Jedes Jahr im Frühjahr ziehen Freiwillige in die Wälder, um Müll aufzusammeln. Der Forstwissenschaftler Prof. Sebastian Hein hat den Waldputztag begründet. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen bei der Aktion, inwiefern Plastik die Tiere schädigt und welche Vorteile bio-basierte Wuchshüllen bringen.
Herr Prof. Hein, wie kam es, dass Sie zusammen mit Studierenden den „Forest Cleanup“ ins Leben gerufen haben?
Im Jahr 2010 ist mir immer mehr aufgefallen, dass Plastik in der Forstwirtschaft verwendet wird. Das war kurz bevor der Hype um die Plastikvermüllung der Ozeane aufgekommen ist. In der Forstwirtschaft sind mir besonders die Wuchshüllen aus plastikbasierten Materialien ins Auge gestochen. Ich dachte, dass das ja gar nicht zu unserer festen Überzeugung als Forstleute passt, wo wir doch auf Nachhaltigkeit und Kreislaufgedanken setzen.
Was genau haben Sie dann unternommen?
Weil sich keiner um diese Sache gekümmert hat, habe ich damit begonnen, in dem hochschuleigenen Lehrwald einen Parcours anzulegen. Mein Ansatz war zu beobachten, wie die Wuchshüllen in der Forstwirtschaft überhaupt funktionieren. Das Problem dabei ist, dass sich diese plastikbasierten Hüllen mit der Zeit nicht von selbst und auch nicht hundertprozentig rückstandslos zersetzen. Es kann also passieren, dass bei der Bewirtschaftung mit dem Freischneider versehentlich eine Hülle beschädigt wird und so Plastikreste im Wald bleiben. Außerdem hat mich ein anderer Umstand dazu veranlasst, den „Forest Cleanup“ zu initiieren: Die Kolleginnen und Kollegen sind in der Regel montags unterwegs, um an neuralgischen Stellen und Erholungsplätzen zu prüfen, ob dort illegal Müll abgelagert wurde, also auch eventuell vom Feiern übrig geblieben ist. Der Müll, der sich auf Forstgrund beziehungsweise auf Grund des Waldeigentümers befindet, muss natürlich weggeräumt werden. Ich dachte mir, man muss in den Wäldern saubermachen, um einerseits die Forstleute zu unterstützen, aber auch um sie wachzurütteln.
Wie viele Studierende haben beim ersten Mal mitgemacht?
Zum „Forest Cleanup“, auch Waldputztag genannt, haben wir in diesem Jahr zum dritten Mal aufgerufen. Wie viele sich in diesem Jahr beteiligt haben, kann ich noch nicht sagen, weil einige Müllsammlungen noch ausstehen. Angemeldet waren alles in allem 62 Aktionen über das ganze Bundesgebiet verteilt. Im ersten Jahr waren es ungefähr 1.000 Freiwillige bundesweit, im zweiten Jahr 1.600. Zu Ihrer Frage: Zurzeit sind ungefähr 300 Forststudierende an unserer Hochschule eingeschrieben, ich schätze, dass davon immer ein Drittel mitmacht. Ich selbst war mit einer kleinen Gruppe im Raum Mannheim unterwegs. Wo die anderen unterwegs waren, kann ich im Einzelnen nicht noch sagen, denn alle können selbstständig ihre Aktion auf der Webseite www.waldputztag.de eintragen. Wir kontrollieren nur, dass dort keine anstößigen Inhalte veröffentlicht werden. Ansonsten geben wir unser Okay und sagen, das könnt ihr machen. Bisher ist das nicht vorgekommen, aber wir sind gehalten, das zu beobachten. Ein Kollege vom Landeswaldverband Baden-Württemberg übernimmt die Kontrolle.
Würden Sie sagen, dass sich die Resonanz im Laufe der vergangenen Jahre positiv entwickelt hat?
Für dieses Jahr kann ich noch nichts sagen, ich denke aber, dass es positiv verlaufen wird. Ich mache das ehrenamtlich, das heißt, ich kann keinen Mitarbeiter anstellen, der mich unterstützt. Neben einer vollen Professur, Lehrveranstaltungen und Forschungsprojekten mich ehrenamtlich zu engagieren, ist schon sportlich. Normalerweise lese ich samstags wissenschaftliche Publikationen. Ich vermute, dass sich dieses Jahr etwas weniger als in den Vorjahren beteiligt haben.
Erzählen Sie doch mal aus eigener Erfahrung vom Waldputztag.
Die Stimmung unter den freiwilligen Teilnehmern ist immer sehr gelöst und locker. Keiner, der mitmacht, muss sich fragen, ob er die Zeit anders oder besser hätte nutzen können. Das ist eine absolut sinnstiftende Arbeit! Ohnehin sind nur diejenigen dabei, die davon überzeugt sind und einen guten Willen mitbringen.
Warum sollten eigentlich auch die all diejenigen mitmachen, die noch nicht den Aktionstag kennen?
Einfach weil es eine tolle Erfahrung und etwas Sinnvolles ist. Auf diese Weise, auch wenn es ein sehr kleiner Beitrag ist, schützen wir Tiere davor, dass sie zum Beispiel kleine Styroporkügelchen fressen. Ich glaube, dass es auch unserem menschlichen Bedürfnis entspricht: Der Wald soll einfach schön sein. Man spürt sofort, dass da diese Dose nicht hingehört. Das haben wir in unserem ästhetischen Empfinden verinnerlicht. Auch die Plastiktüte, die sich in einem Zweig verfangen hat, gehört da nicht hin. Es ist einfach ein erfüllendes Gefühl mitzumachen. Wenn man am Ende die Menge des gesammelten Mülls sieht, kann man sich freuen. Wir haben beim letzten Waldputztag viel Styropor gefunden, was zwar ein großes Volumen, aber wenig Gewicht bringt. Wenn es uns jedoch gelingt einen „großen Fisch“ rauszuziehen, wie letztens den Teil eines Kühlschranks, ist das total befriedigend und ein echtes Abenteuer.
Gibt es noch andere Fundsachen, die überhaupt nichts im Wald verloren haben?
Natürlich ist auch schon vorgekommen, dass wir ein Autowrack im Wald gefunden haben. Allerdings ist das Fahrzeug erst ein Jahr später entfernt worden, und auch erst, nachdem ich mit dem Fund an die Presse gegangen bin. Bei unserer jüngsten Sammelaktion haben wir vor allem kleine Dinge gefunden. Etwa sieben bis acht Zentimeter lange, weißliche Plastikröhrchen. Schließlich fiel einem aus unserer Gruppe ein, dass diese Stifte von Q-Tips, also den Wattestäbchen fürs Ohr, stammen können. Über mehrere Zehner-Quadratmeter verteilt lagen dort Hunderte von denen. Das gehört da nicht hin und ist allenfalls gut für die Archäologen der Zukunft.
Warum stellt der an der Oberfläche liegende, sichtbare Müll im Wald nur die Spitze des Eisberges dar?
Es gibt zurzeit keine Erfassung, wie viel Müll in den deutschen Wäldern illegal abgelagert wird und dort verbleibt. Wir arbeiten im Moment einen Forschungsantrag dazu aus. Viele machen kleine Sammelaktionen oder die Revierverantwortlichen sammeln ein, wenn sie was im Wald entdecken. Es gibt allerdings keinen zentralen Ort, wo alle den gesammelten Müll aufsummieren können, sodass man wüsste, wie viel es insgesamt ist. Auf der Waldputztag-Seite kann jeder über das ganze Jahr eintragen, was er findet. Nur gemeinsam, denke ich, können wir von der Landes- und Bundespolitik gesehen werden, wenn wir wissen wie viel Müll jedes Jahr zusammenkommt. Warum sollte nicht einmal ein Ministerpräsident die Schirmherrschaft über eine Serie von Waldputzaktionen übernehmen? Darum geht es doch eigentlich: aus der Nische herauszukommen und mehr Leute zu erreichen. Das ist eine Graswurzel-Bewegung, die Leute sollen selbst etwas machen, sollen vielleicht den zuständigen Förster kontaktieren und die Aktion bei der Kommune anmelden. Der Vorteil dabei ist, dass man dann versicherungstechnisch im Falle eines Unfalls über die Stadt oder Gemeinde abgesichert ist. Außerdem muss die Aktion ehrenamtlich sein, also man muss deutlich machen, dass man keine Gewinnabsicht verfolgt.
Inwiefern schädigt das in die Böden gelangte Plastik das Ökosystem Wald im Gesamten?
Auf zweierlei Weise. Tiere können sich in Müllresten verfangen und es mit der Nahrung aufnehmen. Leider kennt man fast nur diese Beispiele von Meeresbewohnern, also etwa Delfine und Wale, die aufgrund der mit Plastik gefüllten Mägen elendig verhungern.
Welche Tiere sind im Wald betroffen?
Ein Igel kann mit seiner Schnauze in der Öffnung einer Blechbüchse hängen bleiben. Der Igel ist ein beliebtes Tier – auch des Waldes, das darf natürlich nicht passieren. Der zweite mögliche Weg: Die Stoffe, die im Plastik verarbeitet sind, um die Festigkeitseigenschaften zu verändern. Diese sogenannten Additive sind oft polyzyklisch-aromatische Kohlenwasserstoffe, wie etwa Bisphenol A. Das Problematische ist, dass sie hormonell auf Tiere wirken und so ihre Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt werden kann. Das ist ein schwerwiegender Eingriff, der uns aber nicht betrifft, weil er im Kleinen passiert. Dennoch muss das aufhören.
Dazu passt auch, dass Sie sich für eine bio-basierte Wuchshüllen-DIN-Norm starkmachen. Zuerst einmal: Wozu braucht es
überhaupt Wuchshüllen?
Wuchshüllen oder auch Wuchsgitter haben zwei wesentliche Funktionen. Die Pflanze soll gegen Wildverbiss geschützt werden. Normalerweise wird der Wildbestand durch Prädatoren, also Wolf und Fuchs, reduziert, sodass sich der Wald von alleine verjüngen kann. Der Wolf ist zwar noch nicht flächendeckend zurückgekehrt, stellt jedoch eine Konkurrenz für Jäger dar. Weil wir den Wolf zurückgedrängt haben, müssen wir selbst etwas tun, um die Pflanzen zu schützen. Wuchshüllen werden in Deutschland ab Anfang der 90er-Jahre intensiv verwendet. In erster Linie sollen sie davor schützen, dass Hirsche und Rehe nicht die Knospen der Pflanzen fressen. Zum anderen erzeugt die Hülle einen gewissen Treibhauseffekt, sodass die Pflanze darin besser wachsen kann.
Wie weit sind Sie bis jetzt mit diesem Vorhaben gekommen?
Die DIN-Norm wird 35808 heißen. Wenn Unternehmen ihr Produkt nach dieser Norm zertifizieren lassen möchten, ist das Zertifizierungsunternehmen festgelegt, wie die Messungen nach Bio-Basiertheit und nach Bio-Abbaubarkeit durchgeführt werden sollen. Das muss bis ins kleinste Detail geregelt sein, wie das in einem solchen Labor abläuft, wie man etwa Wuchshüllen-Proben entnimmt, usw.. Die DIN-Norm ist zurzeit zu zwei Drittel fertiggestellt. Im Moment läuft bei der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe ein Antrag, bei dem wir mit dem Hohenheim Institut für Textilforschung daran arbeiten, diese Norm zu finalisieren.
Das wäre sozusagen die erste bio-basierte Wuchshüllen-DIN-Norm?
Ja, genau. So etwas gibt es bisher noch nicht. Es gibt andere Normen, die auf die Bio-Abbaubarkeit zielen. Bio-basiert und biologisch abbaubar haben allerdings nichts miteinander zu tun. Bio-basiert heißt, dass das Material aus natürlichen Rohstoffen stammt. Biologisch abbaubar bedeutet, dass das Medium in einem Prüfkörper hundertprozentig abbaubar ist, das heißt, er zersetzt sich zu Wasser und Kohlendioxid. Beide Aspekte werden in der Norm adressiert!
Was braucht es außer dem Waldputztag, damit Menschen anfangen, den Wald als schützenswerten Natur-, Lebens- und Erholungsraum zu respektieren?
Ich glaube eine gewisse Bescheidenheit und die Einsicht, dass wir nur endliche Ressourcen haben. Auch ohne Verzicht wird es nicht gehen, denn wir leben weit über unsere Verhältnisse. Man kann auch mal ein altes Hemd anziehen oder eine Fleecejacke länger tragen. Auf Ihre Frage weiß ich jedoch keine optimale Lösung, sich selbst zu verändern dauert eben!