In Deutschland stagniert Bedürftigkeit auf hohem Niveau, im Saarland ist die Quote zuletzt noch gestiegen. Sozialminister Magnus Jung will mit quartierbezogenen, ganzheitlichen Projekten neue Wege in der Armutsbekämpfung gehen.
Der Paritätische Gesamtverband hat seinen Armutsbericht vorgestellt, mit Botschaften, die sich durchaus unterschiedlich lesen lassen. „Armut in Deutschland verharrt auf hohem Niveau“, schreibt der Verband gleich vorweg zu seinem aktuellen Armutsbericht. Was zumindest heißt, dass Armut in Deutschland nicht weiter zugenommen hat. „Aber einen Grund zur Entwarnung gibt es nicht“, mahnt der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider, gleich bei der Vorstellung. Der Trend zu einer stetig steigenden Armutsquote auf Bundesebene scheine zwar auf den ersten Blick gestoppt, „aber noch lange nicht gedreht“.
Mit den im Bericht genannten 14,2 Millionen Menschen, die in Deutschland in Armut leben, ist die Zahl zwar im Jahresvergleich in etwa gleich geblieben, allerdings hatte sich zuvor infolge von Corona-Pandemie, Energie- und Inflationskrise diese Zahl um rund eine Million erhöht.
Daran, dass vor allem Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Menschen mit schlechten Bildungsabschlüssen besonders betroffen sind, hat sich nicht viel geändert. Bei Alleinerziehenden liegt die Armutsquote bei deutlich über 40 Prozent (43,2 Prozent) und bei Kindern deutlich über 20 Prozent (21,8 Prozent). Beides wiederum liegt deutlich über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung (16,8 Prozent). Fast zwei Drittel der armen Erwachsenen gehen einer Arbeit nach, oder es sind Rentner, deren Löhne oder Renten auf Armutsniveau liegen. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat, der Schwellenwert für Armutsgefährdung liegt derzeit bei knapp 15.000 Euro im Jahr, also knapp 1.200 Euro im Monat (für Alleinlebende).
Woran sich strukturell ebenfalls nichts geändert hat, ist die teils extrem unterschiedliche regionale Verteilung. Diesbezüglich ist Deutschland dreigeteilt. In Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg liegt die Quote unter 15 Prozent, im Saarland, in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Hamburg und Bremen jeweils über 19 Prozent, alle anderen Bundesländer liegen irgendwo dazwischen.
Das Saarland gehört gleichzeitig zu den Ländern beziehungsweise Regionen, in denen die Armutsquote im untersuchten Zeitraum 2021 bis 2022 besonders deutlich gestiegen ist, nämlich um neun Prozent.

So wie sich die grundlegende Situation nicht wesentlich verändert, sind auch die Forderungen, die der Paritätische Gesamtverband daraus ableitet, nicht überraschend: ein Mindestlohn von 15 Euro, Ausbau der Kinderbetreuung, Kindergrundsicherung sowie eine solidarische Pflegeversicherung als Vollversicherung. Die Grünen im Bundestag haben sich umgehend der Mindestlohnforderung angeschlossen.
Regional sehr ungleiche Verteilung
An den Grundstrukturen würde das allerdings nichts Entscheidendes ändern. Armut in Deutschland hat sich längst verfestigt. So bestätigt Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa, dass das Sprichwort „Einmal arm – immer arm“ nach wie vor gültig ist. „Alle Daten bestätigen: Wer in Deutschland im Jahr 2023 arm ist, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit 2028 auch noch sein.“ Etwa 70 Prozent der Menschen, die in den letzten fünf Jahren in Armut gelebt haben, würden auch in der kommenden Fünf-Jahres-Periode arm bleiben.
Das Saarland ist diesem Bericht zufolge mit dem Anstieg der Armutsquote auf 19 Prozent im Bundesländervergleich von Platz sieben auf zwölf zurückgefallen. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen verzeichnet das Saarland eine besonders hohe Armutsquote. Das hat auch eine Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage im vergangenen Jahr bereits gezeigt. Die Quote lag mit 18,5 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Nur in Stadtstaaten lag sie höher. Rund 27.400 Kinder und Jugendliche waren demnach leistungsberechtigt.
Die saarländische Armutskonferenz hatte im vergangenen Jahr darauf hingewiesen, dass Armut im Saarland keineswegs nur ein Problem der Ballungszentren ist. Auch auf dem Land gebe es viel Armut, wobei es sich oft um sogenannte versteckte Armut handelt. Die Armutskonferenz hatte sich insbesondere mit Armut in ländlichen Regionen beschäftigt, mit dem Ergebnis: In der Stadt fehlt Wohnraum, und beim verfügbaren Wohnraum auf dem Land fehlt es an Infrastruktur, vom ÖPNV über medizinische Versorgung bis zu sozialen Beratungsangeboten. So sei neben der finanziellen Armut auch soziale Armut ein Problem.
Sozialminister Magnus Jung hatte zu Beginn seiner Amtszeit neue Ansätze in der Armutsbekämpfung angekündigt und die Pläne zu quartiersbezogenen Modellprojekten kürzlich vorgestellt. Dabei geht es nicht nur um sozialpolitische Maßnahmen im engeren Sinn, sondern um einen umfassenderen Ansatz, mit dem diese besonders belasteten Quartiere insgesamt entwickelt werden sollen. Dazu gehören wohnungs-, verkehrs- und migrationspolitische Ansätze ebenso wie Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung. Schon durch die Vernetzung aller Ansätze verspricht sich Sozialminister Jung eine deutliche Hebelwirkung und vor allem eine nachhaltige Perspektive. Schließlich hätte auch der Sozialbericht deutlich gemacht, dass es nicht nur einen Grund für Armut gebe. Folglich seien ganzheitliche Ansätze notwendig, und das mit einer Entwicklungsperspektive. Deshalb sind die Projekte für diese „Quartiere im Aufbruch“ auch auf einen Zeitraum von zehn Jahren angelegt. Konkret ausgewählt wurden zunächst drei Orte: Saarbrücken-Burbach, Neunkirchen-Innenstadt und Völklingen-Innenstadt-Nord.
Start ist kurz nach Ostern in Völklingen, wo Minister Jung mit Völklingens Oberbürgermeisterin Christiane Blatt einen entsprechenden Letter of Intent zur quartiersbezogenen Armutsbekämpfung unterzeichnet. Auch in Neunkirchen wird dieser neue Ansatz ausdrücklich begrüßt. Damit werde das Armutsthema „aus der gesellschaftliche Tabuzone“ herausgeholt, betonte Oberbürgermeister Jörg Aumann.