Sie gehört zu den Filmstars aus Frankreich, die auch international eine beeindruckende Karriere vorweisen können. Seit 40 Jahren berührt uns Juliette Binoche emotional in den unterschiedlichsten Filmen. Vor Kurzem wurde sie 60 Jahre alt. Und hat, wie sie selbst sagt, gerade die schönste Zeit ihres Lebens.
Sie war gerade einmal 22, als sie mit der erotischen Literaturverfilmung „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ 1988 Weltruhm erlangte. Seitdem war Juliette Binoche in vielen hochkarätigen Filmen zu sehen. Zum Beispiel im Liebesdrama „Der englische Patient“ (1996), in dem sie den todkranken Ralf Fiennes aufopferungsvoll pflegte und dafür mit einem Oscar für die beste Nebenrolle belohnt wurde. Und in der romantischen Komödie „Chocolat – Ein kleiner Biss genügt“ (2000) konnte Johnny Depp ihren süßen Verführungskünsten nicht lange widerstehen. In dem Drama „Einbruch & Diebstahl“ (2006) ging sie mit Jude Law ins Bett und suchte in „Die Wolken von Sils Maria“ (2014) an der Seite von Kristen Stewart nach dem Sinn des Lebens. Im kulinarischen Liebesfilm „Geliebte Köchin“ (2024) spielte sie eine Frau, die versucht, ihre unterdrückte Leidenschaft durch Kochen zu sublimieren.
„Natürlich habe ich auch Filme gemacht, die reiner Eskapismus sind, wie ‚Der Husar auf dem Dach‘ zum Beispiel“, meint Juliette Binoche, „aber eigentlich fühle ich mich meist zu Stoffen hingezogen, die mit dem wirklichen Leben zu tun haben. Also zu Filmen, die unter die Haut gehen. Wenn man schon ins Kino geht, dann doch nicht um Zeit totzuschlagen, sondern um wirklich berührt zu werden.“
Steven Spielberg gab sie einen Korb
Das Talent, Menschen durch ihr Spiel immer wieder aufs Neue zu berühren, wurde ihr wahrscheinlich schon in die Wiege gelegt. Ihre Eltern – der Vater war Regisseur, die Mutter Schauspielerin – gaben ihrer Tochter schon früh das Interesse an der Kunst weiter. „Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie mich meine Mutter das erste Mal ins Theater mitnahm. Das war ein wunderbares Erlebnis. Als am Ende der Vorführung das Publikum aufstand und applaudierte, hüpfte mein Herz vor Glück. Und ich dachte, sollte ich jemals diese Freude als Schauspielerin selbst erfahren, würde ich nichts lieber tun, als sie an die Menschen weiterzugeben.“
Juliette Binoche hat eine sehr sensible Art, sich ihren Figuren anzunähern. Eine Kunst, die sie im Laufe ihrer Karriere immer weiter verfeinert hat. Ohne dabei ins Naheliegende oder Klischeehafte abzugleiten. Bei der Interpretation ihrer Rollen bleibt sie trotz aller Hingabe und Offenheit immer auch etwas rätselhaft. Als sie vor 40 Jahren mit der Schauspielerei begann, war ihr noch nicht wirklich bewusst, wie wichtig dieser Schritt für sie war. „Mir wurde erst nach und nach klar, dass sich der Sinn meines Lebens vor allem durch den Schauspielberuf erschließen würde. Nur durch die Schauspielerei kann ich meinen Geist und meinen Körper zu einer Einheit zusammenfügen. Oder anders ausgedrückt: Ich will durch meine Arbeit Mensch sein und mit meiner Arbeit Menschlichkeit ausdrücken.“
Nach einer Ausbildung am Schauspielkonservatorium in Paris nahm man sie in der französischen Filmszene mit offen Armen auf. Ab Mitte der 80er-Jahre drehte sie mit so angesagten Regisseuren wie Jacques Doillon, André Téchiné, Jean-Luc Godard, Louis Malle und dem Regie-Enfant-terrible Leos Carax. Mit Carax lebte Binoche auch drei Jahre zusammen.
Mit Ende 20 war sie schon weit über ihre Landesgrenzen hinaus bekannt. Längst war auch Hollywood auf sie aufmerksam geworden. Dort galt sie als „heißester Import aus Frankreich seit Catherine Deneuve“. Ihre Stippvisiten in der amerikanischen Traumfabrik sind allerdings überschaubar. Denn statt sich in Blockbuster-Filmen verheizen zu lassen, spielte sie lieber in Autorenfilmen mit. Juliette Binoche blieb auch in Hollywood das, was sie schon immer war: wählerisch. Und gab selbst Steven Spielberg einen Korb. Spielberg wollte sie unbedingt für einen seiner „Indiana Jones“-Filme haben. Oder für „Schindlers Liste“ oder „Jurassic Park“. Doch Binoche sagte „No“ – und kehrte in ihre Heimat zurück. Ein Entschluss, den sie nie bereuen musste: In den 90er-Jahren war sie zeitweise der bestbezahlte Filmstar Frankreichs.
„Dabei wollte ich nie ein Star werden. Ich habe immer nur davon geträumt, einmal von der Schauspielerei leben zu können. Und dieser Herzenswunsch hat sich – zu meiner großen Überraschung – schon ziemlich bald erfüllt. Das Wort ‚Star‘ gefällt mir am besten im Zusammenhang mit ‚Stern‘: Ein Stern, der am Himmel steht und strahlt und den Menschen Freude bringt. So ein ‚Star’ bin ich gerne“, meint Juliette Binoche mit einem herzhaften Lachen. Ach, dieses Lachen! Sie lacht gerne und oft. Gerade auch beim Interview. Da begleitet einen dieses freudige, kehlige Lachen – das einer Weinbäuerin aus Bordeaux mindestens ebenso gut zu Gesicht stehen würde – das ganze Gespräch hindurch wie munterer Glockenklang.
„Gefühl geht für mich über Verstand“
Unvergessen auch ein Treffen mit ihr im herbstlichen Paris. Da kommt Juliette Binoche in Moon-Boots und eingemummelt in eine hellgrüne Daunenjacke ins Zimmer eines Fünf-Sterne-Hotels und verkündet fröhlich: „Was für ein wunderschöner Tag! Und so windig. Am liebsten würde ich einen Drachen steigen lassen. Aber wir müssen ja arbeiten.“ Spricht’s, zwinkert vergnügt mit den Augen, streift die Daunenjacke ab und gleitet sanft auf das große Designer-Sofa. Zupft noch kurz ihre beige Wolljacke zurecht und mustert dann ihr Gegenüber gespannt. Diese fast burschikose Direktheit überstrahlt sie sofort mit ihrem sehr weiblichen Charme. Vielleicht macht ja auch genau diese unnachahmliche Mischung einen Teil ihres Erfolgsgeheimnisses aus. Im Gespräch ist sie erfrischend natürlich, ja sogar herzlich und offen. Und es dauert nicht lange, da gibt sie auch Privates preis: „Ich lebe sehr intuitiv. Vielleicht liegt das an meinem Beruf, wahrscheinlich ist es aber einfach in meine DNA eingeschrieben: Gefühl geht für mich über Verstand. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich weiß sehr wohl, dass der Intellekt ein sehr wichtiges Regulativ im Leben ist. Natürlich mache ich mir Gedanken, bewerte, wähle aus, entscheide. Aber wenn ich ganz ruhig in mich hineinhöre, sind es eigentlich immer meine Emotionen, die den Ausschlag geben. Jedes Mal, wenn etwas in meinem Leben grandios schiefgegangen ist, hatte ich nicht wirklich auf meine innere Stimme gehört – da bin ich mir mittlerweile ganz sicher.“
Sie macht eine kurze Pause, versorgt sich mit einem großen Glas Wasser und nascht ein wenig vom Zimtgebäck, das vor ihr auf dem Tisch steht. Dann fährt sie fort: „Wissen Sie, welche meine früheste Kindheitserinnerung ist? Einsam zu sein! Das hat mich als Kind sehr geprägt und das trägt man dann ein ganzes Leben lang mit sich herum. Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich vier war. Das war ein furchtbarer Schock für mich. Ich war oft allein und wohl auch sehr einsam. Aber in dieser Zeit habe ich das Träumen für mich entdeckt. Und das Rollenspielen. Das war eine wunderbare Möglichkeit für mich, täglich in neue Fantasiewelten einzutauchen und mir Dinge auszudenken, die mir bald genauso wichtig und wirklich wurden wie die sogenannte Realität. Auch später, als man mich in eine katholische Klosterschule steckte, habe ich es ziemlich schnell geschafft, in einer Traumwelt heimisch zu werden, die mich sicher auch vor ernsthaften seelischen Verletzungen bewahrt hat. Fantasie kann eine ungeheure Macht sein.“
„Dinge loslassen, wenn es nicht anders geht“
Juliette Binoche lebt heute zurückgezogen in Paris. Ihre beiden Kinder (mit dem Profitaucher André Halle hat sie einen Sohn, Raphaël, 30; mit dem Schauspieler Benoît Magimel eine Tochter, Hana, 24) sind mittlerweile erwachsen und stehen auf eigenen Beinen. Ihre Tochter Hana ist auch Schauspielerin. Vor zwei Jahren war sie in dem Film „Mit Liebe und Entschlossenheit“ (2022) gemeinsam mit ihrer Mutter zu sehen. Bei ihrem aktuellen Kinofilm „Geliebte Köchin“ gab es sogar ein Wiedersehen mit dem Vater von Hana. Das war anfangs etwas schwierig, denn man hatte sich vor 20 Jahren wohl nicht gerade im Guten getrennt. Doch dann lief es doch überraschend glatt: „Benoît und ich haben uns versöhnt. Es war sehr heilsam für mich, meine Gefühle über die Schauspielerei auszudrücken. Ich hoffe, das ist auch im Film spürbar. Vielleicht kann es ja auch anderen Menschen helfen, sich zu versöhnen.“
Neben ihrer Arbeit fürs Kino ist Juliette Binoche auch wieder in einer Miniserie auf AppleTV+ zu sehen: In „The New Look“, eine Art Biopic über den Modeschöpfer Christian Dior, spielt sie Coco Chanel (siehe Streamingtipp Seite 84). Und zwar mit einer solchen Intensität, dass sie allen anderen die Schau stiehlt. Sie zeigt uns Coco als geniale Designerin, als leidenschaftliche Geliebte eines deutschen Nazi-Offiziers, als rücksichtslose Karrieristin. Mal ist Coco wütend, mal verzweifelt, mal himmelhoch jauchzend und dann zu Tode betrübt – eine hochkomplexe und schwierige Frau eben, wie sie war, bevor man sie zur Legende verklärte. Allein wegen Juliette Binoches unerschrockener Suche nach der wahren Identität dieser Mode-Ikone sollte man sich die Serie ansehen.
In Paris ist es mittlerweile Nacht geworden. Aber bevor wir uns auf den Heimweg machen, möchten wir noch wissen, ob sie Talent für das Glück hat. „Das ist eine sehr gute Frage“, lacht sie. „Keine Ahnung. Doch, warten Sie: Ich bin glücklicher als früher. Warum? Es ist schon ein bisschen seltsam. Aber ich fühle mich heute mehr als Frau als jemals zuvor. Das heißt nicht, dass ich durch keine Krisen mehr gehe. Aber ich kann sie jetzt besser meistern. Und um sich weiterentwickeln zu können, muss man auch die Kraft haben Dinge loszulassen, wenn es nicht mehr anders geht.“