Das Angenehme mit dem Hilfreichen verbinden – das ist die Idee hinter Voluntourismus, ehrenamtlicher Arbeit im Urlaub. Warum wird man Öko-Voluntourist? Und was gibt einem das Geben? Ein Selbstversuch im Bergwald Altenau.
In Afrikas Wüsten, den Wälderweiten Südamerikas umherschweifen? I wo! Wer Abenteuer und Abgeschiedenheit sucht, ist im Dorf Altenau, bayerischer Bilderbuch-Alpenrand, goldrichtig. Ein sonnendurchfluteter Sonntagnachmittag, Kuhglockengeläut weht zum Bahnhof herüber. Um 16.09 Uhr, exakt eine Minute nach Ankunft des Regionalzugs R63, ist hier und heute Treffpunkt, hatte es geheißen. Aus ganz Deutschland ist ein gutes Dutzend Abenteuerlustiger zusammengekommen, für einen Arbeitseinsatz droben in den Bergen über Altenau. Anreise: auf eigene Kosten. Bezahlung: keine. Der Andrang: groß. Seit Wochen sind alle Plätze vergeben.
Der Förster Hendrik von Riewel, ein Mittvierziger mit Bart und Kappe, leitet den Einsatz. „Dort oben“, warnt er, „ist einer der letzten weißen Flecken Deutschlands.“ Tal des Friedens, so nennen es die Einheimischen. Kein Handynetz. Funkstille für eine Woche – so lange dauert der Arbeitseinsatz. „Also, lieber noch mal euren Lieben Bescheid sagen!“
Der Natur im Urlaub etwas Gutes tun
Oben, abgeschnitten von der Außenwelt, beziehen wir eine knarzige Holzhütte. Drei Vielbettzimmer. Toiletten, neben denen eine Gießkanne als Spülung parat steht. Eine einzige Dusche für alle. Was wird die Woche bringen? Wer sind die Leute, mit denen ich die kommenden Tage verbringe?
Zur Klärung dieser Fragen bittet Hendrik von Riewel vor die Hütte, zum Stuhlkreis. Was geschehen soll, ist schnell erklärt. Erstens: Abbau eines maroden Wildzauns. Zweitens: Instandsetzung in die Jahre gekommener Jäger- und Förstersteige im Steilhang.
Und die Leute? Da ist zum Beispiel – hier oben gilt das Wildnis-Du – Janina, 36, Landschaftspflegerin aus dem Emsland. Der 43-jährige Willy, Elektriker aus dem rheinland-pfälzischen Flonheim und dreifacher Vater. Markus, 32, Berufsmusiker aus Rosenheim. Die gleichaltrige Linda aus München, im Marketing einer Agrar- und Energiefirma tätig, aber derzeit im Sabbatical; vor zwei Tagen erst ist sie aus Südindien zurückgekehrt. „Wer nimmt das erste Mal an einer Projektwoche des Bergwaldprojekts teil?“, fragt von Riewel in die Runde. Nur wenige Hände gehen hoch. Zwei Drittel sind Wiederholungstäter. Jens aus Dresden ist zum 16. Mal dabei.
„Wir stehen um sechs Uhr auf, Frühstück gibt’s um halb sieben“, lässt von Riewel uns wissen. „Wir wollen was Gutes für die Natur bewirken. Deshalb beginnen unsere Tage früh.“ Was Gutes bewirken im Urlaub: So lautet, kurzgefasst, die Idee des Voluntourismus. Er möchte zwei Welten zusammenbringen, die auf den ersten Blick wenig gemein haben, nämlich Ausspannen und Arbeiten. Kraft schöpfen und nach Kräften helfen, ehrenamtlich. Der Voluntourismus ist „ein kleines Segment der Reisebranche, das aber seit Jahren wächst“, sagt Antje Monshausen, langjährige Leiterin von Tourism Watch, einer Fachstelle für nachhaltigen Tourismus.
Zu den Organisationen, die diese Idee im Natur- und Umweltbereich seit Jahrzehnten vorantreiben, zählt das Netzwerk Wwoof („Worldwide Opportunities on Organic Farms“), das ehrenamtlich Helfende an Biobauernhöfe vermittelt: Was 1971 als Ein-Frau-Initiative in London begann, nutzen heute hunderttausende „Wwoofer“ in mehr als 130 Ländern. Oder der Deutsche Alpenverein: Er veranstaltet seit 1984 Aktionswochen in den alpinen Schutzwäldern Bayerns, dann pflanzen Freiwillige Bäume oder räumen Sturmflächen, alles ist viele Monate im Voraus ausgebucht.
Oder eben das Bergwaldprojekt: 1987 von einem Schweizer Förster und einem deutschen Greenpeace-Mitarbeiter ins Leben gerufen, lädt es ein zu einwöchigen Arbeitseinsätzen in den Alpen, in Mittelgebirgen und Mooren. Die Offerte wird so gerne angenommen, dass die Teilnahme auf eine Woche pro Person und Jahr beschränkt ist. Das Angenehme mit dem Hilfreichen verbinden – eine attraktive Idee offenbar. Doch warum wird man Öko-Voluntourist? Das möchte ich gerne herausfinden.
Von der Hütte im Tal des Friedens geht es um sieben in der Früh rauf auf 1.400 Meter ins Einsatzgebiet. Für den imposanten Panoramablick bleibt keine Zeit; zwei Kilometer Wildzaun warten.
„Mal schauen, ob wir das überhaupt schaffen“, sagt von Riewel. Wir schnappen uns Eimer mit Werkzeug, setzen Schutzbrillen auf. Kurz darauf erfüllt ein Hämmern den Wald, als wäre eine Horde Riesenspechte eingeflogen. Binnen Minuten spielen sich, unabgesprochen, Routinen ein. Janina löst mit Hammer und Krampenzieher den Drahtzaun vom Pfosten. Willy, Schweißperlen auf der Stirn, die Haare zum Zopf gebunden, zerschneidet den abgetrennten Zaun mit einem Bolzenschneider, faltet und trampelt ihn zu Drahtpellets. Jens, der 16-fache Bergwald-Fuchs, schleppt diese mit mir zusammen raus auf den Forstweg.
Auch die Kommunikation entwickelt bald ein Eigenleben. So wie man eine Frage in den Wald hineinruft, schallt eine Antwort heraus. Als etwas durch ihre Hose piekst, hat Janina einen Nadelbaum im Verdacht, einen ganz bestimmten. „Fichte sticht, Tanne nicht – oder?“, ruft sie ins Dickicht wie in eine große grüne Suchmaschine. „Ja!“, ruft es prompt zurück.
Engagement für eine gute Sache spornt zu Leistung an
Als am späten Nachmittag ein Gewitterregen niedergeht, beenden wir unser Tagwerk und treten den Rückweg zur Hütte an. Kleines Feierabendfazit: Meine Beine sind schwer. Der Kopf leer und leicht. Die Unterarme zerkratzt, als hätte ich mit einem Luchs gerungen. Der Lohn der Mühen ist ein warmes Abendessen, bio und regional, vegetarisch und famos, und ein kühles Bier aus dem Brunnen vor der Hütte. Die einen nutzen die internetfreie Zeit für einen Spaziergang. Manche baden im Bach. Andere hocken für ein Würfelspiel zusammen. Alle gehen zeitig zu Bett. Wir sind groggy und wollen morgen wieder was Gutes für die Natur bewirken. Deshalb beginnen unsere Nächte früh.
Morgens um sechs, es klopft an der Tür. Die Beine sind immer noch schwer, vielleicht noch schwerer. Der Steilhang fordert seinen Tribut. Doch der Bergwald ruft. „Gehn wir’s an!“, sagt Willy.
„Nützt ja nix…“, brummelt Jens. Und schon kraxeln wir wieder hinan, durchs Unterholz, zum Restzaun. Der Werkzeugeimer zieht schwer an der Hand. Der Puls trommelt im Ohr. Er wird, als Hintergrund-Beat, die kommenden Stunden bleiben. Darüber das Hämmern der Riesenspechte. Das Knacken der Pfosten, die fallen. Zaunstücke rollen, zu Pellets gestampft, den Berghang hinunter. Der Schweiß rinnt. Die Sonne sticht.
Kurz vor der Mittagspause, Tag zwo erst, vermeldet Markus, der Berufsmusiker: „Wir haben eben die letzte Krampe aus dem letzten Pfosten gezogen.“ Und ob wir zwei Kilometer Wildzaun schaffen!
Projektleiter Hendrik von Riewel kann es kaum glauben. Wobei, vielleicht hat er, der schon mehr als 100 Projektwochen organisiert hat, es insgeheim geahnt. Einkalkuliert, wie viel Enthusiasmus so ein Haufen Helferlein freisetzen kann. Und darauf gesetzt, dass Engagement für eine gute Sache zu einer Leistung anspornt, die sich gerade nicht wie eine Aufwendung im schnöden ökonomischen Sinne anfühlt, sondern wie Energie.
„Ich tue etwas Sinnvolles“
„Ich finde diese Gruppendynamik großartig“, sagt Markus, für den es das zweite Bergwaldprojekt ist. „Anfangs kennt man sich noch gar nicht, und am Ende ist da so ein schönes Gemeinschaftsgefühl.“ Zudem höre man viel über den Klimawandel, aber es passiere wenig, sagt er; da könne man sich manchmal schon etwas hilflos vorkommen. Hier oben habe er das Gefühl, etwas bewirken zu können. „Es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber viele Tropfen können den Stein auch kühlen.“
Ähnlich sieht es Linda, die aus Indien Zurückgekehrte: „Man hat das Gefühl, der Natur etwas zurückgeben zu können.“ Und für Willy ist es eine „Win-win-Situation“: „Ich tue etwas Sinnvolles – und erhole mich dabei. Natürlich nicht körperlich. Aber geistig.“ Auch seine drei Kinder hat er schon zu Bergwaldprojekten mitgenommen.
Der Zaun also ist Geschichte, von der Gruppendynamik hinweggetragen. Ab dem Nachmittag, für den Rest der Woche, werden in den Bergen über Altenau die Hacken und Schaufeln geschwungen, um die Steige wieder in Schuss zu bringen; wichtig für die Jagd aufs Wild, damit junge Bäume eine Chance haben, erklärt von Riewel. Im Jahr werden in diesem Revier, 3.500 Hektar groß, rund 80 Rehe geschossen, 60 Gämsen und bis zu 140 Stück Rotwild.
Vorher aber erst mal eine Verschnaufpause. Mittagessen im Halbschatten einer saftig grünen Wiese, mit Blick auf von Restschnee gesäumte Alpengipfel. Aus einem großen Thermotopf wird in kleinen Stahlschälchen Gemüsesuppe gereicht. Zum Nachtisch gibt es Studentenfutter und Schokolade samt eines kurzen Plädoyers des Projektleiters für eine naturnahe Waldbewirtschaftung, die nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. „Verzicht ist immer etwas negativ behaftet“, schließt von Riewel. „Dabei kann man ja gerade in solch einer Projektwoche sehen, dass reduziertes Leben glückstiftend sein kann“, sagt er und blickt in viele zustimmend lächelnde Gesichter.