Das Autoren-Duo Uwe Eduard Schmidt und Jörn Wallacher unternimmt mit „‚Dich sah ich wachsen, Holz‘. 100 + 1 Jahre Saar-Wald-Kultur“ eine Zeitreise durch die Entwicklung des Waldes unserer Region.
Herr Prof. Schmidt, Herr Wallacher, Sie zitieren Brecht: „Weißt du, was ein Wald ist? Ist ein Wald etwa nur zehntausend Klafter Holz? Oder ist er eine grüne Menschenfreude?“ Lässt sich das Zitat aus dem Theaterstück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ als Motto ihrer Zeitreise lesen?
Uwe Eduard Schmidt: Eindeutig ja, ganz bewusst steht das Zitat ganz zu Anfang unseres Buches. Das bringt bereits der Untertitel „100 + 1 Jahre Saar-Wald-Kultur“ des Covers zum Ausdruck. Die Wortkomposition „Saar-Wald-Kultur“ berücksichtigt in Anlehnung an Brechts Zitat per se zwei wesentliche Waldperspektiven: zum einen der saarländische Forst im wirtschaftlichen Sinne als Produktionsfaktor und Arbeitsstätte; zum anderen die herausragende gesellschaftliche Bedeutung des saarländischen Waldes als „grüner Sozial- und Kulturraum“.
Jörn Wallacher: Der Wald wird auf diese Weise zu einem facettenreichen Spiegelbild der gesamten geschichtlichen Entwicklung der saarländischen Gesellschaft der letzten 100 + 1 Jahre.
Gerade zu Coronazeiten war zu erleben, wie sehr der Wald geschätzt wird.
Wallacher: Die für Deutschland einmalige Waldachse, die der Warndt zusammen mit dem Saarkohlenwald als grünes Band inmitten des bevölkerungsreichen Ballungsraumes im Süden unseres Landes bildet, war für die Menschen zum rettenden natürlichen Zufluchtsort „vor ihrer Haustür“ geworden. In allen Wäldern bis zum Hochwald im Norden konnten sie sich zu Tausenden verlaufen, ohne einander zu nahe zu kommen. Das gilt auch für kommende Krisenzeiten wie Hitzesommer oder Dürremonate. Die Wertschätzung für den Wald gilt natürlich ebenso für den ganz normalen Jahresverlauf. In wenigen (Anfahr-)Minuten kann man von allen Wohnorten aus nahegelegene Wälder erreichen. Das freie Betretungsrecht macht es möglich, Spazier- und Wanderwege, circa 500 Kilometer Reit- und Radwege und viele naturbelassene Pfade zu benutzen. Kinder können im Wald frei spielen, Spaziergänge sind bei jedem Wetter möglich … Allen hilft der Wald.
Der Saarwald-Verein wurde 1907 gegründet und 1979 als erster Naturschutzverband im Saarland anerkannt – die Saarländer sind naturverbunden. Gleichzeitig ist das Saarland Auto-Land und beabsichtigt, Flächen zur Industrieansiedlung freizugeben. Dieses Spannungsfeld muss immer wieder neu ausgehandelt werden.
Wallacher: Zu diesem Spannungsfeld kommen ja auch Wünsche nach Wohnbauflächen am Ortsrand und neuerdings Windenergieanlagen inmitten der Wälder hinzu, die dem Wald zu Leibe rücken. Natürlich muss ein traditionelles Industrieland wie unseres im Landnutzungsmosaik dynamisch bleiben, worum sich der neue Landesentwicklungsplan bemüht. Unsere einmalige Waldflächenstruktur sollte aber unangetastet bleiben, die wie ein grünes Netzwerk unser Land mehr oder weniger gleichmäßig überzieht, denn sie ist ökologisches Rückgrat und grünes Grundgerüst unserer Kulturlandschaft: der „Wald als Wasserwerk“ wird als Trinkwasserressource immer notwendiger werden, als „Kühlschrank“ in der sich aufheizenden Landschaft unverzichtbar sein, als materielle Ressource der Holzgewinnung nicht nur zur CO2-Bindung im Baubereich zukunftsweisend bleiben, und auch als „Arche Noah“ in der ansonsten vom Artensterben bedrohten Kulturlandschaft Bedeutung erlangen.
Ist das Saarschleifen-Foto aus dem Jahr 1920 mit den kahl geschlagenen Waldflächen ein anschauliches Beispiel dafür, dass Unmengen Holz für den Grubenausbau beim Bergbau benötigt wurden?
Schmidt: Der Bildvergleich Saarschleife 1920 und 2020 zeigt die Dynamik der saarländischen Waldlandschaft, die durch Waldflächenzugewinne im ländlichen Raum geprägt war und weiterhin ist. Dieses Phänomen steht im krassen Gegensatz zur Frage des Walderhalts in urbanen und industrialisierten Regionen des Saarlandes. Waldflächenverluste sind dabei dem verstärkten Industrieausbau und dem hohen Bedarf an Siedlungsflächen geschuldet. Zudem hat der hohe Grubenholzeinschlag in der Geschichte weniger zu einer Übernutzung der Waldbestände geführt; vielmehr wurden bestimmte Baumarten für die Montanindustrie nachgefragt. Dennoch haben sich überwiegend Laubholzbestände in den saarländischen Wäldern halten können.
Davon, was sich im Zweiten Weltkrieg im Wald abgespielt haben mag, geben Erlebnisberichte von Soldaten und Zivilisten
einen Eindruck. Welche Rolle kam dem Wald in Kriegszeiten zu?
Schmidt: Der Wald nimmt im Zweiten Weltkrieg verschiedene Rollen ein. Er kann einerseits direkter Kriegsschauplatz sein und andererseits ist er bei bestimmten Kriegshandlungen sowohl Verbündeter als auch Opfer zugleich. Diese verschiedenen Perspektiven auf den Wald haben wir anhand von Erlebnisberichten von Soldaten und Zivilisten beleuchtet. Holz und andere Waldprodukte dienten während des Krieges der nationalen Grundversorgung. Zudem wurde der Wald ideologisch aufgeladen. Die Bewirtschaftungsgrundsätze des Waldes wie beispielsweise Durchforstung, Baumartenauswahl und Schädlingsbekämpfung wurden mit nationalsozialistischer Rassenideologie gleichgesetzt.
Nach dem Krieg haben Frauen in den Städten den Schutt zerbombter Gebäude weggeräumt, aber Sie berichten von „Trümmerfrauen des Waldes“.
Schmidt: In der Nachkriegszeit haben Saarländerinnen als Trümmerfrauen den Wiederaufbau des Saarlandes wesentlich ermöglicht. Die Arbeit dieser starken Frauen wird in der deutschen Nachkriegsliteratur in vielerlei Form gewürdigt. Dabei wird oft vergessen, dass zeitgleich Waldarbeiterinnen den kriegszerstörten Wald maßgeblich wieder aufgeforstet haben. Diesem Phänomen trägt unser Buch in hohem Maße Rechnung, zumal erst viel später Frauen in höher gestellten Forstberufen Fuß fassen konnten. Dieser waldbezogene Genderaspekt wird in einem gesonderten Kapitel ausgiebig behandelt.
Das Saarland ist zu 36 Prozent der Fläche von Wald bedeckt, vorrangig mit Buchen, Eichen, Kiefern und Fichten. Hat der Mischwald mit diesen Baumarten Zukunft?
Wallacher: Der Mischwald an sich hat Zukunft, aber mit den Baumarten Buche nur vielleicht und Eiche oder Baumhasel schon eher, mit Kiefern und Fichten in der Regel nicht. Der derzeitige Lebensraum Wald besteht zu drei Vierteln aus Laubholz, einmalig in Deutschland. Der hohe Anteil von Buche und Eiche geht zurück auf den Bedarf an Eisenbahnschwellen und für den Ausbau der Kohlegruben, sogenannter Grubenwälder. Was die Zukunft der Buchen im Klimawandel angeht, hat sie mit der großen Hitze und Trockenheit der vergangenen sechs Jahre zu kämpfen. Das ist umso bedauerlicher, da sie für unsere Region die führende und prägende heimische Baumart ist. Aber auch andere heimische Baumarten wie die Esche, der Ahorn und die Birke leiden unter dem Klimawandel und der Bodenversäuerung durch Schadstoffeinträge.
Auf den Halden, den Hinterlassenschaften des Bergbaus, kehrt der Wald sozusagen zurück …
Wallacher: Der Waldflächenanteil in der gesamten Kulturlandschaft ändert sich seit Jahrzehnten zum Positiven. Langsam und sukzessive erobert er Abraumhalden und Absinkweiher, die der Bergbau zurückgelassen hat, aber auch aufgegebene Hüttenareale, wie in der „Landschaft der Industriekultur Nord“ bei Neunkirchen. Im ländlichen Raum hingegen sind es die Grenzertragsstandorte der Landwirtschaft, die durch natürliche Sukzession oder Aufforstung eine Wiederbewaldung erfahren.
„Waldbaden“ wurde in Japan in den Achtzigerjahren „erfunden“. Wann ist der Wald in Deutschland als Erholungsraum mit gesundheitsfördernder Wirkung populär geworden?
Schmidt: In Deutschland wird zu Ende des 19. Jahrhunderts der Wald zunehmend als Ort der Erholung wahrgenommen. Im Saarland entsteht der Saarwaldverein im Jahre 1907, der mit einem entsprechenden Wanderprogramm aufwartet. In den 1920er Jahren wird verstärkt zu erholsamen Natur- und Waldaufenthalten aufgerufen. Der Caritas-Verein in Saarbrücken-Altenkessel beschloss beispielsweise 1928, in der Nähe des Forsthauses Pfaffenkopf eine Ferienerholung für Kinder anzubieten. In der Nachkriegszeit stellte der saarländische Wald eine Gegenfolie zu den zerbombten Städten dar. In den anscheinend „kriegsunversehrten“ Wäldern konnte man die verheerenden Folgen des Zweiten Weltkrieges für kurze Zeit ausblenden. Bis heute ist die gesellschaftliche Wertschätzung des Waldes als Ort der Erholung und der sportlichen Betätigung sehr hoch.
Die Trockenheit setze dem Wald zu, heißt es, und dass der Borkenkäfer geschwächte Bäume bedrohe. In letzter Zeit hat es viel geregnet. Muss man sich um den saarländischen Wald sorgen?
Wallacher: Eindeutig ja, es gibt aber auch Hoffnung. Vor allem die einst wirtschaftlich bedeutende Fichte, früher der Brotbaum der Forstwirtschaft, wird in wenigen Jahren bei uns mehr oder weniger verschwunden sein. Trotz des vielen Regens in letzter Zeit waren die Niederschläge sowohl im Jahresverlauf als auch zwischen den Regionen ungleichmäßig verteilt. Es deutet sich an, dass sie im Sommer und in der forstlichen Vegetationszeit abnehmen. Daher ist zu befürchten, dass die Schäden in den Waldökosystemen zunehmen. Und was die Sorgen um unseren Wald angeht, gibt es seitens unserer Forstexperten Hoffnung bei der Eiche. Sie ist im Saarland weit verbreitet. Unter den erwarteten starken Klimaveränderungen sticht ihre Toleranz gegenüber Trockenstress heraus. Sie hat die Fähigkeit, Schädlinge wie den Prachtkäfer und Krankheiten abzuwehren, vorausgesetzt, sie wird in Mischwäldern angebaut.