Die Debatte um die Lieferung der Marschflugkörper für die Ukraine gerät für die Unions-Fraktion im Bundestag zu einem politischen Problem. Bundeskanzler Olaf Scholz zeigt klare Haltung.
Bis vor wenigen Wochen wussten vermutlich die wenigsten Menschen in Deutschland, was hinter der Bezeichnung „Taurus“ steckt. Seit der letzten Auseinandersetzung im Bundestag hat sich rumgesprochen, dass die Opposition bei der Befragung des Bundeskanzlers ihn gleich mehrfach „an den Hörnern packen“ wollte.
Grund für die hitzige Debatte war das „Taurus“ genannte, äußerst komplizierte Waffensystem, ein Hightech-Marschflugkörper mit konventioneller Munition. Äußerlich sieht das fünf Meter lange System aus wie ein eher unscheinbarer großer Metallkasten – mit kleinen Flügeln. Mit 500 Kilometern Reichweite soll seine Wirkung aber im wahrsten Wortsinn durchschlagend sein. Über 600 Stück solcher Waffensysteme verfügt Deutschland.
Mehrheit gegen Taurus-Lieferung
Das Waffensystem braucht offensichtlich eine hoch spezialisierte Bedienung. Einfach nur abfeuern funktioniert nicht. Der Flugköper muss mit Daten wie geografischen Flug- und Zieleingaben gefüttert werden, und das können nur Spezialisten. Unter anderem deshalb lehnt Bundeskanzler Scholz eine Lieferung an die Ukraine ab. Die Programmierung müssten deutsche Soldaten vornehmen, womit nach Ansicht des Kanzlers Deutschland Kriegspartei werden würde.
Was aber auch anders beurteilt wird.Die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag mit ihrem obersten Strategen, CDU-Chef Friedrich Merz, hat die vielfach geforderte „Taurus“-Lieferung zu einem Kern der Auseinandersetzung mit dem Kanzler erhoben. Dabei brachte der Unions-Fraktionschef das politische Kunststück fertig, einen gleichlautenden Antrag gleich zweimal zur Abstimmung zu stellen. Das Ziel von CDU-Chef Friedrich Merz war offensichtlich, die Ampel-Koalition zu spalten. Schließlich gibt es in der Koalition bei FDP und vor allem den Grünen echte Taurus-Sympathisanten. Die Union hoffte nun wohl, dass sich die Befürworter aus der Ampel bei der namentlichen Abstimmung Farbe bekennen würden und sich damit gegen der hartnäckigen Liefer-Verweigerer Olaf Scholz stellen würden.
Das Unterfangen gelang auch im zweiten Anlauf nicht. Deutschland wird weiter keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Bundeskanzler Scholz bestätigte auch diesbezüglich seine Richtlinienkompetenz innerhalb der Bundesregierung, auch wenn ihm das Taurus-Thema noch einige Zeit erhalten bleiben wird.
Der Kanzler argumentiert auch mit geostrategischen und -politischen Hinweisen. Und er hat in dieser Frage zumindest eine klare Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Erhebungen von unterschiedlichen Umfrage-Instituten aus diesem Frühjahr geben rund um die 60 Prozent der Deutschen der ablehnenden Haltung des Kanzlers recht.
Doch das ficht die Union nicht an. Sie besteht darauf, dass der „Taurus“ geliefert werden muss, um dem Krieg in der Ukraine endlich eine Kehrtwende zu geben und den russischen Vormarsch zu stoppen. CDU- und Unionsfraktionschef im Bundestag Friedrich Merz glaubt, damit ein Thema gefunden zu haben, um den zögerlichen Kanzler vor sich her zu treiben.
Der Kanzler hält aber eisern an seiner Linie fest. Deutschland sei schließlich der größte Unterstützer der Ukraine unter den Europäern, sowohl was militärische als auch humanitäre Hilfe betrifft, und eine „Taurus“-Lieferung würde eben eine Grenze erreichen, die er als Kanzler nicht überschreiten wolle. Er habe als Kanzler schließlich einen Eid darauf geschworen, die Sicherheit Deutschlands zu garantieren.
Olaf Scholz also ein „Friedenskanzler, über den Putin lacht“, wie es ein „Spiegel“-Kolumnist argwöhnt? Und gleich noch ergänzt: Erst habe Scholz versucht, Angela Merkel zu imitieren, nun sei er dabei, Gerhard Schröder zu kopieren. Besagter Gerhard Schröder, SPD-Kanzler von 1998 bis 2005, hatte vor genau 21 Jahren, Mitte März 2003, eine deutsche Beteiligung am Irakkrieg abgelehnt und sich damit den Ruf eines „Friedenskanzlers“ erworben. Übrigens standen damals ebenfalls laut Umfragen über 60 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik hinter der Entscheidung des Kanzlers.
Besagter Schröder, der zwischenzeitlich als Lobbyist in russischen Diensten und wegen seiner Nähe und Freundschaft zu Putin in Ungnade gefallen war, bestärkt nun Olaf Scholz bei der Ablehnung der „Taurus“-Lieferung und der Absage des Einsatzes von Bodentruppen: Entsendung von Bodentruppen abgelehnt. „Ich finde, Olaf Scholz macht das, was ich von einem deutschen Bundeskanzler zurzeit erwarten würde“, sagte der frühere SPD-Chef der Nachrichtenagentur dpa. Ob Unterstützung von dieser Seite hilfreich ist, sei dahingestellt.
Tatsache ist jedenfalls, dass sich auch aus den Reihen der Ampel-Koalition wortstarke Befürworter einer „Taurus“-Lieferung zu Wort melden, darunter die Vorsitzenden von zwei wichtigen Bundestagsausschüssen.
Einer davon ist der Grüne Anton Hofreiter, der sich inzwischen auch als „Panzer-Toni“ einen Ruf erworben hat. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag erklärte dem Kanzler allen Ernstes, wie die Taurus Flugbomben mit Daten gefüttert werden könnten, ohne dass deutsche Soldaten in der Ukraine vor Ort sein müssten. Hofreiter hatte sich schon zuvor in der Debatte um die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine als besonderer Befürworter bemerkbar gemacht. Dabei hat er nie bei der Bundeswehr gedient, im Gegenteil galt er bis vor zwei Jahren in seiner Partei noch als Pazifist.
Zudem drängt Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzendes des Verteidigungsausschusses im Bundestag, immer wieder. Die 66-jährige FDP-Politikerin ist derzeit nebenbei noch Spitzenkandidatin ihrer Partei für den Europawahlkampf. Zweimal hat Strack-Zimmermann als prominentestes Mitglied der Ampel-Koalition bei den „Taurus“-Abstimmungen sowohl für den Antrag der Ampel (weiter massive Unterstützung der Ukraine, aber ohne „Taurus“ zu erwähnen) als auch den Antrag der Union, der die „Taurus“-Lieferung explizit fordert, gestimmt.
Taurus-Gegner auch in der Union
Als Angriffsfläche gegen den Kanzler diente der Union auch die Debatte um die abgehörte Online-Videokonferenz von vier hochrangigen Luftwaffenoffizieren über einen möglichen Einsatz des Taurus in der Ukraine. Zwei von ihnen, einer ausgerechnet der Generalinspekteur der Luftwaffe Ingo Gerhartz, hatten sich über unsichere Verbindungen eingewählt, der russische Geheimdienst FAPSI hat einen Mitschnitt der Unterhaltung. In dem abgehörten Gespräch ging es um die Möglichkeit eines Einsatzes von Taurus-Marschflugkörpern in der Ukraine.
Das Gespräch wurde später über den Fernsehsender Russia Today veröffentlicht, Kanzler und Verteidigungsminister gerieten ofort ins Visier der Opposition. Unbestritten war es ein extrem fahrlässiges Verhalten, und das an höchster Stelle. Der russischen Propaganda hat es in die Hände gespielt, und es dürfte auch so manche heftige Diskussion hinter den Kulissen mit den Bündnispartnern gegeben haben. Militärische Geheimnisse wurden aber nach heutigem Kenntnisstand nicht angesprochen. Was besprochen wurde, sind im Wesentlichen bereits öffentlich bekannte und diskutierte Positionen.
Der von Vertretern von CDU/CSU gescholtene Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) stellte sich jedenfalls vor seine Offiziere und trat schnellen Rücktritts- oder Entlassungsforderungen entgegen. Nach diesen Wirren, zwei Bundestagsabstimmungen und einem klaren Machtwort des Kanzlers dürfte die „Taurus“-Debatte aber wohl kaum an ihrem Ende angekommen sein.