Warum mein innerer Schweinehund mich plötzlich nicht mehr mag
Ich gebe es zu: Spätestens seit den Corona-Lockdowns bin ich endgültig zum Couch-Potato mutiert. Galt früher für mich über lange Jahre die Maxime „Ein Tag ohne Sport ist ein verlorener Tag“, hat sich in den vergangenen eineinhalb Dekaden langsam, aber stetig zunehmend der Hang zur Bequemlichkeit eingeschlichen.
Immer häufiger flüsterte mir der innere Schweinehund wohlklingende Ausreden ein, warum der Zeitpunkt für eine Runde auf dem Fahrrad, ein Tennismatch unter Freunden, ein paar Bahnen im Schwimmbad nach Feierabend oder einfach nur ein ausgedehnter Spaziergang übers freie Feld gerade völlig unpassend und absolut unmöglich sei. Mit Corona hatte der Schweinehund dann endgültig die Oberhand gewonnen – und auch danach nicht mehr hergegeben.
Im Laufe der Zeit ist besagter innerer Schweinhund prächtig gewachsen und hat sich in mir genauso breitgemacht wie ich mich inzwischen auf dem Sofa. Denn dummerweise hat sich in dieser Zeit mein Körperumfang nicht etwa proportional zur Bewegungsabnahme entwickelt, sondern eher potenziert. Bis vor einigen Monaten eine unscheinbare E-Mail dafür sorgt, dass ich mich schwerfällig aus der tiefen Kuhle meines Sofa-Stammplatzes schäle.
Ernsthaft? Der Lehrer meines Ältesten fordert mich – respektive uns als Erziehungsberechtigte – dazu auf, im Vorfeld der geplanten Klassenfahrt mit dem Filius wandern zu gehen, damit selbiger fit für die dann anstehenden Touren auf dem Jakobsweg sei. „Ich glaub’, es hackt“, ist instinktiv die erste empörte Reaktion meines inneren Schweinehundes. „Warum kann der Große nicht alleine durch Wald und Flur streifen? Der soll doch pilgern gehen, nicht ich!“ Immerhin wird „Schweini“ kurzzeitig etwas ruhiger bei der Passage, in der steht, man solle dem Filius dabei munter alles Familiengepäck in den Rucksack stopfen, schließlich solle er unter Echtbedingungen üben.
Unter wildem Protestgeheul des Schweinhundes und leise grummelnden Kommentaren meinerseits beuge ich mich schließlich den Überredungskünsten meiner Frau und füge mich in mein Schicksal. Es sei schließlich für unseren Sohn, und überhaupt könne mir etwas Bewegung auch nicht schaden. Was meint sie denn damit?!
Die Wahl fällt auf eine der zahlreichen sogenannten Traumschleifen in unserer Region – und „Schweini“ endgültig vom Glauben ab: „13,1 Kilometer lang, mittelschwer, 348 Höhenmeter zu überwinden.“ Als er dann noch hört, dass doch jeder seinen eigenen Rucksack schultern würde, verzweifelt der innere Schweinehund vollends und zieht sich schmollend ins hinterste Eck zurück.
Was soll ich sagen? Die sogenannte Traumschleife „Weg des Wassers“ wird zu so etwas wie einem Erweckungserlebnis. Obwohl es bereits der Einstieg in die Tour mit einem extrem steilen Waldweg in sich hat, steigt mit jedem Meter und jedem bewältigten Anstieg – im Laufe der Tour kommen noch so einige – das innere Glücksgefühl. Bereits nach den ersten Anstiegen werden wir mit einer traumhaften Aussicht über das Tal der Prims bis zu den Bergrücken des Schwarzwälder Hochwalds belohnt.
Fortan geht es quer durch den Wald, auf engen, verwunschenen Pfädchen in völlige Abgeschiedenheit. Man hört nur noch das Zwitschern unzähliger Vögel, an einer Stelle hämmert ein Specht, hin und wieder raschelt ein kleiner Waldbewohner durchs Gestrüpp oder eine Eidechse sitzt genüsslich auf einem Stein und sammelt die ersten wärmenden Sonnenstrahlen ein.
Wir begegnen dicken, knorrigen, weit verzweigten und mit Moos überwucherten Wurzeln, wandern entlang an gluckernden Bachläufen, vorbei an tosenden Bachstürzen und bizarren Felsspornen – und dabei immer durch den Wald. Es gibt so viel zu sehen, hören, riechen und zu bestaunen, dass die Zeit wie im Flug vergeht und von müden Beinen nichts zu spüren ist.
Als wir nach fünfeinhalb Stunden zurück am Ausgangspunkt sind, wirkt die Begeisterung des Erlebten noch lange nach. Zu Hause angekommen beschließen wir, solche Touren durch unsere Region künftig häufiger zu machen. Wälder gibt es bei uns ja genug, und Traumschleifen ebenfalls. Gut statt dumm gelaufen. Der innere Schweinehund wird sich wohl demnächst eine neue Bleibe suchen müssen.