Der wilde Südwesten Äthiopiens ist die Heimat scheuer Waldelefanten und birgt einen Schatz – wilden Kaffee. Die Bergregenwälder des alten Königreichs Kafa sind ein kaum bekanntes Unesco-Biosphärenreservat. Von hier stammt die edle Arabica-Bohne, die heute in der ganzen Welt angebaut wird.
Jetzt heißt es: Sich ducken, sich nicht mehr bewegen und vor allem leise sein. Mucksmäuschenstill. Denn kein wildes Lebewesen mag Überraschungen, und schon gar nicht jene Tiere, die wir endlich, endlich aufgespürt haben. Seit dem Morgengrauen sind wir zu Fuß durch den dichten Wald des Chebera-Churchura-Nationalparks gepirscht, um sie zu finden, lautlos wie ein Leopard auf der Jagd.
Zumindest haben wir das eine Zeit lang versucht. Doch jeder knackende Ast, jeder peitschende Palmwedel, jedes Stolpern über Baumwurzeln machte den Versuch, sich anzuschleichen, zunichte. Adino und Ute, die beiden Scouts des Nationalparks, glitten zwar förmlich über den Boden, doch wir Besucher, mit viel zu schwerer Kameraausrüstung auf dem Rücken und völlig verschwitzt, stellten uns in etwa so geschickt an wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen.
Zur Ehrenrettung: Das hier ist wirklich keine mit ein paar Schirmakazien hübsch dekorierte Savanne wie in Kenia und auch kein offenes Buschland, durch das man bei einer Walking Safari mal entspannt und flott durchmarschieren kann, wie in Namibia. Sondern ein subtropischer Wald, der oft wie ein Dschungel wirkt – mit seinen Lianen und Luftwurzeln, von Mutter Natur zu Hindernisparcours arrangierten umgestürzten Riesenbaumstämmen und dornigem Unterholz.
Seit 2005 setzt man auf Ökotourismus
Überall summt und brummt und flötet und zwitschert es, als sei dies nicht nur die grüne Lunge Äthiopiens, sondern wahrhaftig das Paradies auf Erden. Vier Kraterseen gibt es im Chebera-Churchura-Nationalpark – mit Flusspferden, Krokodilen und allerlei Wasservögeln, dazu dampfend heiße Quellen, in deren Schlamm sich die Warzenschweine gern suhlen. Und wer sich abkühlen will, marschiert die gut zehn Kilometer vom Parkeingang zum Barbo-Wasserfall.
Die Aussicht auf solch eine Naturdusche ist natürlich verlockend, doch vorerst sind wir noch auf der Suche. Adino und Ute klettern auf Bäume, um weiter sehen zu können, und finden schließlich Spuren, die wir erst auf den zweiten Blick erkennen – zerzaustes Gras auf einer Lichtung, Fußabdrücke, sogar ein paar dampfende Dunghaufen. Endlich haben wir den Wind auf unserer Seite, nämlich gegen uns. Die Scouts führen einen Hang hinauf, um einen besseren Blick zu haben. Und dann sehen wir sie endlich: Elefanten.
Eine ganze Herde an Waldelefanten – Tanten, Mütter, Jungtiere – labt sich an Blättern, ein paar sich abseits haltende Bullen schälen mit ihren Zahnstocher-Stoßzähnen Rinde von den Bäumen. Die Tiere wirken schmächtiger als ihre in der Savanne lebenden Verwandten. Und sie sind extrem scheu. Beobachten lassen sie sich nur, wenn sie von ihren menschlichen Besuchern gar nichts mitbekommen. So muss man angesichts des Dämmerlichts im Wald schon ein lichtstarkes Teleobjektiv mit großer Brennweite mitschleppen, um gute Fotos nach Hause zu bringen. Oder sich einfach dem Zauber hingeben und genießen: Eine knappe Viertelstunde dauert die Audienz, dann zieht die Herde weiter.
Mehr als 500 Waldelefanten soll es im Chebera-Churchura-Nationalpark geben, so viele wie nirgendwo sonst in Äthiopien, darüber hinaus 3.000 Büffel. Früher war das 1.200 Quadratkilometer große Areal ein Jagdgebiet, seit 2005 setzt man auf Ökotourismus. Viel gäbe es hier zu entdecken, von den auf 700 Höhenmetern liegenden Sümpfen bis zu den knapp 2.500 Meter hohen Berggipfeln. Dass aber viele Tiere immer noch scheu sind und nicht an Menschen gewöhnt, die ihnen nichts Böses wollen, liegt auch daran, dass kaum Besucher hierher finden.
Zwar sind die Straßen in Äthiopiens Südwesten inzwischen deutlich besser als noch vor ein paar Jahren. Die Infrastruktur des Parks beschränkt sich indes bislang auf einen Platz zum Zelten und einige einfache Zimmerchen, zum Duschen gibt’s im Badezimmer statt fließendem Wasser nur Eimer. Angesichts von im Schnitt gerade einmal einer Handvoll Besuchern pro Monat selbst in der „Hauptsaison“ von November bis Februar, wenn es anders als im Zeitraum März bis September nicht regnet, hat man das Schutzgebiet noch fast immer komplett für sich allein. Doch vermutlich wird es nicht mehr allzu lange dauern, bis sich herumspricht, dass es in Äthiopien tatsächlich möglich ist, auf Safari zu gehen.
Sehen, hören, riechen, tasten und schmecken: In der benachbarten Kafa-Region wird diese Safari dann zu einem Abenteuer für wirklich alle Sinne. Auch hier ist man zu Fuß unterwegs, schon früh am Morgen, wenn die Sonne gerade über die Berggipfel blitzt und in den Tälern entlang der Flüsse noch ein paar verschlafene Wolkenfetzen hängen. Guide Bereket Kochito zeigt seinen Gästen den Weg, doch deren Augen hängen im Dach des Waldes fest: Dort schwingen sich Mantelaffen mit schwarz-weißem Fell als Tarzane durch das Dickicht der Baumkronen mit ihren Bromelien, Orchideen und Lianen. „Die Primaten sehen aus wie Mönche und galten einst als Wächter des Waldes“, erzählt er. „Dessen Zerstörung haben sie aber nicht verhindern können. Inzwischen sind sie sogar selbst bedroht.“
Hier leben etwa eine Million Menschen
Von den einst ausgedehnten Bergregenwäldern im Südwesten Äthiopiens gibt es inzwischen nur noch wenige Reste. Fast alles wurde für Feuerholz und Plantagen gerodet. Was noch existiert, ist deshalb besonders schützenswert. „Die Wälder im alten Königreich Kafa gelten als genetische Schatzkammern, weil hier viele Pflanzen- und Tierarten vorkommen, die andernorts längst verschwunden sind“, erklärt Mesfin Tekle.
Er arbeitet vor Ort als Programmkoordinator für ein vor einigen Jahren ausgerufenes Unesco-Biosphärenreservat. Mit 7.600 Quadratkilometer ist das Kafa Biosphere Reserve etwa dreimal so groß wie das Saarland. „Unser Ziel ist es, Naturschutz und nachhaltige Nutzung zu vereinen. Schließlich leben hier inzwischen mehr als eine Million Menschen.“
So setzt man auf sanften Tourismus: Junge Guides wie Bereket Kochito führen Besucher durch die afromontanen Wälder. Vogelbeobachter freuen sich über die irisierenden Lichtblitze im Dunkel des Waldes, das bunte Gefieder von Eisvögeln und Papageien. Außerdem schimmern immer wieder feuerrote Punkte durch das satte Grün. Die reifen Kirschen von „Coffea arabica“ sind der Lieblingssnack der Paviane. Deswegen sind Bauern wie Tariku Woldegiorgis immer auf der Hut, wenn sich eine Horde allzu lange in der Nähe seines Dorfes herumtreibt. Er wäre gar nicht erfreut, wenn ihm die Tiere seine komplette Ernte auffressen würden.
Die Kaffee-Bauern sind gut vernetzt
Denn die roten Kirschen – oder besser gesagt die im Inneren versteckten Samen – sind ein Schatz, der inzwischen auf der ganzen Welt bei Connaisseuren gefragt ist. Wie viele Sorten es gibt, weiß zwar niemand. Es sollen aber etwa 5.000 sein: Kafa – dafür spricht auch der Name – gilt als Ursprungsort des edlen Arabica-Kaffees. Inzwischen werden Kultursorten auf der ganzen Welt angebaut, doch hier wachsen die Urformen noch wild im Schatten großer Urwaldriesen. Sobald nach der Trockenzeit im März der erste Regen fällt, ist der Wald also eingehüllt in eine süßliche Duftwolke: Die weißen Kaffeeblüten riechen intensiv wie Jasmin. Neun Monate später steht die Ernte an. Und die ist mitten im Wald natürlich viel aufwendiger als auf Plantagen, wo die Pflanzen stramm in Reih und Glied stehen.
Lange konnte Tariku Woldegiorgis wie viele Bauern aus dem Ort Mankira mehr schlecht als recht davon leben, Kaffee-Kirschen zu sammeln und über mehrere Wochen hinweg an der Sonne zu trocknen. Diese aufwendige Methode bewahrt die wilden, würzigen Geschmacksnoten des Ur-Kaffees besser als bei der von den Plantagen angewandten Variante, wo sich das Fruchtfleisch im Wasserbad löst. Doch die Händler weigerten sich, den Kaffeebauern mehr Geld zu bezahlen. Und auf dem Markt der Kleinstadt Bonga, dem Zentrum der Kafa-Region, lässt sich die Ware auch nicht zu einem akzeptablen Preis verkaufen. Schließlich hat hier so ziemlich jede Familie ihre eigenen Kaffeesträucher.
„Als Bauer ist man nur dann stark, wenn man sich in einer Kooperative vernetzt“, meint Frehiwet Getahun von der Kafa Forest Coffee Farmers Cooperative Union. Die zählt 13.500 Mitglieder und produziert etwa 500 Tonnen Kaffee im Jahr. Der biologisch angebaute, Fair-Trade-zertifizierte Wildkaffee ist inzwischen ein Aushängeschild des Kaffeelands Äthiopiens. Mit dem Kauf wird nicht nur der Naturraum erhalten, in dem der Ur-Kaffee wächst, auch die Bauern können von ihrer Arbeit leben. Man kann sich den Kaffee aus Kafa also nicht nur vor Ort, sondern auch zu Hause schmecken lassen. Und so trinkend ein kleines bisschen die Welt verändern, Schluck für Schluck für Schluck.