstützung von Verstappen. „Er ist einer der wenigen hier, der Charakterstärke hat und Loyalität zeigt“, lobte der Ösi den Triple-Champion, dessen Karriere er schon im Red-Bull-Nachwuchsteam gefördert hatte. Der emotionale und impulsive Vater von Max, Jos Verstappen, poltert und haut verbal schon seit Langem auf Horner drauf. Der „Daily Mail“ (England) erklärte er, dass Horner untragbar geworden sei. „Solange er in seiner Position bleibt, wird es zu Spannungen kommen. Das Team läuft Gefahr, auseinandergerissen zu werden. Er sieht sich als Opfer, ist aber Täter.“ Sky-Experte Ralf Schumacher hat eine klare Meinung zur Causa und glaubt nicht, dass Horner die Sache übersteht und fordert: „Er soll zurücktreten. Bei Red Bull ist zu viel zerbrochen, zu viel kaputtgegangen. Es passiert noch viel im Hintergrund. Es werden noch einige Dinge kommen, das Fahrerlager spricht darüber.“ Auch Red Bull-intern habe Horner „inzwischen eine ganz, ganz schwierige Position“, analysierte der Ex-F1-Pilot. „Es kann ja auch nicht in Horners Sinne sein, dass ein so erfolgreiches Team jetzt wegen einer Person zerbricht“, so der 48-Jährige. Starker Tobak!
Dass Max im Bullen-Machtkampf an der Seite seines PS-Ziehvaters steht, machte er jüngst noch mal deutlich: Verstappen cancelte seinen geplanten Dschidda-Rückflug mit Horner und buchte auf den Flieger von Dr. Marko um. Sein Chef Horner musste die Rückreise allein mit Ehefrau Geri Halliwell antreten. Sie war beim Auftakt in Bahrain und zuletzt beim Saudi-GP händchenhaltend und mit liebevollen Blicken in die Kameras gerichtet an seiner Seite. Improvisierte Show? Aber: Gerüchte, dass sie ihren Ehemann aus dem gemeinsamen Haus geworfen haben soll, halten sich aber hartnäckig. Im Bullen-Stall kann ein Vulkan ausbrechen, es gärt und brodelt schon gewaltig.