Es sollte das große sozialpolitische Reformprojekt werden. Sozialverbände drängen schon seit mehr als einem Jahrzehnt darauf. Nun droht die Kindergrundsicherung einmal mehr im Koalitionsstreit zerrieben zu werden.
Es sollte ein großer sozialpolitischer Wurf werden. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) betonte immer wieder, es gehe um nicht weniger als einen „Paradigmenwechsel“. Mit der Kindergrundsicherung würde aus der „Holschuld der Familien“ eine „Bringschuld des Staates“. Das aber könnte nun womöglich daran scheitern, dass für die Erledigung dieser „Bringschuld“ rund 5.000 Stellen zusätzlich notwendig sein sollen. So etwas wäre schlicht ein „realitätsfernes Bürokratiemonster“, das zudem „kaum einem Kind wirksam aus der Armut helfen“ würde, wettert FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Der liberale Koalitionspartner hat damit einen weiteren Grund gefunden, seine ablehnende Haltung gegen die Pläne der Grünen-Ministerin zu untermauern.
Es ist die nächste Etappe im heftigen koalitionsinternen Ringen um ein Projekt, das für die Grünen eine politische Herzensangelegenheit ist und das von Sozialverbänden im Grundsatz schon lange gefordert wird.
Mittel gegen Bürokratie
Die Idee der Kindergrundsicherung hat mehrere Facetten: Bisherige Einzelleistungen für Kinder wie Kindergeld, Kinderzuschlag sowie andere Leistungen, unter anderem auch das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket, sollen zu einer Leistung zusammengefasst werden. Neben einem Kindergarantiebetrag für alle Kinder soll ein gestaffelter Kinderzusatzbetrag insbesondere armutsgefährdeten Kindern zugutekommen. „Wer weniger hat, soll zielgenau mehr bekommen“, heißt es dazu aus dem Familienministerium. Dieses geht davon aus, dass damit „fast zwei Millionen Kinder aus dem Bürgergeld in die Mitte der Gesellschaft geholt werden“ könnten.
Der Sozialverband VdK unterstützt das Anliegen ausdrücklich, weil es den bisherigen „Bürokratiewahnsinn“ gerade für Familien mit wenig Geld in die Schranken weisen würde. Familien müssten bislang bis zu vier verschiedene Behörden anlaufen, um die für ihre Kinder vorgesehenen Leistungen erhalten zu können. Zudem müssten manche Anträge halbjährlich oder jährlich wiederholt beantragt werden. Außerdem würden unterschiedliche Leistungen teilweise gegeneinander verrechnet, so die Kritik des VdK.
Die Caritas im Bistum Trier verweist beispielsweise darauf, dass gut ein Drittel der Familien im Niedriglohnbereich keinen Kindergeldzuschlag beantragen würden, weil sie schlicht überhaupt nicht wüssten, dass ihnen so etwas zusteht. Nach Einschätzung der Diakonie ist der Anteil sogar noch höher. „Der Kinderzuschlag läuft an zwei Dritteln der Anspruchberechtigten vorbei“, betont Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland. Bei Familien mit geringem Einkommen kann das bis zu 300 Euro im Monat ausmachen.
Weil nun aber weiter offen ist, ob und wann die geplante Kindergrundsicherung kommt, hat beispielsweise die Caritas im Bistum Trier noch im März die Eröffnung weiterer Familienbüros angekündigt, in denen über niedrigschwellige Angebote Familien über die ihnen zustehenden Möglichkeiten informiert werden, um damit einen Beitrag zur Bekämpfung von Kinderarmut zu leisten. Die Forderungen nach einer Kindergrundsicherung gibt es schon lange. Sozialverbände hatten das in einem gemeinsamen Bündnis schon vor mehr als zehn Jahren gefordert.
Deshalb wurde auch entsprechend positiv reagiert, als die Arbeits- und Sozialministerkonferenz im Jahr 2020 einen politischen Grundsatzbeschluss zu einer Reform der familienbezogenen Leistungen gefasst und konkrete Schritte zur Einführung einer Kindergrundsicherung gefordert hatte. „Ein wichtiger Schritt, um endlich Teilhabechancen für alle Kinder sicherzustellen“, kommentierte damals der AWO-Bundesverband den Beschluss der Ministerkonferenz. Kinder und Jugendliche sollten, so die AWO, nicht mehr auf Transferleistungen angewiesen sein, sondern einen eigenen Rechtsanspruch auf Absicherung haben, eben in Form der Kindergrundsicherung. Dabei sollten drei Kriterien gelten: Das Existenzminimum muss abgesichert sein, es muss sozial gerecht ausgestaltet und unbürokratisch direkt ausgezahlt werden.
Das fand sich denn auch drei Jahre später im ersten Entwurf aus dem Familienministerium von Lisa Paus wieder. Dem aber ging ein heftiger Koalitionsstreit insbesondere zwischen Grünen und FDP voraus, obwohl sich die Ampel-Koalitionäre grundsätzlich auf eine solche Reform verständigt hatten. Als die zuständige Ministerin allerdings vor einem Jahr davon sprach, für das Projekt etwa zwölf Milliarden Euro zu benötigen, rief das sofort Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf den Plan. Der stellte gerade mal zwei Milliarden, sozusagen als Merkposten, in den Haushaltsplan ein. Der heftige Streit mündete schließlich doch in eine Einigung, die Lisa Paus im August letzten Jahres (zusammen mit Lindner) präsentierte.
Da war dann noch von etwa zweieinhalb Milliarden Mehrkosten die Rede, und der Finanzminister gab zu Protokoll, dass es keine generellen Erhöhungen geben werde. Außerdem gebe es danach für den Rest der Legislaturperiode auch keinen Spielraum mehr für weitere größere Sozialreformen.
„Antwort auf Kinderarmut“
Trotz der Kompromisseinigung hat die FDP nie so recht ihren Frieden mit der Kindergrundsicherung machen können. Lindner hatte schon gleich gesagt, Grund für Kinderarmut sei „oft der Mangel an Arbeit, Integration und an Sprachkenntnissen der Eltern“, die Reform dürfe deshalb keinen Anreiz darstellen, dass Eltern sich nicht mehr darum bemühen würden. Und FDP-Fraktionschef Christian Dürr sah den eigentlichen Fortschritt der damaligen Einigung vor allem in einem Verwaltungsakt: „Wir entbürokratisieren, wir digitalisieren, wir vereinfachen.“ Eben „in erster Linie eine Verwaltungsreform“, bestätigte Generalsekretär Djir-Sarai.
Davon, dass es sich auch um einen Beitrag zur Bekämpfung der Armutsgefährdung von Kindern handeln sollte, war dabei keine Rede. Im Gegensatz dazu konstatierte Lisa Paus im September, nachdem das Kabinett ihren Entwurf gebilligt hatte: „Nach Jahrzehnten der politischen Diskussion hat diese Bundesregierung eine Antwort auf Kinderarmut in Deutschland gefunden, denn mit der Kindergrundsicherung knüpfen wir ein wirksames Sicherheitsnetz für alle Kinder und ihre Familien.“
Was das Gesetz leisten sollte, lässt sich an zwei Zahlen festmachen, die zum September genannt wurden. Einmal die bereits genannten 2,5 Milliarden zum geplanten Start 2025 – zum anderen 6,3 Milliarden für 2028. Mehr als doppelt so viel also, obwohl, wie Lindner betont, keine Leistungserhöhung erfolgen soll. Der Grund liegt schlicht in der Annahme, dass sich mit der Kindergrundsicherung die Inanspruchnahme der Leistungen auf rund 80 Prozent etwa verdoppeln würde, das Geld also tatsächlich bei erheblich mehr Familien ankäme.
Dass das alles im kommenden Jahr wirklich so eintritt, ist nach dem jüngsten Streit inzwischen wieder mehr als ungewiss. Dabei scheint es für die Notwendigkeit der jetzt umstrittenen zusätzlichen Stellen eine einigermaßen plausible Erklärung zu geben. Für Ministerin Paus ist der von der FDP als „Bürokratiemonster“ gescholtene Plan durchaus logisch: Bislang hätten die „Bürokratielast“ nämlich die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Aufwand getragen, und die sollte ihnen ja genommen werden.
Dass für die Umsetzung auch neue Strukturen notwendig wären, meint auch SPD-Sozialexperte Martin Rosemann. Ob es 5.000 Stellen sein müssen, müsse sich erst noch zeigen. Denn auch am Gesetzesentwurf gebe es noch „Schwachstellen“, die im parlamentarischen Verfahren behoben werden müssten.