Schauspieler Michael Rotschopf wurde durch eine Telenovela bekannt, sein künstlerisches Schaffen reicht aber weiter. Vom Wiener Burgtheater aus führten ihn Engagements in die ganze Welt. Im Interview erzählt er von seinem bevorstehenden Auftritt in Saarbrücken, wie Kunst Zeit überwindet und was er an seinem Hund Wanja schätzt.
Herr Rotschopf, Sie sind ein vielseitiger Künstler. Man sieht Sie immer wieder auf der Theaterbühne, kürzlich auch mit Musik als Mackie Messer. Welche Qualität hat für Sie die Kombination von Schauspiel mit Musik und Gesang?
Mein Debüt war Prinz Paris in „Die schöne Helena“ von Offenbach bei den Wiener Festwochen, noch während meiner Ausbildungszeit am Reinhardt Seminar in Wien. Das hat mir Schwierigkeiten eingebracht bei einem Teil der Lehrerschaft, die bis zur Verachtung reichten. Ich dachte mir: großartige Musik, tolle Kollegen, ein verrückter englischer Regisseur – und war nicht mehr zu halten. Zoltán Peskó hat mich dann geholt für das Zimmermann-Requiem (als Sprecher in „Requiem für einen jungen Dichter“ von Bernd Alois Zimmermann, Anm. d. Red.), das ich seitdem mit Gielen, Kontarsky und Eötvös in New York, Paris, Edinburgh, Amsterdam und überall gemacht habe. Die „Ekklesiatische Aktion“ von Zimmermann dann mit Brandauer und Hengelbrock, mit Harding und Gergijew, Rehberg und Bierbichler. Die Arbeit mit Musik war für mich immer, wie einen Aufzug zu nehmen in einem Wolkenkratzer und mich dort auf dem Dach von Winden umtosen zu lassen.
Bei der Veranstaltung der Musikfestspiele Saar „Ives meets Schönberg“ haben Sie wieder einen ganz speziellen Part, nämlich den des Sprechers in der „Ode an Napoleon Buonaparte“, einem Werk für Streicher, Klavier und Sprecher von Arnold Schönberg, welches wiederum auf einem Gedicht von Lord Byron basiert, in dem dieser nicht gerade schmeichelhaft mit Napoleon Bonaparte umgeht.
Die „Ode an Napoleon Buonaparte“ nach der Dichtung von Lord Byron ist vielleicht mein größter Sturm bis jetzt. Mein Körper versucht gerade, das in Rhythmus und Ausdruck extrem anspruchsvolle Werk in sich aufzunehmen, um es als Performance wiederzugeben. Meines Wissens hat das hat noch niemand versucht. Und dabei tritt die wahre Einflussnahme der Musik auf die brutale Abrechnung von Byron zutage.
Was hat der Komponist mit dem Text von Lord Byron gemacht?
Schönberg phrasiert um, legt Emphasen auf scheinbar unbedeutende Teile des Textes und macht aus einem wilden Pamphlet gegen Napoleon und den Rückfall Europas nach dem Age of Enlightenment in Reaktion und Diktatur, ein verzweifelt höhnisches Gebet an die Zivilisation. Wie sehr im Sinne Byrons das ist, kann man gar nicht in Worte fassen. Wie sehr es jetzt nottut, kann man sich denken. Byron und Schönberg lassen mich gerade wieder an die Kunst als das Zeiten durchdringendste Element unseres Menschseins glauben.
Was hat Sie an diesem Projekt gereizt?
Daran reizte mich, seit einem Jahr mit dem Gedicht von Byron umzugehen, bis ich es auswendig kann und es in seiner Bedeutung von meinem Geist verstanden wird und von meinem Körper empfunden, um es jetzt von der Komposition von Schönberg total durcheinander wirbeln zu lassen und ihm eine neue Form zu schenken. Ich habe vielleicht bei keiner anderen künstlerischen Auseinandersetzung so viele Federn gelassen, so viel Respekt bekommen vor dem Wort, dem Klang, dem künstlerischen Wollen und der Ernsthaftigkeit bis zur Euphorie.
Als junger Mann wurden Sie im Arnold-Schönberg-Chor in Wien ausgebildet. Wie präsent war Arnold Schönberg denn damals, und was verbinden Sie heute mit seiner Musik und seinen Texten?
Ich wurde zu diesem Schönberg-Chor – einem Körper von so unglaublichen musikalischen Einzeltalenten – dazu geholt für einen musikalischen Sommer in Salzburg bei den Festspielen und in Luzern, um mit Harnoncourt, Salonen, Abbado, Sellars arbeiten zu dürfen. Nach wie vor eine meiner wichtigsten Lektionen im Umgang mit Kunst. Ich habe da so viel gelernt, was mich mein Leben lang begleitet. Beethoven, Ravel, Messiaen standen auf dem Aufführungsplan, aber kein Schönberg. Die „Fünf Klavierstücke op. 23“ von Schönberg gehören aber für mich mit zum Aufregendsten in der Musik. Ich hoffe, noch irgendwann den „Survivor From Warsaw“ zu machen und den „Modernen Psalm“, aber nicht bald. Seine Werke gehen sehr an die Substanz.
Und Charles Ives – welchen Kontakt hatten Sie bisher zu seiner Musik?
Gar keinen. Das ist absolut neu für mich und ich lache sehr viel, wenn ich da zuhöre, was er komponiert.
Arnold Schönberg und Charles Ives feiern in diesem Jahr 175. Geburtstag. Als Schauspieler vertiefen Sie sich in Literatur, die teilweise zeitgenössisch, teilweise aber viele Hundert Jahre alt ist. Haben Sie eine Lieblingsepoche oder ist diese Kategorisierung bei zeitloser Kunst egal?
Eine Cellistin hat mir nach einem Konzert, bei dem ich mittelalterliche Dichter gelesen habe, gesagt, je älter die Texte wären, desto moderner empfände man sie. Es gibt keine Epoche, die meine wäre in der Kunst, ich habe schon so viele Überraschungen erlebt, die mich davon zurückhalten, etwas für besonders geeignet für mich zu halten. Kunst ist nie zeitlos, aber sie durchdringt die Zeit. Rameau, mein Lieblingskomponist, sticht mir direkt ins Herz mit seinen Tönen, Shakespeare, Milton, Byron, Shelley, de Sade … vielleicht ist meine Lieblingsepoche die Epoche der Aufdeckung der Lüge … Und die zieht sich ja durch alle Zeiten. Von Sokrates bis heute.
Es ist sehr schön, Sie in Saarbrücken begrüßen zu dürfen. Sie stammen aus Österreich, leben aber schon lange in Berlin. Welche Verbindung hatten Sie bisher zum Saarland am anderen Ende Deutschlands?
Ich habe einmal einen „Tatort“ gedreht in Saarbrücken und einer meiner besten Freunde stammt aus Saarbrücken. Er lebt inzwischen auch in Berlin. Ich habe ihn einmal dort besucht, der hat mich am Bahnhof abgeholt, wir sind in einem unglaublichen Lokal eingekehrt und haben zwölf Stunden lang gegessen, Crémant getrunken, geraucht, geredet, gelacht … Dann habe ich mich wieder in den Zug gesetzt und bin weggefahren. Ein nachhaltiges Erlebnis, an das ich mich eigentlich nicht mehr erinnern kann.
In einem Interview sagten Sie einmal, dass Ihre berufliche Freiheit Ihnen sehr wichtig ist. Nach welchen Kriterien wählen Sie aus, welche Engagements Sie annehmen?
Nach Anspruch, nach den Menschen, mit denen ich sie machen darf, nach der Wirkung, die das Kunstwerk auf mich macht, oder nach dem Unterhaltungswert und manchmal auch nach meinem Kontostand.
Man sieht Sie oft in Begleitung Ihres Hundes Wanja. Wir hoffen, es geht ihm gut! Hunde sind ja oft die besseren Menschen. Was bedeutet die Gesellschaft eines Hundes für Sie?
Auf Dauer ist die Gesellschaft eines Hundes die lohnendste. Ich habe so viel mit diesem Tier gelacht, bin in so viele Situationen gekommen, die ich sonst nie erlebt hätte, habe Freundschaften mit Rehen und Igeln schließen dürfen und bin Wanja so dankbar für seine Abenteuerlust und seine konzentrierte Ruhe. Er ist jetzt 16 Jahre alt. Ich hoffe, das geht noch eine Zeit. Es gab Zivilisationen, in denen man Hunde verehrt hat. Diese Anbetung kann ich, im Gegensatz zu allen monotheistisch-amoralischen Religionen, sehr gut verstehen.