Zentral-Finnland ist bis April von einer meterhohen Schneedecke überzogen. Wer sich eine coole Auszeit vom Alltag nehmen will, kann viele sportive Freizeitaktivitäten ausprobieren und – mit etwas Glück – das Polarlicht erleben.
Pfeifend fährt der Wind durch die Baumwipfel. Eisige Böen fegen Schnee von den Ästen. Draußen ist es jetzt stockfinster, vermutlich außerdem schweinekalt. Wen kümmert’s? Das Iglu bietet neben der kuscheligen Decke sogar eine Heizung. Die raumhohen Fenster und das gläserne Dach verwandeln es außerdem in einen besonderen Logenplatz. Kein Wölkchen trübt die Sicht auf die Sterne. Doch es gibt noch einen weiteren Grund, vom Bett aus den Himmel zu beobachten.
Der Blick in den Weltraum macht allerdings schläfrig. Doch dann, kurz vor dem Einnicken, erscheint am Horizont ein leichtes Glimmen. Erst gelb, dann grün, mal auch rot: Die Farben ändern sich mit der Zeit, doch die Erscheinung wird immer stärker. Plötzlich verwandelt sich das diffuse Leuchten in ein grün-gelbes Band. Es schlägt Bögen, wirft Falten, changiert wie Seide. Immer neue Wellen jagen pulsierend übers Firmament, Wasserfälle aus Licht scheinen über dem Iglu niederzugehen. In kosmischer Lautlosigkeit brennt gerade mehr als hundert Kilometer über der Erdoberfläche ein himmlisches Feuerwerk ab.
Übernachten im Glas-Iglu
Aurora Borealis entsteht, so die Wissenschaft, weil die Sonne neben Licht auch elektrisch geladene Teilchen aussendet, die auf den Sauerstoff und Stickstoff unserer Atmosphäre treffen und beim Zusammenstoß frei werdende Energie als Licht ausstrahlen. Vielleicht ist es aber auch der Feuerfuchs, dessen lodernder Schweif die Nordlichter von den Schneeflächen wirbelt, wie eine Legende des indigenen Samen-Volkes berichtet? Fest steht: So schnell, wie das Spektakel begonnen hat, ist alles wieder vorbei. Mit einem Schlag blinken nur noch die Sterne der Milchstraße, ab und an zieht ein Satellit vorbei. Man reibt sich die Augen – und nimmt das Farbenspiel am Nachthimmel mit in seine Träume.
„Wilde Winter sind bei uns garantiert. Um das Nordlicht gut zu sehen, braucht man aber etwas Glück“, sagt Sirpka Kämäräinen, die mit ihrer Schwester Katja die Isokenkäisten Wilderness Lodge betreibt. Dort übernachten Gäste nicht nur in Zimmern, sondern auch im Glas-Iglu auf dem zugefrorenen Suininkijärvi-See. Allerdings erst nach einem typisch finnischen Abendessen: Sprudelnder Saft der Schwarzen Krähenbeere als alkoholfreier Aperitif, eine Suppe aus allerlei selbst gesammelten Waldpilzen, danach Rentierfilet mit Kartoffelbrei und Preiselbeeren. Eine traditionelle Rauch-Sauna, angeheizt von Vater Aimo höchstpersönlich, gibt es übrigens auch. Wer sich traut, kühlt sich anschließend im Eisloch ab.
Bis in den April hinein bedeckt in Zentral-Finnland oft meterdicker Schnee die fast menschenleere, scheinbar endlose Weite. Das Weiß kommt hier nicht aus der Kanone wie in den Skigebieten Mitteleuropas, sondern fällt einfach vom Himmel. Auch sonst wird der Natur viel Platz eingeräumt: Fünf Nationalparks gibt es in der dünn besiedelten Region zwischen den größeren Orten Kuusamo und Rovaniemi am Polarkreis. Echte Wildnis bieten die Schutzgebiete Hossa, Pyhä-Luosto, Salla und Riisitunturi. Der Oulanka-Park aber ist der berühmteste.
„Mal richtig durchatmen“
Im Sommer sind hier Wanderer auf dem 80 Kilometer langen Karhunkierros-Trail unterwegs, der sogenannten Bärenrunde zwischen Nordkarelien und Lappland. Mitten im Winter bei extremer Kälte von bis zu minus 40 Grad ist das nur etwas für Hartgesottene mit guter Ausrüstung, auch wenn die Ranger des Nationalparks einen Teil der Strecke per Schneemobil spuren. Für eine Auszeit vom Alltag lohnt sich aber auch ein Kurzbesuch auf dem Pieni Karhunkierros, der nur zwölf Kilometer langen kleinen Bärenrunde – vor allem im März und April, wenn die Tage schon wieder länger sind als noch Ende Dezember, und vor allem deutlich wärmer. Pluspunkt: Die Braunbären sind noch im Winterschlaf.
Lotta Sandvik vom Tourenanbieter Outdoor Passion bringt für die Tour nicht nur gute Laune mit, sondern auch die passende Ausrüstung. Schneeketten gibt es für Autoreifen, aber auch für Wanderschuhe: Die angeschnallten Spikes sind an vereisten Stellen Gold wert. „Viele Leute sind immer gehetzt und im Stress, sogar im Urlaub. Doch hier können alle mal richtig durchatmen und die Wildnis auf sich wirken lassen“, erzählt die Finnin. Verschneite Wälder, tief eingeschnittene Schluchten, vereiste Stromschnellen: Die Tour hat viele Highlights. Das ständige Auf und Ab sowie die schwankenden Hängebrücken fordern zwar, doch der Blick auf den Fluss und die historische Myllykoski-Getreidemühle sind die Mühe wert.
Die Berge in der Region sind nur wenige Hundert Meter hoch, im Vergleich zu den Alpen ein Klacks. Das Spektrum der kleinen Wintersportorte wie Luosto und Pyhä reicht trotzdem von Übungspisten bis zur schwarzen Abfahrt. Wer Action will, fährt ins etwas geschäftigere Ruka: Dort ist in den finnischen Winterferien mehr los, wenn sich viele Snowboarder in den Terrain Parks und Pipes austoben. Zwar knattern auch viele Schneemobil-Karawanen durchs Terrain, doch im Norden Finnlands gibt es auch umweltfreundlichere Fortbewegungsmittel.
Vögel fressen aus der Hand
Im Angebot sind Hundeschlitten- und Rentiersafaris, Stand-up-Paddling-Touren (falls man aus Versehen mal ins kalte Wasser fällt, schützt ein Trockenanzug) und Exkursionen zum Eisklettern. Ganz neu und „made in Finland“ sind die sogenannten Skinbased Ski mit einer Beschichtung aus Nylon und Mohair. Mit diesen kurzen Skiern kann man bequem auf den Fjell marschieren, ohne im Schnee zu versinken. An ausgewiesene Routen muss man sich nicht halten. Es geht querfeldein – dank dem finnischen Jedermannsrecht quasi überall erlaubt. Auch aufs Fahrradfahren muss im Winter niemand verzichten: Mit den breiten Reifen eines Fatbikes geht es durch das flache Terrain rund ums Skiresort von Ruka, bevor man die Ausrüstung wechselt und eine Schneeschuhtour auf den Hügel Valtavaara ansteht. Dort teilt Guide Heli Törmänen ihren Proviant mit einem neugierigen Piepmatz. Die putzigen Unglückshäher sind so zutraulich, dass sie einem aus der Hand fressen. Der Name stammt aus dem Mittelalter: In harten, kalten Wintern wanderten die Vögel einst bis nach Deutschland.
Was wir schlicht als Schnee oder Eis bezeichnen, hat in Finnland viele Namen. Hanki, iljanne, kuura, nuoska, polanne sind nur fünf von annähernd 40 Worten. Am schönsten aber ist tykky, wie er mit etwas Glück auf dem Fjell bei Luosto anzutreffen ist: Wenn frierender Nebel die Äste mit einer zarten Glasur bedeckt und dann immer mehr Kristalle haften bleiben, verwandeln sich die Bäume im Laufe des Winters in riesige weiße Kerzen. Mit etwas Fantasie erkennt man sogar wunderliche Gestalten mit ausgebreiteten Armen, weiten Gewändern und seltsamen Hüten. In diesem Winterwunderland gibt es übrigens echte Schätze: In einer Amethystmine dürfen Besucher die Schmucksteine selbst schürfen.
Viel Platz für Langläufer
Im Salla Wilderness Park nimmt einen dann Hanno Virkulla unter seine Fittiche. Über das, was seine Besucher im Winter tragen, kann er nur lachen: Er kleidet alle erst mal von Kopf bis Fuß neu ein. Spezialboots mit dicker Fütterung, ein wind- und wasserdichter Polaranzug, extra warme Handschuhe: So ausgestattet, geht es auf einen zugefrorenen See. Dort wird ein Loch ins Eis gefräst, eine Angel ins Wasser gehängt – und gewartet. Zum Eisangeln gehört neben der richtigen Technik auch Geduld, bis Barsche, Hechte und Renken im Käscher landen.
Langlaufen ist in Finnland Nationalsport. Allein rund ums winzige Skiresörtchen Salla (der Slogan „Mitten im Nirgendwo“ stimmt wirklich) gibt es 160 Kilometer Loipen für Anfänger und Fortgeschrittene; die Ausrüstung lässt sich vor Ort für kleines Geld mieten. Ein netter Ausflug führt quer durch Wald und Flur zur urigen Ruuhitunturi Cabin. Wer sich vorher den Schlüssel besorgt und Proviant mitgebracht hat, kann hier mitten in der Einsamkeit übernachten. Fließendes Wasser gibt es zwar nicht, dafür aber reichlich Feuerholz für den Kaminofen.