Am 7. April finden in Polen Kommunalwahlen statt – das erste politische Stimmungsbild seit der Parlamentswahl. Ein nicht ganz reibungsloser Amtsübergang, angeschlagene Nationalkonservative und neue Europa-Gegner überschatten diese allerdings.
Er habe nicht anders gekonnt, als zurückzukommen. So hatte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk seinerzeit die Kandidatur begründet. Denn bereits 2007 war Tusk in der polnischen Regierungsverantwortung gewesen, verließ das Land aber 2014 gen Brüssel, wo er zum EU-Ratspräsidenten wurde. Denn Europa hat einen ganz besonderen Platz im Herzen des Politikers der Platforma Obywatelska (PO). Doch hätte er gewusst, was in den 2.949 Tagen nach der nächsten turnusgemäßen Wahl passieren sollte, hätte er es sich vielleicht anders überlegt.
Umstrittene Machenschaften
Die PO rutschte auf 16 Prozent ab und mit Beata Szydło und später Mateusz Morawiecki gelangten zwei Mitglieder der national-konservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) an die Macht – und mit ihnen kehrten teils abstruse Praktiken in den politischen Alltag Polens ein. So wurde die Unabhängigkeit der Justiz unter dem Deckmantel einer „Justizreform“ in Teilen untergraben, der öffentliche Rundfunk TVP unter staatliche Kontrolle gestellt und Grenzkontrollen ausgebaut. Maßnahmen, die nicht nur im In-, sondern gerade auch im Ausland zu einigen Kontroversen führten.
„Das Böse, das die PiS tut, ist unverschämt und in nahezu allen Fällen für jeden sichtbar“, sagte Tusk. „Wenn du das Böse siehst, dann musst du es bekämpfen.“ Einen Kampf, den er auch gewinnen sollte: Im Oktober 2023 wurde er zurück ins Amt gewählt, doch der Übergang sollte alles andere als geräuschlos verlaufen. Denn die PiS zeigte sich nach der Wahlniederlage geschwächt. Insbesondere das Image von Parteichef Jarosław Kaczyński, der in Expertenkreisen als herausragender Stratege galt, bröckelte gewaltig. In einem verbalen Rundumschlag gegen die neue Regierung versuchte er nicht einmal, seine Abneigung gegenüber Tusk zu verstecken: So warf er dem Tusk-Kabinett vor dem Hintergrund der Medienreform – die auf Rechtsgrundlage des Gesetzbuchs für Handelsgesellschaften und nicht auf einem regulären Gesetz beruhte – vor: „Tusks Wille ist das Gesetz. Es hat schon Leute gegeben, für die ihr Wille das Gesetz war. Der Wille des Führers war auch das Gesetz.“
Das regierende Lager, das nur unter großem Wiederstand und erst im Januar Zugriff auf den Sender TVP erlangte, argumentiert, die Änderungen seien legal und zielten darauf ab, die öffentlichen Medien zu entpolitisieren, die unter der PiS-Herrschaft zu einem „Propagandainstrument der Regierung“ geworden seien. Kaczyńskis Hitler-Vergleiche kommentierte man nicht. Genauso wenig dessen Vorwürfe, Tusk sei „Berlins Agent“ in Polen und er versuche, Polen „zu Knechten von Leuten aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, zu machen.“ Nach einer weiteren Äußerung, in der Kaczyński der Regierung vorwarf, zwei wegen Amtsmissbrauch verurteilte PiS-Politiker seien vom Staat gefoltert worden, forderte der in PiS-Kreisen angesehene Historiker Andrzey Nowak seinen Rücktritt als Parteivorsitzender. Daraufhin gelobte der 74-Jährige Besserung: „Ich habe einen Plan. Ich will auch nicht, dass jemand mir vorwirft, ich sei ein Deserteur“, sagte er, stichelte aber bereits kurz darauf gegenüber dem polnischen Magazin „Sieci“, er könne seine Anhänger „im Kampf gegen einen so brutalen Gegner“ wie die Mitte-links-Koalition Tusks, „nicht im Stich lassen.“
Dennoch: Sieht man sich aktuelle Umfragen an, ist die Unterstützung der Bevölkerung gegenüber Kaczyńskis PiS allein im Januar um weitere fünf Prozentpunkte gesunken. Das liegt unter anderem am teilweise noch immer gespaltenen Auftritt. Es macht der einstigen Regierungspartei noch immer zu schaffen, Maßnahmen der neuen Regierung nicht mehr stoppen, mittlerweile nicht mal mehr verlangsamen zu können. Und das nächste Problem klopft bereits an die Tür: In einer ganzen Reihe Ministerien und Instituten laufen derzeit Rechnungsprüfungen. Vermutungen liegen nahe, dass die PiS Staatsgelder „privatisiert“ habe und damit mutmaßlich Verluste im Staatshaushalt verursacht habe – von Milliardenbeträgen ist die Rede.
Es geht um mehr als „nur“ Bürgermeister
Publicity, die die PiS mit Blick auf die Kommunalwahlen am 7. April ganz und gar nicht gebraucht hätte. Denn nach ersten Hochrechnungen wird die amtierende „Bürgerkoalition“ (Koalicja Obywatelskiej, KO), die gemeinsam als Block in den Kommunen antritt, in 15 der insgesamt 16 Woidwoschaftsversammlungen die Stimmenmehrheit erlangen. Das liege zu einem großen Teil daran, dass die teils emotionsgeladenen Themen der PiS in der kommunalen Politik weniger interessieren, begründet Tusks Parteikollege Dariusz Joński: „Die Wähler interessiert es, warum ihnen eine Straße versprochen wurde, diese aber nicht gebaut wurde, ob ein Bus sie erreicht.“ Kommunalwahlen in Polen haben allerdings erfahrungsgemäß eine eher geringe Wahlbeteiligung innerhalb der Bevölkerung: 2018 beteiligten sich 54,9 Prozent – ein Rekordwert, denn sonst liegt die Beteiligung bei gerade einmal 47 Prozent. Dieses Jahr erwarten Experten mehr Polinnen und Polen an den Wahlurnen, wenn auch nicht exorbitant mehr – nicht zuletzt die vergangenen Parlamentswahlen hätten die Bevölkerung aufgerüttelt. Und die Wahlen haben eine weitaus größere Bedeutung für das Land als auf den ersten Blick ersichtlich. Gewissermaßen ist es so etwas wie die erste Bewährungsprobe für Tusks Koalition. „Diese Wahlen sind äußerst wichtig“, betont auch der Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski (PO), der sein Amt in der polnischen Hauptstadt verteidigen möchte. „Das ist der zweite Schritt (nach den Parlamentswahlen, Anm. d. Red.), der uns helfen wird, die Demokratie zu stärken.“
Doch von der Wahlkampfstimmung profitieren auch Dritte. Einer davon: Ex-PiS-Politiker Robert Bakiewicz. Der für seinen tiefen katholischen Glauben bekannte Bakiewicz gründete mit der Konfederacja („Unabhängigkeit“) eine neue Partei. Das Kernziel: Der „Polexit“ – also der Austritt Polens aus der Europäischen Union. „Die Europäische Union in ihrer heutigen Form ist eine Last. Sie ist überholt und perspektivlos“, so Bakiewicz. Das werde auf lange Sicht der Wirtschaft schaden. Dabei lebt diese zu einem nicht geringen Teil von Exporten. Insbesondere die Automobil- und Maschinenbauindustrie sowie die Möbelproduktion tragen maßgeblich zu den Exporten Polens bei. Der wichtigste Handelspartner: Deutschland. Im vergangenen Jahr lieferte Polen 27,84 Prozent aller Exportgüter in die Bundesrepublik. Allein in Berlin belief sich der Außenhandel mit Polen auf 4,11 Milliarden Euro – und macht Polen somit erstmals zum wichtigsten Handelspartner der Hauptstadt. Über die Einschnitte eines EU-Austritts an dieser Stelle sollte der „Brexit“ genug aufgeklärt haben.
Rund ein Fünftel der Polen unterstützt einen Austritt, wie eine Umfrage in Polen zeigte. Experten sehen darin nicht nur eine Folge der jüngsten Diskussion über ukrainisches Getreide, sondern auch eine Folge misslungener Kommunikation. Es gäbe bereits seit Längerem einen Mangel an „angemessener positiver Kommunikation“ hinsichtlich der Europäischen Union. „Acht Jahre lang gab es in Polen immer häufiger antieuropäische Darstellungen, welche die Regierung bei Misserfolgen zu ihren Gunsten nutzte, und es gab auch immer mehr ‚Polexit‘ in der polnischen Öffentlichkeit. Deshalb passiert das gerade“, erklärt eine Polit-Expertin der „Future Force Foundation“ in Warschau.
Auch das soll ein Grund gewesen sein, warum Tusk sich wieder in den Dienst des Landes stellt. „Polen ist nach Europa zurückgekehrt“, hatte er kurz nach seiner Vereidigung am Rande seines ersten EU-Gipfels als neuer Landeschef gesagt. „Für mich ist dies der wichtigste Moment in meinem politischen Leben.“ Natürlich sei „unser Europa nicht perfekt“, sagt auch Tusk. „Aber es hat bis jetzt nie etwas Besseres gegeben.“ Ob die Polinnen und Polen das am Ende auch so sehen, wird mit Sicherheit auch ein Stück weit die Kommunalwahl verraten.