Serge Aubin hat die Eisbären Berlin nach einer Katastrophen-Saison wieder zurück in die Erfolgsspur geführt. Der Halbfinaleinzug in den Play-offs trägt seine Handschrift. Der Kanadier hat stets das große Ganze im Blick.
Serge Aubins wichtigste Maxime bei seiner Arbeit als Trainer der Eisbären Berlin lautet: „Ich verstehe diese Mannschaft als eine Familie, die zusammenarbeitet.“ Und wie in jeder Familie gibt es auch bei den Eisbären mal Meinungsverschiedenheiten oder gar Streit, Eifersüchteleien und andere Probleme. Doch in einer gestärkten Gemeinschaft lassen sich diese Dinge viel besser regeln, davon ist Aubin fest überzeugt: „Das Team, die Trainer, einfach alle hier haben das gleiche Ziel, und niemand wird jemals größer sein als das, was wir gemeinsam erreichen können.“ Und in dieser Saison erreichten die Eisbären schon einiges, nachdem sie das schwere Viertelfinal-Duell mit den Adler Mannheim gewonnen haben und im Kampf um die deutsche Eishockey-Meisterschaft ins Halbfinale eingezogen sind. Dabei war der Play-off-Start – eine 1:7-Heimpleite gegen den Erzrivalen – ein herber Nackenschlag für die Eisbären gewesen. Doch wie in einer guten Familie haben sie sich danach zusammengerauft und zusammengehalten.
„Das sollte uns jetzt schon ein wenig peinlich sein“, hatte Aubin unmittelbar nach der deftigen Niederlage gesagt, mit dem nächsten Atemzug jedoch auch betont: „Aber um Mitternacht ist das vorbei.“ Denn: „Wir haben keine Zeit für Selbstmitleid.“ Bereits drei Tage später stand Spiel zwei in Mannheim auf dem Plan, in dem der DEL-Rekordmeister ein völlig anderes Gesicht zeigte. Ein Gesicht, das die Fans aus der Hauptrunde kannten und das der Trainer unmissverständlich eingefordert hatte: „Wir müssen Berliner Eishockey spielen. Mit Leidenschaft, Spaß haben und die Herausforderung annehmen.“ Mit Aggressivität, Lauffreude, Körperlichkeit und Effektivität glich der Hauptstadtclub die Serie mit einem 4:2-Erfolg auf 1:1 aus. Es folgten drei weitere Siege, die den am Ende klaren Halbfinaleinzug perfekt machten.
„Es war eine großartige Serie gegen die Adler Mannheim“, schwärmte Trainer Aubin: „Alle Spiele waren hart umkämpft, Mannheim war sehr gut auf uns vorbereitet.“ Aber eben nicht gut genug. Hoffnung für die Halbfinalserie, die am vergangenen Ostermontag begann, machten vor allem der Einsatzwillen, die wiedergewonnene Effizienz und der starke Rückhalt durch Torhüter Jake Hildebrand. „Das braucht es in den Play-offs“, weiß Aubin. Die Eisbären haben ohne Zweifel ihren Biss wiedergefunden. Womöglich war das denkwürdige 1:7 am Ende sogar ein Geschenk, denn alle bekamen auf schmerzhafte Weise vor Augen geführt, wie man in den Play-offs auf keinen Fall bestehen kann.
„Zum Auftakt waren wir noch etwas eingerostet“, gab Stürmer Zach Boychuk zu: „Danach haben wir uns aber zurückgekämpft.“ Das machte seinen Trainer froh. „Ich bin stolz auf die Reaktion meiner Mannschaft nach der deutlichen Niederlage im ersten Spiel“, sagte Aubin: „Wir sind ruhig geblieben und haben unsere Ordnung nicht verloren.“ Und vielleicht ist es auch ein gutes Omen. Denn das letzte Mal, als die Berliner in einer Play-off-Serie gegen Mannheim eine derartige Klatsche kassiert hatten, war im Halbfinale 2009 (1:6). Am Ende holten sich die Eisbären trotzdem den Meistertitel. Und diesmal scheint Trainer Aubin die richtigen Lehren aus dem Debakel gezogen zu haben. Der Kanadier ließ seinen Frust nicht an den Spielern aus, sondern bot ihnen Hilfe an. „Nach einem schlechten Abend würde ich nicht mit dem Finger auf jemanden zeigen und einen Schuldigen suchen“, sagte der Ex-Spieler einmal, „sondern Möglichkeiten anbieten, daraus zu lernen“.

Unkonventionelle Maßnahmen
Das wissen seine Spieler zu schätzen. Aubins offenes und authentisches Auftreten kommt gut an im Team. „Serge versucht bei allen, einen weiteren Blick zu haben“, sagte Topscorer Marcel Noebels. In den Vier-Augen-Gesprächen gehe es nicht immer nur um Eishockey, sondern mal auch über die private Lebenssituation oder das ein oder andere Problem abseits des Eisrings. „Zu den Spielern pflege ich eine gute Beziehung, aber bin hart im Detail. Wichtig ist es, korrekt zu sein“, sagte der Kanadier mal über seinen Führungsstil und betonte: „Ich bin ein Trainer mit Herz.“
Und mit einem großen Sachverstand, wie er nicht nur bei den beiden Meistertiteln 2021 und 2022 bewiesen hat. Auch den großen Umbruch nach der Katastrophen-Saison 2022/23, als die Eisbären die Pre-Play-offs verpassten und zwischenzeitig sogar den Abstieg in die DEL 2 fürchten mussten, meisterte Aubin vorbildlich. Gestärkt durch eine etwas überraschende Vertragsverlängerung bis 2026 formte der frühere NHL-Profi gemeinsam mit Sportdirektor Stéphane Richer eine neue Mannschaft, die hungriger, schneller, jünger und vor allem erfolgreicher ist. Dabei sind seine Maßnahmen mitunter unkonventionell. Als er zum Beispiel die Parade-Sturmreihe Marcel Noebels/Leonhard Pföderl/Zach Boychuk sprengte, die in der Hauptrunde noch satte 136 Punkte sammelte, waren nicht nur die Experten verwundert. Auch die Spieler verstanden diese Entscheidung nicht sofort. Doch Aubin wusste: Der nach einer Erkrankung genesene Blaine Byron harmoniert ebenfalls prächtig mit Noebels und Pföderl, das hat die Meistersaison 2021/22 eindrucksvoll bewiesen.
Noebels hat sich an derartige Entscheidungen fast schon gewöhnt. Es fällt ihm leicht, weil er fest daran glaubt, dass sein Trainer nur das Beste für das Team und den Verein im Sinn hat. „Ich glaube ihm das“, sagte der Nationalspieler. Für das Vertrauen ist Aubin dankbar, es sei aber auch Grundvoraussetzung für Entwicklung. „Die Jungs hier merken, dass wir ihnen helfen wollen und sind entsprechend bereit, unsere Ratschläge anzunehmen“, sagte er: „Über die Zeit entsteht so ein sehr gutes Fundament.“ Er wolle in seiner Arbeit an der Bande „die Spieler antreiben“ und „sicherstellen, dass sie besser werden“. Doch dafür müssten diese mitunter auch aus ihrer Komfortzone herausgenommen werden.
Als vor der Saison ein neuer Kapitän für die abgewanderte Eisbären-Ikone Frank Hördler gesucht wurde, hatte sich Noebels große Hoffnungen auf das Amt gemacht. Schließlich ist er seit Jahren Topscorer und Führungsspieler im Team, sein Standing in der Kabine ist ebenso einwandfrei wie sein eloquentes Auftreten vor der Presse. Doch Aubin wählte Verteidiger Kai Wissmann. „Die Kapitäns-Situation hat mich schon die eine oder andere Nacht beschäftigt“, gab Noebels zu: „Ich denke, dass es kein anderer Trainer geschafft hätte, dass ich das nicht zu persönlich nehme.“ Doch der Stürmer vertraute am Ende der Entscheidung seines Coaches, weil dieser ihm seine Gründe verständlich erläuterte und ihm weiterhin den Rücken stärkte. „Er behandelt mich so, dass ich auf Topniveau spielen kann und gibt mir das Gefühl, wie wichtig ich für den Verein bin“, erklärte Noebels. Aubin weiß, dass der richtige Umgang mit den Spielern von großer Bedeutung in seinem Job ist: „Du entwickelst Spieler nur, wenn sie voller Überzeugung sind, dass sie von uns Hilfe erhalten.“ Aubin versichert, dass all seine Entscheidungen einem großen Ziel untergeordnet sind: Erfolg für die Organisation. Als Trainer müsse man „immer diese Gesamtentwicklung im Auge haben und entsprechende Reize setzen“, sagte der 49-Jährige. Dabei lasse er sich auch von kurzfristigen Rückschlägen nicht beirren – so lange er an den langfristigen Erfolg seiner Maßnahmen glaubt. „Wenn es mal ein, zwei Wochen etwas knirscht, ist das nicht schlimm, aber es muss klar sein, dass du nicht stehen bleibst.“