Der vor 100 Jahren geborene Marlon Brando war die männliche Film-Ikone schlechthin und ein schauspielerisches Jahrhundertgenie. Für seinen Weltruhm benötigte er gerade einmal eine gute Handvoll Rollen, und er perfektionierte dabei das Method Acting.
Er war schon zu Lebzeiten eine Leinwand-Legende, die wie kein zweiter Schauspieler seiner Generation das Kino prägte. Mit der Hommage des renommierten „Time“-Magazins dürften die meisten Kollegen Marlon Brandos absolut einverstanden sein: „Sein Schatten liegt über jeder Schauspielklasse in Amerika, praktisch über jedem Film.“ Wenn es an Brando, der gemeinhin als Amerikas größer Schauspieler gehandelt wurde, überhaupt etwas zu kritisieren gab, dann war dies laut „Time“ sein von unzähligen Liebschaften und Affären geprägtes Privatleben, weil er „eine Handvoll unvergesslicher Darbietungen mit so vielen (persönlichen) Peinlichkeiten ergänzt“ hat.
„Eiscreme war seine Droge“
Ähnlich wie das US-Magazin befand auch die „Zeit“, dass der „Jahrhundertschauspieler“ bei Weitem nicht in allen seiner mehr als 40 Filme, für die er insgesamt acht Oscar- und zehn Golden-Globe-Nominierungen erhielt, geglänzt habe: „Nicht die Zahl der Filme macht den Star. Es sind, im Lichte des Rückblicks gesehen, nur vier, fünf Rollen gewesen, die Marlon Brandos Weltruhm begründeten.“
Wobei Brandos Sterns kometenhaft aufging. Zwischen 1950 und 1955 zeichnete er als Star für den Erfolg von gleich acht Filmen verantwortlich, darunter seine Meisterwerke „Endstation Sehnsucht“ 1951, „Der Wilde“ 1953 und „Die Faust im Nacken“ 1954. Nach einer ganzen Reihe von Flops in den 1960er-Jahren erlebte er in den 1970er-Jahren einen zweiten Zenit in Hollywood mit Glanzleistungen in „Der Pate“ 1972, in „Der letzte Tango in Paris“ sowie in „Apocalypse Now“ 1979. Im Laufe der Jahrzehnte hatte sich der Schauspieler wegen teils unglaublicher Fressattacken von einem wohlproportionierten Sexsymbol in einen schwer Übergewichtigen verwandelt, der es später bei einer Körpergröße von 1,78 Metern sogar auf ein Gewicht von 170 Kilogramm brachte. „Eiscreme war seine Droge“, schrieb die „Berliner Zeitung“.
Aber diese rein äußerliche Verwandlung konnte Brandos ganz spezifischen schauspielerischen Stil des Method Actings nicht tangieren. Dieser methodische Ansatz wurde in den 1940er-Jahren in den USA von den beiden Schauspiellehrern Stella Adler und Lee Strasberg propagiert. Dabei soll der Mime so tief in eine Figur eintauchen, dass er sie nicht mehr bloß zu spielen, sondern tatsächlich zu verkörpern scheint. Durch die ungewöhnlich stark ausgeprägte Identifizierung mit der darzustellenden Person wird einer Rolle eine Natürlichkeit und Authentizität verliehen, wie sie etwa vor Brandos Verkörperung des prügelnden Macho-Proleten Stanley Kowalski in „Endstation Sehnsucht“ noch niemals zuvor im Kino zu sehen war. „Marlon Brando war der erste große Meister des Method-Actings“, schrieb etwa der „Spiegel“.
Bis dahin war unter Filmdarstellern eher eine ziemlich unnatürliche Überhöhung der Charaktere nach dem Vorbild des Theaters üblich gewesen. Doch dann kam Brando und ließ seinen Kowalski murmeln, nuscheln, brüllen und sogar eine rohe Männlichkeit ausstrahlen. Zahlreiche Kollegen wie James Dean, Elvis Presley, Paul Newman, Al Pacino oder Robert de Niro bewunderten diesen neuen Stil. Entsprechend ging es dann im Streifen „Der Wilde“ mit einem rebellischen Anführer einer Motorrad-Gang weiter, der Lederjacke und lange Koteletten trug und eine Triumph Thunderbird fuhr. In „Faust im Nacken“ verkörperte Brando den New Yorker Hafenarbeiter Terry Malloy.
Das Unangepasste lag ihm im Blut
Für dessen realistische Leinwandumsetzung wurde Marlon Brando 1955 von der Academy mit dem Oscar als bester Hauptdarsteller belohnt – was Regisseur Elia Kazan kaum überraschen konnte: „Wenn es in der Geschichte des amerikanischen Films eine bessere Leistung als diese gibt, so kenne ich sie nicht.“ Brando erwarb sich schnell den Ruf des Rebellen und empfindsamen Brutalos, was ihn in hautengen Blue Jeans und T-Shirts zur Ikone einer revoltierenden Jugend werden ließ. „Er gab uns unsere Freiheit“, so sein zeitweiliger Freund Jack Nicholson, der Brando zudem „einen monumentalen Künstler von der Statur Michelangelos und Picassos“ nannte. Denn erst dank Brando sei es in Hollywood möglich geworden, Raues, Vulgäres und Zwiespältiges vor der Kamera zu zeigen. Ähnliches Lob kam aus dem Munde von Brandos Regie-Mentor Elia Kazan, weil der Schauspieler alles in Hollywood infrage gestellt habe, „das ganze System der Höflichkeit, des guten Charakters und der Ethik“.
Das Rebellische und Unangepasste, das ihm gewissermaßen im Blut lag, stellte er sogar noch bei der Produktion seines allerletzten Films „The Score“ im Jahr 2001 unter Beweis. Zeitweise verweigerte er damals die Zusammenarbeit mit dem zuständigen Regisseur Franz Oz und präsentierte sich halbnackt am Set, weshalb sein Kollege Robert de Niro zusätzlich die Regiearbeit bei diesem Thriller übernehmen musste. Für seine legendäre Rolle des Don Vito Corleone in Francis Ford Coppolas „Der Pate“ musste Brando sogar die peinliche Prozedur von Probeaufnahmen über sich ergehen lassen, weil sein Ruf in Hollywood inzwischen so miserabel geworden war.
Den zweiten Oscar 1973 als bester Hauptdarsteller nahm Brando nicht persönlich entgegen, als Protestaktion gegen die Unterdrückung und Diskriminierung der indianischen Bevölkerung.
Neben dem Einsatz für die amerikanischen Ureinwohner engagierte er sich zeitweise auch stark für die Bürgerrechtsbewegung.
Bernardo Bertoluccis Meisterwerk „Der letzte Tango in Paris“ mit Brando in der Rolle eines vereinsamten, aber sexbessenen Witwers sorgte für einen Skandal. Von der Kritik wurde er dennoch größtenteils enthusiastisch gefeiert. Die berühmte US-Filmkritikerin Pauline Kael stellte den „Tango“ sogar auf eine Stufe mit Igor Strawinskys „Sacre du Prin-temps“ und schrieb „vom packendsten erotischen Film, der je gemacht worden ist“. Und dann kam sieben Jahre später „Apocalypse Now“ in die Kinos. Brando erhielt für seinen Kurzauftritt eine Millionengage, stellte dafür aber das Grauen des Vietnamkrieges in der Person des Colonel Kurtz wie kein Zweiter dar. „Die Kritik spricht bis heute von einem Naturschauspiel“, schrieb der „Spiegel“ einmal, „und tatsächlich ist Brandos Gesicht, sein kahl rasierter Schädel zu einer Art überpersönlicher Chiffre geworden für die Abgründe des Menschen und seiner Kultur.“ Da Brando entgegen der Vertragsabsprachen mit für die Rolle viel zu massigem Körpervolumen von nahezu drei Zentnern angereist war, ließ Coppola die Szene in abgedunkelten Räumen drehen, die vor allem von der schier unerträglichen Stimme des irren Militärdespoten durchdrungen wurden.
Nur einmal selbst Regie geführt
Nach dem Antikriegsfilm legte Brando eine neunjährige Hollywood-Pause ein, bevor er sich wieder für Rollen in Streifen wie „Weiße Zeit der Dürre“ (1989) oder „Don Juan DeMarco“ (1994) zur Verfügung stellte.
Der am 3. April 1924 in Omaha im US-Bundesstaat Nebraska geborene Marlon Brando wuchs in ziemlich zerrütteten Familienverhältnissen auf, da beide Elternteile alkoholabhängig waren. Der Sohn wurde als introvertiert, rebellisch und jeglichen Autoritäten gegenüber aggressiv beschrieben. Da seine schulischen Leistungen unbefriedigend waren, wurde er 1941 von seinem Vater auf ein militärisch geprägtes Internat namens Shattuck Military Academy in Faribaut im Bundesstaat Minnesota geschickt, wo ihm der Drill aber so verhasst war, dass er zwei Jahre später ohne Abschluss gehen musste. Aufgrund einer Knieverletzung wurde er vom Militärdienst freigestellt und konnte mit Unterstützung seiner Mutter in New York eine Ausbildung zum Schauspieler aufnehmen. Er schloss sich dem von Regisseur Erwin Piscator gegründeten „Dramatic Workshop“ an und wurde von Stella Adler in Method Acting unterrichtet. Sein Bühnendebüt gab er 1944 in einer kleinen Workshop-Inszenierung und wenig später am Broadway im Musical „I remember Mama“. 1946 wurde er von der Kritikergilde zum „vielversprechendsten Broadway-Schauspieler“ gekürt. Brandos Durchbruch kam 1947 mit der Broadway-Adaption von Tennessee Williams Stück „Endstation Sehnsucht“.
Danach wurde Hollywood auf ihn aufmerksam: Der Produzent Stanley Kramer bot ihm gleich in seinem ersten Film „Die Männer“ (1950) die Hauptrolle an. Die Filmversion von „Endstation Sehnsucht“ unter der Regie von Elia Kazan machte Marlon Brando 1951 mit einem Schlag weltberühmt.
Ein Familiendrama setzte ihm zu
Zehn Jahre später lieferte Brando im Western „Der Besessene“ seine einzige Regiearbeit ab. Ein Jahr später konnte „Die Meuterei auf der Bounty“ noch nicht einmal annähernd die hohen Produktionskosten an den Kinokassen wieder einspielen. Immerhin lernte der Schauspieler bei den Dreharbeiten seine spätere dritte Ehefrau, die polynesische Schönheit Tarita Tumi Teriipaia, kennen. Er verliebte sich so sehr in die Südsee, dass er 1966 das auf Dauer Unmengen an Geld verschlingende Pazifik-Atoll Tetiaro bei Tahiti erwarb. Auch der Unterhalt für seine Frauen und angeblich 13 leibliche und drei adoptierte Kinder kostete ihn Unsummen, weshalb er manche seiner Filme wohl nur des Geldes wegen machte.
Schwer getroffen wurde er von einem Familiendrama, bei dem sein erstgeborener Sohn Christian 1990 den Freund seiner schwangeren Halbschwester Cheyenne erschoss, die fünf Jahre später auf seiner Südseeinsel Suizid beging. Brando betrat daraufhin sein Atoll nicht mehr, sondern war meist nur noch in seiner Villa am Mulholland Drive in Los Angeles anzutreffen.
Am 1. Juli 2004 starb der inzwischen 80-Jährige in einem Krankenhaus in Los Angeles an Lungenversagen.