Die eigene Leistung rückt in vielen Sportarten mehr und mehr in den Hintergrund
Physis und Psyche – oder salopp ausgedrückt Körper und Geist – bestimmen die sportliche Leistungsfähigkeit. Jedoch ist diese Einfachheit dem Sport abhandengekommen. Externe Faktoren wie Material und Ausrüstung werden immer wichtiger. Der technologische Fortschritt macht auch vor dem Sport nicht Halt und kann über Sieg und Niederlage entscheiden. Puristen haben heute keine Chance.
Um nicht missverstanden zu werden: Optimierte Trainingsmethoden, Nutzung von Fitnesstrackern oder digitalisierte Datenanalysen, Stichwort Big Data, sind nicht gemeint. Einige dieser Innovationen sind nicht nur hilfreich, die Leistung zu erreichen, sondern können auch den Gesundheitszustand überwachen und damit präventiv wirken.
Gemeint sind beispielsweise die unsäglichen Materialschlachten im Automobilsport. Max Verstappen gewann 19 von 22 Formel-1-Rennen im Jahr 2023 und kreiselte meist einsam an der Spitze. Technikenthusiasten kommen voll auf ihre Kosten, der Sport jedoch bleibt auf der Strecke. Auch der beste Rennfahrer wird ohne adäquates Auto nicht Weltmeister werden. Was wäre, würden alle das gleiche Auto fahren? Leider nur eine rhetorische Frage.
Vielleicht erinnern sich einige an die Weltrekordflut im Schwimmen aufgrund von revolutionären Hightech-Anzügen. 2008 wurden 55 Weltrekorde, davon 25 bei den Olympischen Sommerspielen in Peking, aufgestellt. Die Athleten fühlten sich nach eigenen Aussagen wie Raketen unter Wasser. Der Weltschwimmverband hat auf die Bremse getreten und diese Anzüge verboten.
Materialschlachten im wahrsten Sinne des Wortes liefern sich Bobfahrer, Rodler und Skispringer. In diesen technikaffinen Sportarten wird getüftelt und getrickst, um sich auf legalem Weg Vorteile zu verschaffen. Die deutsche Rodelikone Georg Hackl steht symbolisch für eine gelungene Synthese von Athlet und Sportgeräte-Entwicklung. Aber die Frage sei erlaubt, wie sinnvoll es ist, in Randsportarten wie Rodeln und Bobfahren Millionen zu investieren? Die Skispringer werkeln an ihren Schuhen, Bindungen und Anzügen, um den vielleicht wichtigen halben Meter mehr herauszupressen.
Als Jugendlicher habe ich Ausdauersportler ob ihrer organischen Leistungsfähigkeit bewundert. Externe Faktoren schienen von untergeordneter Bedeutung zu sein. Verwachste Skibretter, na und? Heute begleiten Wachstrucks die dominierenden Nationen. Gut gewachste Bretter sind die halbe Miete und zu einem besonderen Erfolgsfaktor geworden. Man kann es bedauern, muss es aber akzeptieren. Dennoch, im Sinne der Fairness sollte darüber nachgedacht werden, bei internationalen Meisterschaften für einheitliche Wachsbedingungen zu sorgen. Praktikabel ja, aber wer will das?
Laufen gilt als eine der einfachsten Sportarten, braucht nicht viel an Ausrüstung und ist weltweit als Leistungssport verbreitet. Dementsprechend groß ist die Konkurrenz. Der ambitionierte Langstreckenläufer konnte sich bisher auf sein Talent und seinen trainierten Körper verlassen, um erfolgreich zu sein. Doch dann kam der Carbonschuh. „Du fliegst über die Ziellinie“, so die Werbung, und die Athleten empfinden es auch so. Der Leistungsvorteil ist mittlerweile sogar wissenschaftlich belegt. Auch wenn vor einem erhöhten Verletzungsrisiko gewarnt wird, ist der Reiz des Erfolgs größer. Vielleicht erleben wir irgendwann den Laufschuh mit versteckten Sprungfedern. Eine einst einfache Sportart macht sich abhängig von teuren technischen Unterstützungssystemen.
Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Wir leben in einer Zeit, in der technologische Innovationen den Sport revolutionieren. Überspitzt formuliert, die eigene Leistung rückt in den Hintergrund. Ist alles Machbare aber auch das Bessere? Oder stehen wir zwischen Allmacht und Ohnmacht?
Die Künstliche Intelligenz wird auch den Sport beeinflussen. Der Astrophysiker Stephen Hawking hat auf die Frage, ob uns die Künstliche Intelligenz überflügeln wird, wie folgt geantwortet: „Unsere Zukunft ist ein Wettlauf zwischen der wachsenden Macht unserer Technologien und der Weisheit, mit der wir davon Gebrauch machen. Wir sollten sicherstellen, dass die Weisheit gewinnt.“ Steht der Sport am technologischen Scheideweg?