Christina Stürmer ist Österreichs größter Exportschlager seit Falco. Nun ist sie auch die erste Künstlerin im deutschsprachigen Raum, die ein Album in der „MTV Unplugged“-Reihe aufnehmen durfte. FORUM sprach mit ihr über „MTV Unplugged“, warum sie gern in Mundart singt und wie sich die Musik-Branche verändert hat.
Frau Stürmer, die „MTV Unplugged“-Reihe ist strengen Regeln unterworfen: Kein Strom, keine Showeffekte, Musiker wie Publikum müssen sitzen. Wie schwer war die Umstellung?
Ich habe immer schon gerne Unplugged-Konzerte gespielt, nur nie in einem so großen Rahmen und maximal eine halbe Stunde lang. Ich mag dieses ruhige und zerbrechliche Spielen sehr gerne. Die Regeln bei MTV fand ich nicht schlimm; man solle die meiste Zeit sitzen und es müsse mindestens ein neuer Song dabei sein. Das eigentliche Konzert dauerte zwei Stunden, die Aufzeichnung aber viel länger. Das, was Bands monatelang für Studioalben aufnehmen, haben wir an zwei Abenden gemacht. Es gab nach jeder Nummer eine kleine Pause, um die Gitarren zu stimmen. Und im Volkstheater war es 30 Grad heiß.
„MTV Unplugged“ gilt als die Königsklasse der Live-Unterhaltung. Sehen Sie das auch so?
Ja. In den 20 Jahren, die ich in diesem Business schon auf dem Buckel habe, habe ich die Erfahrung gemacht, dass es eine Kunst ist, dass der Funke aufs Publikum überspringt und man die Leute gut unterhält. In meinen Anfangszeiten habe ich auf der Bühne und bei Interviews ganz wenig gesprochen. Aber in den letzten Jahren wurde mir bewusst, dass ein Talk zwischen mir und den Leuten extrem gut ankommt. Bei einem lauten Stromkonzert kann man sich vom Gefühl her ein bisschen verstecken, aber man hört da natürlich auch jeden richtigen und falschen Ton. Und bei Unplugged-Shows ist alles zerbrechlich und intim. Das macht es eben so besonders.
Was passiert psychologisch auf der Bühne, wenn man weiß, dass das Konzert für eine kommerzielle Veröffentlichung aufgezeichnet wird?
Mir wurde das erst am dritten Tag so richtig bewusst, sonst wäre ich wahrscheinlich durchgedreht. Nach der Aufzeichnung lag ich drei Wochen mit Fieber und Kopfschmerzen im Bett. Da habe ich gemerkt, wie enorm der Druck gewesen ist. Am ersten Abend, den wir aufgezeichnet haben, war ich wahnsinnig angespannt und innerlich wie äußerlich unter Strom. Zum Glück sieht man das nicht. Aber wir haben gut gespielt. Und am zweiten Abend spürte ich eine richtige Erlösung auf der Bühne und konnte es mehr genießen. Wäre ich zwei Tage früher krank geworden, wäre alles in den Wind geschossen worden, was jetzt auf meinem eigenen Label erscheint. Ich habe keine Major-Plattenfirma mehr. Zum Glück lag es auf meinen Schultern.^
War es schwierig, die Energie der Originale aufrechtzuerhalten? Spannung kann man ja nicht einüben.
Die Herausforderung war eher, sich von den alten Arrangements zu lösen und der Musik eine andere Art von Kraft zu verleihen. Bei „Nie genug“ etwa sind wir ganz woanders hingegangen. Ich wollte unbedingt einen Bläsersatz dabei haben, ich habe mit 12 Jahren in einer Kinderjazzband angefangen. Auch die Lucy an der Percussion war eine große Bereicherung.
Wie sehr quälen Sie sich für ein Ziel?
Eigentlich gar nicht, aber unbewusst schon, sonst wäre ich ja nicht drei Wochen krank gewesen. Es ist natürlich sehr, sehr viel Arbeit gewesen. „MTV Unplugged“ ist definitiv mein zeitintensivstes Album, obwohl es ja alte Songs enthält. Dadurch, dass ich auch alles Organisatorische selber übernommen habe, ist noch mehr auf meinem Tisch gelandet. Dadurch habe ich gelernt, mutiger zu werden. Und die richtige Arbeit fing erst im Nachgang an. Also, ich quäle mich schon ein bisschen, aber solange es Spaß macht, ist es okay. Von alleine läuft es halt nicht.
Als Gäste haben Sie die deutsche Band Deine Freunde eingeladen. Haben Sie die Ihren Kindern zuliebe ausgewählt, die drei und sieben Jahre alt sind?
Auch ein bisschen. Beim Streamingdienst Tidal steht Deine Freunde seit Monaten auf Platz 1. Meine große Tochter ist ein großer Fan von ihnen und wir haben alle CDs. Als sie geboren wurde, hatten wir Schwierigkeiten, kindgerechte Musik zu finden, die auch wir Eltern aushalten. Aber Deine Freunde kann sich auch ein Erwachsener anhören. Ein Segen für alle Eltern!
Mit Wolfgang Ambros, dem wohl bedeutendesten österreichischen Liedermacher, haben Sie das berührende Duett „Du bist wia de Wintasun“ eingesungen. Eine Verbeugung vor einem musikalischen Helden?
Auf alle Fälle. Den Wolfgang habe ich vor 20 Jahren kennengelernt, als wir bei einem Konzert seine Vorgruppe waren. Er kam dann sogar bei unserem Auftritt auf die Bühne. In der Musikbranche weiß man bei manchen Leuten nicht, wo man mit ihnen dran ist, weil es oft viel Schein ist, aber Wolfgang trägt das Herz auf der Zunge. Er hat so viel Charakter und verschleiert es auch nicht, wenn er schlecht gelaunt ist. Das ist auch vollkommen okay. Er stand ganz oben auf meiner Gästeliste.
Mögen Sie es, im Dialekt zu singen?
Ja, ich mag das gerne. Ich habe 2013 einen Song in Mundart geschrieben, aber er kam nur in Österreich raus. Meine Plattenfirma meinte, das interessiere niemanden in Deutschland. In Mundart zu schreiben ist wahnsinnig schwer, aber mit Wolfgang fühle ich mich beim Singen sehr verbunden. Er meinte, es klinge sexy, wenn ich in Mundart singe.
Das Duett hat sich zu einem Youtube-Hit entwickelt. Hat Sie das überrascht?
Ja. Ich habe das Video hochgeladen und war gespannt auf die Reaktionen. Gerade auf unsere Version wurde ich oft angesprochen, weil sie so emotional ist. Auch Wolfgang war ob der Reaktionen im Netz aus dem Häuschen. Ich mag diese Version so gerne, weil dabei der Text im Vordergrund steht.
Sie sind die erste weibliche Künstlerin im deutschsprachigen Raum, die von MTV eingeladen wurde, ein Album in der Unplugged-Reihe aufzunehmen. War Ihnen das bewusst, als Sie die Anfrage bekamen?
Das wurde bereits im ersten Gespräch mit MTV Deutschland thematisiert. Ich war da gerade hochschwanger. Schon damals haben wir überlegt, welche Gäste wir einladen könnten, und es fiel der Satz, dass es in dieser Reihe noch gar keine deutschsprachige Frau gab. Da dachte ich, ich hätte mich verhört, denn das ist ja eigentlich erschreckend.
Was glauben Sie, warum kommt hier erst jetzt eine Frau zum Zuge?
Das kann ich eigentlich nicht erklären. Ich finde es selber sehr erstaunlich, weil es ja in der Musikwelt so viele große Frauen gibt. Es ist ja auch nicht so, dass Bands mit Frauen am Mikrofon nichts verkaufen. Auf den Festivals bei uns in Österreich hat letztes Jahr aber nur eine Frau gespielt. Das verstehe ich einfach nicht.
Können Sie ein allmähliches Umdenken beobachten?
Vielleicht habe ich mit diesem Projekt ja einen Stein ins Rollen gebracht. Es gab in Österreich lange Georg Danzer, Reinhard Fendrich, Wolfgang Ambros, Willi Resitaris oder EAV, aber Frauen gab es nicht wirklich. Und dann bin ich mit „Ich lebe“ durchgestartet. Ich höre immer wieder, dass sich damals viele Mädels gedacht haben: „Hey, jetzt geht es doch!“ Und es sind ja wirklich viele Frauen nachgekommen. Als Musikerin muss man einfach dranbleiben.
Komponieren Frauen eigentlich anders als Männer?
Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, Frauen schreiben gefühlvoller. Andererseits habe ich schon mit sehr vielen männlichen Songschreibern zusammengearbeitet. Es kommt immer auf den Typ an. Es gibt auch Frauen, die sich nicht so öffnen können, und Männer, die eine weiche Seite haben. Früher dachte ich immer, es gehen mehr Frauen auf Konzerte, weil Jungs wie Max Giesinger oder Wincent Weiss immer angehimmelt werden. Das gibt es ja bei Frauen eher selten. Ich kriege sicherlich weniger Liebesbriefe als Max Giesinger. Aber ich schreibe Künstlerinnen, die ich mag, auch keine Liebesbriefe. (lacht)
Bekommt man heutzutage überhaupt noch analoge Fanpost?
Tatsächlich kommen noch Fan-Briefe bei mir an, aber nicht mehr so viele wie vor 20 Jahren. Heutzutage schreibt man halt eine Nachricht über die sozialen Medien. Von den Briefen habe ich immer jeden einzelnen geöffnet und gelesen. Bei Instagram-Nachrichten hingegen schaffe ich das nicht, weil es so eine Flut ist.
Was hat sich in den 20 Jahren Ihrer Karriere in Ihrer Branche grundlegend geändert?
Wie sich die Verkaufszahlen von CDs entwickelt haben, ist schon erschreckend. Mit Streaming tue ich mich immer noch ein bisschen schwer. Privat habe ich mich lange dagegen gewehrt, aber jetzt benutze ich es auch. Ich versuche immer, die bestmögliche Qualität zu bekommen und Geld dafür zu bezahlen. Im Endeffekt ist der Preis von 13 Euro monatlich lächerlich bei dem, was man sich dafür alles anhören kann. Streaming ist Fluch und Segen zugleich. Genauso wie die Social-Media-Plattformen. Ich finde es super, dass ich den Fans Einblick geben kann, trotzdem muss man aufpassen, nicht zur Geisel des Ganzen zu werden. Ich habe gelernt, das Netz gezielt zu nutzen, und spiele lieber mit meinen Kindern, als dass ich da stundenlang durchscrolle.
Bei Spotify gehen kleine Künstler jetzt leer aus, große kriegen noch mehr Geld.
Was soll das? Wenn Leute deine Musik konsumieren, sollten sie dafür auch etwas bezahlen. Ich fand es übrigens schon in der Corona-Zeit schon nicht in Ordnung, Social-Media-Konzerte gratis zu geben. Es ist doch mein Beruf, ich kann das doch nicht einfach so hergeben.
Was hat sich innerhalb der Branche sonst noch verändert?
Die Radiolandschaft. Die Sender spielen alle nichts Deutschsprachiges mehr. Ich weiß noch, wie ich zwei Wochen lang auf Radioreise quer durch Deutschland war. Zu den Sendern muss ich jetzt nicht mehr fahren, weil sie heute weder Christina Stürmer noch Max Giesinger oder Silbermond spielen. Außer du heißt vielleicht Sarah Connor.
Das finde ich echt arg und ich bin erleichtert, dass es so etwas wie Instagram und TikTok gibt, wo ich meine Songs verbreiten kann. Musik ist ja mein Beruf.