Die israelische Sopranistin Liron Givoni befindet sich am Anfang ihrer Karriere, als die Hamas ihre Heimat angreift. Die Musik ist für sie nicht nur ein Mittel zur Auseinandersetzung mit dem Schrecken, sondern sie sieht in den Fähigkeiten von Kulturschaffenden auch Möglichkeiten für ein friedlicheres Miteinander.
Für einen Außenstehenden mag alles alltäglich scheinen in Tel Aviv. Die Geschäfte sind geöffnet, Autos fahren und überall sind Menschen. Wie viele andere lebt auch Sopranistin Liron Givoni in einem Alltag, der nur auf den ersten Blick normal ist, wie die Sängerin beschreibt: „Tatsächlich haben selbst wir, die wir diese Realität leben, noch nicht erkannt, wie sehr sich alles im Schatten des Traumas vom 7. Oktober verändert hat. Das ständige Bedürfnis zu wissen, wo der nächste Bombenschutzraum ist, die Trauer und das Leid, die Angst um das Leben und Wohlergehen nicht nur von uns und unseren nächsten Angehörigen, sondern vor allem um die 134 Geiseln, die immer noch im Gazastreifen sind.“
Givoni, die 2020 ihr Studium an der Jerusalem Academy of Music and Dance abschloss, rutschte im Jahr 2023 kurz nach einem der schönsten Tage ihres Lebens in den kollektiven Albtraum, der noch immer andauert. Nach ihrer Hochzeit im September reiste sie in die Flitterwochen, aus denen sie am 4. Oktober zurückkam. Einige Tage lang schien die Welt in Ordnung. Dann kamen die Angriffe und ihr Ehemann wurde sofort zu seinem Reservistendienst als Sanitätsoffizier eingezogen. Dass er Anfang Februar nach Monaten zurückkehrte, erlebte Givoni als eine enorme Erleichterung. „Aber es lässt mich nicht vergessen, dass der Krieg nicht vorbei ist und unsere Geiseln nicht zurückgekehrt sind“, sagt sie aber auch.
Vor diesem Hintergrund ist die Musik für die junge Frau wichtiger denn je, denn ihr Verhältnis zum Gesang sei eng mit ihrem emotionalen und mentalen Zustand verwoben. „Musik ist meine ‚Love Language‘, sowohl gegenüber meinen Lieben als auch mir selbst.“ Nach den Anschlägen fiel das Singen ihr schwer, nicht nur emotional, sondern auch körperlich. Der Schmerz über den Verlust von geliebten Menschen, die Sorge um ihren Mann und die Einsamkeit waren eine Belastung, die sich zunächst auch in ihrem Zugang zum Gesang niederschlug. „Aber nach ein paar Wochen fand ich meine Stimme, indem ich meinen Schmerz, meine Sehnsucht, meine Trauer sang. Es war wirklich heilsam für mich“, sagt sie. So konnte sie sich auch an die Vorbereitungen für das Konzert „Liebe in Zeiten von Krieg und Frieden“ begeben, einer Zusammenarbeit der Musikfestspiele Saar mit jungen israelischen Künstlerinnen und Künstlern. Mit der jüdischen Konzertreihe wollen die Musikfestspiele explizit einen Beitrag zur aktuellen weltpolitischen Situation leisten, dieser Anspruch wird in diesem Jahr im Programm besonders deutlich.
Auf die Frage, was Musik und Kunst in der Welt bewegen können, antwortet auch Liron Givoni überlegt und deutlich. Konfliktlösung, Zusammenarbeit und Harmonie seien für Künstler im täglichen Ablauf immer wieder entscheidende und notwendige Faktoren. „Ich weiß nicht, ob Kunst und Musik die Welt verändern können, aber die Menschen, die sie erschaffen, könnten es.“ Und sie wird deutlicher, indem sie betont, dass es nicht immer nur Schwarz und Weiß gibt. „Ich glaube, wir haben die Verantwortung, führende und mitfühlende, nuancierte Gespräche zu führen, und dafür müssen wir Stellung beziehen. Tatsächlich leben wir in einer Welt, in der Stellung zu beziehen oft bedeutet, eine binäre Antwort auf eine schwierige Frage zu haben. Ich hoffe, wir können dieses Konzept ändern.“
„Es war wirklich heilsam für mich“
Auf ihrer LinkedIn-Seite hat Liron Givoni als Motto aufgeschrieben: „Auf der Suche nach meinem nächsten Abenteuer.“ Im Juni kommt sie so nach Deutschland zu ihrem nächsten Abenteuer, zu einem Besuch, auf den sie sich freut. Obwohl sie schon viele Male in Deutschland war, ist der Auftritt bei den Musikfestspielen Saar der bisher aufregendste: „Die Tatsache, dass ich während solch herausfordernder Zeiten auf Deutsch, Französisch und Hebräisch singen werde, ist sehr besonders. Ich finde es schwer auszudrücken, wie dankbar ich dem Festivalteam bin, dass sie uns eingeladen haben, unsere Reise unterstützen und all unsere Bedürfnisse berücksichtigen. Dies ist wirklich ein bemerkenswertes Team. Ich bin auch Frau Chen Reiss, der phänomenalen Sopranistin, Lehrerin und Person, die das alles ermöglicht hat, den größten Dank schuldig.“ Die bekannte israelische Opernsängerin Chen Reiss ist seit Langem mit den Musikfestspielen verbunden. Durch ihre Anfrage an das Organisationsteam, ob es in diesem Rahmen eine Möglichkeit gäbe, jungen israelischen Künstlern und Künstlerinnen eine Konzertmöglichkeit zu geben, kam die Kooperation zustande, die auch in den folgenden Jahren fortgeführt werden soll. Gemeinsam mit Sopranistin Romi Zelig und Tal Haim Samnon am Klavier gestaltet Liron Givoni damit nun den Auftakt dieser besonderen Reihe.
Ihre musikalische Reise selbst hat Liron Givoni etwas später als die meisten begonnen, obwohl Musik schon immer integraler Bestandteil ihres Lebens war. Beide Eltern sind Musiker und Sänger, seit ihrem siebten Lebensjahr spielt sie Klavier, und sie erzählt, dass sie und ihre Zwillingsschwester während ihrer Kindheit „überall und immer Duette gesungen“ haben. Dennoch fiel die Entscheidung für den Beruf nicht direkt. In Israel gibt es eine Wehrpflicht nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen. Givoni leistete erst den Wehrdienst ab und nahm sich auch danach die Zeit, sich ihrer Stärken und Interessen bewusst zu werden. Dann entschied sie sich aber endgültig für die Musik. „Also bin ich noch am Anfang meiner Karriere“, sagt sie. „Aber in Israel habe ich es auf die meisten großen Bühnen geschafft. Ich hoffe, im Ausland mehr zu unternehmen und weitere wunderbare Abenteuer zu erleben. Ich denke, das ist mein Weg, einen Unterschied zu machen, irgendwie.“
Auf der Abenteuerliste steht nun also auch der Konzertabend „Liebe in Zeiten von Krieg und Frieden“. Über die Vorbereitungen und die Liedwahl erzählt die Sängerin: „Zuerst wählte ich Lieder aus, die meiner emotionalen Verfassung am Anfang des Krieges entsprachen, wie ‚Sie blasen zum Abmarsch‘ von Wolf, ein Lied, das die Geschichte aus der Sicht einer Frau erzählt, deren Geliebter in den Krieg ziehen muss und sie allein zurücklässt. Oder Poulencs Lied ‚C‘, das die Geschichte eines Soldaten erzählt, der von den Schlachten des Ersten Weltkriegs nach Hause zurückkehrt und während er die Brücke des Cé überquert, mit seinen Gedanken über die Schrecken des Krieges nachdenkt. Aber ich wollte auch über Hoffnung und die aufregenden Seiten der Liebe sprechen. Über die Idee, dass das Leben stärker ist als alles und Kriege irgendwann enden.“ Auch Duette sollten im Programm sein, die Liron Givoni mit Romi Zelig interpretieren kann, das war wichtig, so fanden Duette von Clara Schumann einen Platz im Programm, ebenso wie Lieder in hebräischer Sprache, die für Liron Givoni etwas ganz Besonderes: „Schließlich bedeutet die Wahl, in meiner Muttersprache zu singen, für mich, an meinem speziellen, glücklichen Ort zu sein, der immer der beste Ort ist, um zu singen – auf und neben der Bühne.“
Das Programm dreht sich um die Liebe in Kriegs- und Friedenszeiten. Es geht also an existenzielle Fragen und um die Liebe als das Thema in der Kunst schlechthin. Was Liebe denn für sie heißt, fragen wir Liron Givoni: „Die einfache Antwort ist, dass Liebe alles bedeutet. Die Liebe zu den Menschen um mich herum, zu mir selbst, zu meinen Katzen und zu dem, was ich tue, ist der Grund, warum ich jeden Morgen aufwache und mich lebendig fühle. Liebe kann leiden, wachsen und sich während der Ereignisse des Lebens ändern. Und mit ihr verändern wir uns auch.“