Die deutschen Unternehmen müssen sich dekarbonisieren, am liebsten mithilfe von Windkraftanlagen. Diese stehen allerdings sehr ungleich verteilt im Land. Dies muss sich ändern, zeigt unter anderem die Investitionsentscheidung des schwedischen Batterieherstellers Northvolt in Heide.
Es war eine Nachricht, die nicht nur eine norddeutsche Kleinstadt aufrüttelte, sondern gleich ganz Deutschland: 2022 entschied sich der schwedische Batteriehersteller Northvolt, seine geplante Gigafactory für Batterien im schleswig-holsteinischen Heide im strukturschwachen Landkreis Dithmarschen zu errichten. Dafür investiert das Unternehmen 4,5 Milliarden Euro und erhält 900 Millionen Euro Förderbeiträge vom Bund. Kürzlich flogen der Kanzler und sein Wirtschafsminister ein, um dem traditionellen Spatenstich beizuwohnen. Denn 3.000 Menschen sollen dort ab 2026 60 Gigawattstunden an Batterieleistung herstellen. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) rechnet gar mit bis zu 13.000 neuen Arbeitsplätzen, Zulieferer und weitere durch das Werk entstehende Jobs mitgerechnet. Die Botschaft: Der Industriestandort Deutschland bleibt wettbewerbsfähig. Und dies, laut Northvolt, vor allem wegen einer Tatsache: In Niedersachsen stehen besonders viele Windräder. Dort wird Deutschlands erneuerbarer Strom vor allem aus der Kraft des Windes gewonnen, für Vorreiter-Unternehmen wie Northvolt ein entscheidender Standortvorteil.
Energieüberschuss im Norden
Northvolt-Chef Peter verwies auf den Energieüberschuss der windreichen Region. „Wir haben den perfekten Standort gefunden.“ Das Unternehmen will nicht weniger als die „grünste Batterie der Welt in Serie“ produzieren, davon pro Jahr eine Million Stück. Das Werk soll geklärtes Abwasser aus der Region für Kühlzwecke nutzen. Wärme aus der Produktion könnte an ein mögliches Fernwärmenetz der Stadt Heide abgegeben werden. Angedacht ist auch eine Anlage zum Recycling von Altbatterien ausrangierter E-Autos. Um die nötigen Komponenten für den Batteriebau zu garantieren, sollen nach Carlssons Angaben Zulieferer in den Kreis Dithmarschen ziehen. „Dann brauchen wir noch bestimmte Rohstofflieferungen, und wir werden zum Beispiel aktives Material teils aus unserer Fabrik in Schweden holen.“ Durch Recycling von Altbatterien könne langfristig ein Kreislaufsystem aufgebaut werden. „In 15 Jahren, wenn die Flotten vollständig elektrifiziert sind, denke ich, dass wir zu fast 100 Prozent auf Recycling umsteigen werden.“ Northvolt hat nach eigenen Angaben einen Auftragsbestand von mehr als 50 Milliarden Dollar. Kunden sind die Volkswagen-Gruppe, BMW, Scania und Volvo Cars.
Northvolt aber ist nicht das einzige Unternehmen, das gerade wegen erneuerbarer Energien in eine bestimmte Region investiert. Laut Bayerischem Rundfunk nimmt ein japanischer Pharmakonzern mehr Geld für sein Werk in der bayerischen Region Pfaffenhofen an der Ilm in die Hand, weil eine Bürgergenossenschaft dort erfolgreich ein Windrad betreibt und weitere errichten lässt. Der Verband der bayerischen Wirtschaft fordert nun einen rascheren Ausbau der Windkraft im Freistaat, der in dieser Hinsicht zu den deutschen Schlusslichtern gehört. Dennoch steht Bayern keinesfalls schlecht da: Das Bundesland ist Spitzenreiter beim Ausbau der Erneuerbaren, nur eben nicht in Sachen Windkraft. Dies zeigen Daten der Bundesnetzagentur. Hier dominiert die Solarenergie, aber auch, durch die gebirgsnahe Lage, die Wasserkraft. Windkraft aber sei, anders als Sonnenkraft, ein Garant für bessere Volllast, sagt Energieexperte Bernd Weber, Direktor des Thinktanks „Epico Klima Innovation“ – das heißt die Zahl an Stunden, in der eine Anlage ihren maximalen Output erreicht und nicht abgeschaltet ist. Deshalb und weil sich viele von ihnen rasch dekarbonisieren wollen, bevorzugen Unternehmen eher Windkraft. Größter Profiteur grüner Energie: das verarbeitende Gewerbe, das in seinen Produktionsabläufen einen ganz erheblichen Anteil der deutschen Energie verbraucht. Dazu gehören beispielsweise Chemie- und Metallindustrie, aber auch Zementwerke.
Gerade wenn es um die Dekarbonisierung ganzer Industriezweige geht, können die Erneuerbaren zum entscheidenden Standortfaktor im Wettbewerb der Bundesländer werden. Im Juni 2023 veröffentlichte der Thinktank Epico eine Studie mit dem Titel „Standortvorteil Erneuerbare Energien?“. Darin wollten die Forschenden vor allem herausfinden, welchen Stellenwert erneuerbare Energien gegenüber anderen Standortfaktoren wie Fachkräfteverfügbarkeit oder Infrastruktur der Region besitzen. Dem zugrunde lag ein Zukunftspanel des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW): 924 Unternehmen aus Branchen wie Maschinen- und Anlagenbau, Bauwirtschaft, Information und Kommunikation, Verkehr und Logistik sowie Unternehmen aus der Energie-Branche hatten daran teilgenommen.
Demnach stellten die Epico-Forscher Norddeutschland gute Noten unter diesem Aspekt aus, vor allem, weil die dortigen Bundesländer viel Geld in den Ausbau regenerativer Energien stecken, darunter nicht nur Windkraft on- und offshore, sondern auch Biomasse und Solarenergie. Diese Anstrengung fehlt in Süddeutschland noch in vergleichbarem Maße, auch wenn dort der grüne Strom und später der grüne Wasserstoff benötigt wird. Die bayerischen Abstandsregeln verhindern beispielsweise den Zubau von Windenergie, die wegen jener Volllaststunden hoch im Kurs steht. Die Solarenergie, in der Bayern einigermaßen auf Kurs ist, reicht dafür nicht aus.
Auch in Zukunft kein Billigstromland
Tatsächlich ist die Verteilung erneuerbarer Energie sehr unterschiedlich: Über ganz Deutschland produzieren Windräder an Land (118 Terawattstunden, TWh) sowie Photovoltaikanlagen (61 TWh) den Löwenanteil der Erneuerbaren im Jahr 2023. Blickt man auf die Bundesländer, produzieren Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die meiste Energie aus Wind, Sonne, Wasser oder Biomasse. Dies bedeutet nicht notwendigerweise einen künftigen Standortvorteil, vor allem, weil Stromverträge für Unternehmen langfristig und heute meist unabhängig vom Standort geschlossen werden. So hat der Stahlhersteller Dillinger Saarstahl beispielsweise einen Liefervertrag mit dem spanischen Energieunternehmen Iberdrola geschlossen, welches einen Windpark vor der Ostseeinsel Rügen betreibt. Der Vertrag ist auf 15 Jahre angelegt und hat ein Volumen von 200 Gigawattstunden. Zudem ist der Anteil von fossilen Energieträgern, Kohle oder Gas, in den Bundesländern entscheidend. So verfügt Thüringen beispielsweise über nur wenige Kraftwerke, muss daher meist Strom aus anderen Bundesländern beziehen, wo der Anteil der grünen Energie gegebenenfalls höher ist.
Da die Erneuerbaren als günstige Energiequelle gelten, liegt der Schluss nahe, dass der Strom künftig auch in Deutschland günstig zu haben ist. Dem widerspricht das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung – wenn man international vergleicht. Prof. Achim Wambach, Leiter des ZEW, verweist in der absehbaren Zukunft auf erhebliche Investitionen, die Deutschland beispielsweise in die Netzinfrastruktur stecken muss. „Allein für den Bau von Wind- und Solarkraftwerken sowie für den Ausbau des Stromnetzes schätzt das Energiewirtschaftliche Institut der Universität zu Köln einen Investitionsbedarf bis 2030 von jährlich etwa 50 Milliarden Euro. Dazu kommen noch unter anderem die Wasserstoffnetze, die für den Import und die Verteilung von grünem Wasserstoff benötigt werden“, so Wambach in einem Gastbeitrag, der zuerst im „Mannheimer Morgen“ veröffentlicht wurde. Kritisch bleibt der Netzausbau, ohne den der grüne Strom nicht dort ankommt, wo er gebraucht wird; ohne die Speichertechnologie, mit deren Hilfe Deutschland seinen erneuerbaren Strom erst dann verbraucht, wenn er benötigt wird, und nicht, wenn er produziert wird. Wasserstoff muss importiert werden, Deutschland ist nicht das sonnenreichste und nicht das windreichste Land der EU. Andere Länder werden weiterhin günstiger Strom produzieren als Deutschland. Aber ein Billigenergieland war Deutschland, trotz russischem Gas und Öl, nie.