Der E-Auto-Absatz lahmt. Die Zukunft sei trotzdem elektrisch, sagt Prof. Dr. Maximilian Fichtner. Er gilt als einer der führenden Batterie-Experten in Deutschland. Der deutsche Autofahrer aber tut sich schwer – vor allem, wenn es um die Reichweite geht.
Herr Prof. Fichtner, die Verbrenner erleben derzeit eine Renaissance in Deutschland. Geht den Elektro-Autos die Puste aus?
Keineswegs: Die mobile Zukunft wird e-mobil sein, ob wir hier in Deutschland nun darauf abfahren oder nicht. Sicher vergehen noch Jahre, Verbrenner-Boom hin oder her, bis die Benziner und Diesel weitestgehend aus dem Straßenbild hierzulande verschwinden und sich zu einem Nischenmarkt entwickelt haben. Die Tage vom liebsten Kind der Deutschen – sie haben schließlich das klassische Automobil erfunden – dürften gezählt sein. Aber wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit. Oder anders ausgedrückt: Wer Veränderung nicht als Chance erkennt und Altes bewahren will, an dem fährt die e-mobile Zukunft voll vorbei.
Was ist dran an der in Deutschland so viel geforderten Technologieoffenheit in der Automobilbranche?
Die Fakten sehen Elektro-Autos klar im Vorteil: Die Kraftstoffe Benzin und Diesel werden allein durch die CO2-Besteuerung jedes Jahr teurer. Die Herstellung sogenannter E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, ist sehr kostenintensiv, weltweit bis auf Weiteres praktisch nicht existent, und die geringen Mengen sind dazu noch vor allem für die Nutzung in Schiffen und Flugzeugen vorgesehen, für Pkw bleibt da eigentlich nichts übrig. Grüner Wasserstoff gilt als umweltfreundlich, ist aber allein in seiner Herstellung energieintensiv und teuer. Zudem eignet sich Wasserstoff besser für großtechnische Anwendungen wie in der Stahl- oder Chemieindustrie als für Pkw. Was bleibt, sind batteriebetriebene Fahrzeuge. Und dieser Markt entwickelt sich weltweit rasant, allen voran in China.
Es gibt viele Vorurteile gegenüber Elektro-Autos, die sich hartnäckig halten. Produzieren E-Autos mehr CO2 als konventionelle Verbrenner?
Bei der Betrachtung des gesamten Lebenszyklus eines Autos von der Gewinnung der Rohstoffe und Fertigung über den Kraftstoffverbrauch samt Vorkette wie Aufbereitung und Lieferung der Tankstoffe bis hin zur Entsorgung erzeugt das E-Auto im Vergleich zum Verbrenner rund zwei Drittel weniger CO2 trotz eines höheren CO2-Rucksacks bei der Batterieherstellung und unter der Annahme, dass der Ladestrom nur zur Hälfte aus regenerativen Quellen stammt. Gerade Letzteres wird sich positiv verändern, denn bis 2030 soll der Strom in Deutschland zu 80 Prozent aus regenerativen Erzeugungsquellen stammen, derzeit sind es bereits mehr als 60 Prozent.
Das Second-Life der Batterien, also die spätere Nutzung, ist in dieser CO2-Betrachtung noch gar nicht berücksichtigt. Dabei werden die Batterien, obwohl sie noch eine Restkapazität von circa 80 Prozent haben, für Speicherzwecke genutzt, zum Beispiel als Pufferung für Wind- oder Sonnenstrom, wo sie noch weitere zehn Jahre gute Dienste leisten können. Oder sie werden recycelt, entweder im thermischen Verfahren oder im hydrometallurgischen Verfahren. Mittlerweile gibt es allein in Europa fast 40 Batterierecycling-Unternehmen.
Im Übrigen sagt die Physik, dass der Elektro-Antrieb viel effizienter ist als der Antrieb beim Verbrenner. Beim E-Auto kommen rund 70 Prozent der eingesetzten Energie beim „Rad“ an, beim Verbrenner mit E-Fuels nur acht bis zehn Prozent, bei Wasserstoff-Fahrzeugen sind es 18 bis 20 Prozent.
Wie steht es um die Reichweite bei Elektro-Autos?
Die Reichweiten-Angst der Deutschen bei E-Autos ist legendär. In den letzten zehn Jahren hat sich bei der technologischen Entwicklung viel getan, sodass die Reichweite von E-Autos aufgrund der verbesserten Batterien als technisch gelöst gilt. 1.000 Kilometer mit einer Ladung werden in China bereits angeboten, bei einer Ladegeschwindigkeit von 400 Kilometern in zehn Minuten. Im Übrigen gilt: Wenn in Deutschland bis 2030 tatsächlich 14 Gigafactorys, also Batteriehersteller, entstehen, könnte der Bedarf an Batterien für E-Autos für halb Europa gewährleistet werden. Ungarn liegt hier übrigens an zweiter Stelle. Und es macht auch Sinn, die Batterien hierzulande zu fertigen, also nah an den Produktionsstandorten für E-Autos, anstatt sie über weite Wege anzuliefern.
Könnte das Stromnetz bei mehreren Millionen E-Autos tatsächlich zusammenbrechen?
Bis 2040 sollen im besten Fall alle 48 Millionen Pkw als E-Fahrzeuge in Deutschland zugelassen sein. Fachleute haben errechnet, dass ein Zubau von 120 TWh Strom bis dahin benötigt wird, sprich 20 Prozent mehr als der derzeitige Strommarkt, also ein Zubau von etwa einem Prozent pro Jahr; hinzu kommen weitere Strombedarfe, beispielsweise für Wärmepumpen und Rechenzentren. Gleichzeitig werden aber auch 550 TWh an Kraftstoffen und Primärenergie eingespart. Das ist also das größte Energiesparprogramm, das wir je hatten – über das aber kaum jemand redet.
Der Netzausbau muss weiter forciert werden, schon aufgrund des Ausbaus regenerativer Erzeugung. Das passiert auch in Deutschland. Viel hängt zudem davon ab, wie sich die Ladegeschwindigkeit weiterentwickeln wird. Intelligentes Steuern der Netze, die Abschaltbarkeit beziehungsweise Reduzierung von Stromanwendungen und die Tatsache, dass nur ein Bruchteil der zugelassenen Fahrzeuge zugleich am Schnelllader hängen, machen ein Zusammenbruch des Stromnetzes höchst unwahrscheinlich.
Gegner sagen, in den benötigten Batterien für E-Autos stecken Seltene Erden, und die Rohstoffe reichen nicht aus.
Die Aussage Batterien enthalten Seltene Erden ist gleichzeitig richtig und falsch. Sie wurde von einem amerikanischen Thinktank der Ölindustrie in die Welt gesetzt. So wird in Nickel-Metallhydrid-Akkus Lanthan verbaut, das ist eine Seltene Erde. Die Batterien in E-Autos sind aber Lithium-Ionen-Akkus, und die enthalten keinerlei Seltene Erden. Selbst das als kritischer Rohstoff geltende Kobalt wird bereits seit den 90er-Jahren in Großbatterien immer weniger verbaut, die Tendenz geht gegen null. Was die Rohstoffe angeht, so ist in der Hochlaufphase der E-Autoproduktion mit einer starken Nachfrage nach Rohstoffen zu rechnen wie Lithium, Aluminium, Nickel, Kupfer et cetera. Der Gedanke der Kreislaufwirtschaft, sprich Rückgewinnung von Rohstoffen, wird deshalb weiter an Bedeutung gewinnen.
Welche neuesten Entwicklungen gibt es bei den Batterien?
Es ist ein Megatrend, problematische Materialien aus Batterien zu verbannen. Die neueste Generation der Batterien kommt aus China im neuen Design, und hier enthält der Pluspol keine Nickel- oder Kobaltverbindungen mehr, sondern besteht aus harmlosem und häufig vorkommendem Lithium-Eisenphosphat. Es gibt außerdem Entwicklungen, Lithium durch das viel häufigere und billigere Natrium zu ersetzen. Diese Idee kam übrigens aus Europa und wurde von den Chinesen aufgegriffen und umgesetzt. China ist in der Umsetzung einfach schneller als Europa. Wir haben damit eine große Chance der energetischen Unabhängigkeit aufs Spiel gesetzt. Wir hatten dazu kürzlich mit Kollegen aus Forschung und der Wirtschaft zwei Projekte beantragt, eines eher forschungslastig, das andere entwicklungslastig. Leider wurden jetzt die Gelder vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für solche neuen Vorhaben gestrichen. Natrium in Form von Salz und die weiteren für solche Batterien benötigten Materialien gibt es in Hülle und Fülle, und es wären günstige Rohstoffe, auf die China nicht die Hand draufhalten kann.
Außerdem werden Batterien für ein Second Life zu Speicherzwecken vorbereitet und eingesetzt. Eine weitere Option für die Zukunft ist das bidirektionale Laden, das heißt die Batterie im Auto kann als Pufferspeicher für zu Hause genutzt werden. Das Auto tagsüber mit Sonnenstrom laden und den Strom abends im Haushalt dafür nutzen. In der EU ist „Vehicle to Home, Vehicle to Grid“ möglich, in Deutschland aber noch nicht, schon aufgrund der fehlenden Smart Meter. Noch schlimmer: Das Finanzamt spricht in diesem Fall tatsächlich vom geldwerten Vorteil, der versteuert werden müsste. So ist wegen fiskalischer Gründe eine Zukunftsvision für die Energiewende derzeit nicht umzusetzen und wir hinken mal wieder hinterher.
Ist Schnellladen für Batterien tatsächlich schädlich?
Früher war das so, heute gilt das wegen der verbesserten Batterie- und Ladetechnik nicht mehr, denn die Batterien heizen sich nicht mehr so stark auf, was im Übrigen auch die Brandgefahr enorm minimiert hat. Die Batterien sind zudem nie komplett leer und werden nie zu 100 Prozent aufgeladen, obwohl dem Fahrer das beim Laden so angezeigt wird. Schnellladen funktioniert bis etwa 80 Prozent und verlangsamt sich dann. Die Batterien sind heutzutage für ca. 1.500 bis 2.000 Vollzyklen beim Laden ausgelegt – das wären bei einer Batterie für 500 Kilometer Reichweite circa eine Million Kilometer.
Das Laden von E-Autos gilt für viele immer noch als zeitintensiv und unbequem. Wie sehen Sie das?
Schnellladen ermöglicht schon heute einen Ladevorgang bis zu 80 Prozent in rund zehn bis 15 Minuten. Das reicht für einen Kaffee mit Croissant. Der Ladevorgang ist aber unterschiedlich. Bei einem Hersteller nähert sich das E-Auto der Ladesäule, dann kommunizieren Auto und Säule bereits miteinander und alles läuft vollautomatisch, auch das Abrechnen. Beim konventionellen Tanken muss nach dem Tankvorgang auch noch die Kasse mit eventuellen Warteschlangen aufgesucht werden. Das nimmt ebenfalls Zeit in Anspruch.
Was ist dran am Argument, die E-Mobilität scheitere, da E-Autos zu teuer seien?
Der Anschaffungspreis für E-Autos ist im Vergleich zu Verbrennern aktuell noch hoch. Im Vergleich der Betriebskosten schneiden E-Autos aber günstiger ab, weniger Wartung, weniger Werkstatt, kein Ölwechsel, kein Zahnriemen, nur selten Bremsbeläge, günstigeres Laden. In der Summe ist das E-Auto bereits jetzt günstiger als ein Verbrenner.
Es ist zudem davon auszugehen, dass bei hoher Stückzahl E-Autos im Preis sinken werden. Was in Deutschland zurzeit fehlt, sind erschwingliche E-Autos im Kleinwagensegment. Die europäischen Autobauer sind gewarnt: Die Asiaten werden mit günstigen Modellen, die auch in Europa gebaut werden sollen, auf den Markt kommen. Erste Modelle für unter 10.000 Euro sind in China bereits in der Pipeline. 2024 werden in Deutschland aber erstmals acht Modelle aus Europa und Asien für unter 30.000 Euro angeboten. Wirtschaftsexperten wissen: Das größte Risiko für Erfolg ist Erfolg in der Vergangenheit. Die Zeichen stehen klar auf Veränderung und damit tun wir uns in Deutschland als Exportnation zugegebenermaßen schwerer als andere Länder. Ausbremsen können wir die E-Mobilität nicht.