Warum eine waghalsige These der Uniklinik Jena dagegen spricht
Es gibt Themen, die beschäftigen die Menschheit, seitdem sie Anlass hatte, darüber nachzudenken. Etwa ob ein Kilo Blei schwerer ist als ein Kilo Federn, ob sich die Erde um die Sonne dreht, ob der Mensch mit dem Affen verwandt ist und seit einigen Jahren, ob Fernsehen dumm macht.
Es ist schon schwer zu beschreiben, was Dummheit wirklich ist, und Genaueres über ihre Herkunft oder Entstehung auszusagen. Die einen sagen so, die anderen sagen so. Für die einen ist es die Milch, Weizenmehl und – vor allem in der Fastenzeit – Schokolade; für die anderen Maggi, Extremsport oder der Eintritt ins Rentenalter. Für Dritte, meist Veganer, ist übermäßiger Fleischgenuss die Wurzel des Dummheit-Übels.
Ganz zu schweigen von denen, für die Alkohol und Rauchen, gelegentlich auch Sex – nicht zu verwechseln mit gelegentlichem Sex – schon immer Ursachen für ein vernebeltes Hirn und dumme Gedanken waren. Vor allem Männern wird dies nachgesagt, die für die Mehrheit der zumeist weiblichen Dummheitsforscher ohnehin einen genetischen Vorsprung in dieser Humaneigenschaft haben.
Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang die Freigabe von Cannabis als Rauschmittel, die Gegner einen rasanten Anstieg der Hirnschädigung – vulgo: Verblödung – befürchten, lässt. Aber nichts Genaues weiß man noch nicht. Indessen sind alle diese Erkenntnisse im Internet zu finden, wobei der intensive Konsum dieses Mediums in der Regel – und der Autor kann das bezeugen – weniger dumm als viel mehr eher dick macht. Aber das ist hier nicht Thema.
Im Kaleidoskop von Ursache-Wirkung-Erkenntnissen ragt als Vorurteil ein Dauerbrenner über die Entstehung der Dummheit besonders hervor: das Fernsehen, genauer ein übermäßiges Fernsehen. Es soll immer dann, so die Fabel, besonders zur Verdummung beitragen, wenn man es extensiv und im Zusammenhang mit liegender Tätigkeit in Verbindung mit den täglichen, senderübergreifenden und somit alternativlosen Bildschirmkrimis konsumiert. Die allerdings den Vorteil haben, dass man die Welt kennenlernt, denn gemordet wird inzwischen überall.
In diesem Kontext wird mit Vorliebe von den Couch-Potatos gesprochen, wie jene der körperlichen Bewegung abholden Vielfernseher bezeichnet werden. Wobei diese Charakterisierung als Sofa-Kartoffeln der volkstümlichen Auffassung und Sprichwort-Weisheit als Verdummungsursache für den Bildschirm-Nutzer voll entspricht: Bekanntlich sollen die dümmsten Bauern die größten Kartoffeln im Keller haben. Die Analogie zu den TV-Potatos spricht für sich, wobei man im Rückblick auf die jüngsten Blockaden von Straßen und Autobahnen mit Gülle und Mist durch diesen Berufsstand als Autofahrer – und wer ist das nicht – geneigt ist, den Kartoffeln noch Giga-Trecker beizugesellen.
In diese heile Vorurteilswelt der Ursachenzuordnung für die menschliche Dummheit bricht vor Kurzem eine Studie der Universität Jena als „wissenschaftlicher Gegenwind“ („Süddeutsche Zeitung“). Die Neurologie der Universitätsklinik Jena hat der zugegeben waghalsigen These, Fernsehen sei für das menschliche Gehirn besser als sein Ruf, eine „prospektive Studie“ gewidmet. Inhalt der Studie war, dass 74 Probanden verschiedenartigste Tests zu bestehen hatten – unter anderem im Tastaturschreiben mit zehn Fingern, was keiner von ihnen vorher beherrschte. Die eine Hälfte der Probanden schaute täglich acht Stunden Fernsehen, die andere überhaupt nicht.
Was soll man sagen: Das Ergebnis ist für die Fernsehen-Dissafinen niederschmetternd. Die täglichen TV-Konsumenten schnitten besser ab als die auf TV-Diät Gesetzten. Sie konnten die Tastatur besser bedienen. Die Forscher deuteten das Ergebnis mit aller Vorsicht dahin gehend, „dass das visuelle Überangebot einem kognitiv …austrainierten Hirn immer noch einen Schub gibt“ („Süddeutsche Zeitung“).
So ganz überzeugend ist das nicht. Die Betonung liegt nämlich auf „kognitiv austrainiertem Hirn“. Was nicht anderes heiß, dass – wie es der Volksmund landläufig sagt – dem der hat, dem wird gegeben. Wer aber nichts hat, bei dem kommt nichts hinzu – jedenfalls nichts „Ertastbares“.