VSG Altglienicke und Viktoria haben ihre Aufstiegschancen in der Regionalliga Nordost verspielt – allerdings unter ganz verschiedenen Bedingungen.
Murat Salar straffte sich merklich, bevor er die Frage beantwortete: „Also ich verstehe nicht, wieso das immer so ein Thema ist, dass die Spannung nicht da ist“, begann der Trainer der VSG Altglienicke seine Ausführungen, „das steht bei uns überhaupt nicht zur Diskussion: Wenn jemand Fußball spielt, die ganze Woche trainiert und am Wochenende dann keine Spannung hat, dann hat er in der Regionalliga nichts verloren.“ Mit diesen Worten stellte sich der 47-Jährige vor seine Mannschaft – und den Mutmaßungen entgegen, die Spieler hätten angesichts nur eines Sieges aus sieben Partien zuvor und dem damit abgehakten Aufstiegstraum nicht mehr alle Prozentpunkte an Konzentration auf dem Platz.
Jahr für Jahr Kandidat für Platz 1
Ein gutes Argument dagegen hatte die VSG dabei Ende März gerade abgeliefert: Trotz eines Pausenrückstands beim Berliner AK drehte man das Ergebnis nach dem Wechsel noch zu seinen Gunsten. Trotzdem – das Ziel, das beinahe Unmögliche noch zu erreichen, haben die Altglienicker verpasst. Jahr für Jahr zählen die Hauptstädter zu den Kandidaten auf Platz 1 in der Regionalliga Nordost, kommen aber nicht zum Zug. Dieses Jahr lief dabei unter erschwerten Bedingungen ab: Die Ausgliederung der Profiabteilung (inklusive der A-Junioren) nahm im vergangenen Sommer zu viel Zeit in Anspruch, die davon abhängigen Planungen kamen so erst spät in Gang. Als Folge verließen zahlreiche Spieler den Verein, der damalige Trainer Karsten Heine musste beinah eine komplett neue Mannschaft bilden. Doch die Chemie passte nicht – Platz 8 nach 14 Spieltagen und bereits acht Punkte Rückstand zur Spitzenposition waren Mitte November Anlass genug für die Verantwortlichen, sich nach viereinhalb Jahren von Trainer Heine zu trennen. Der Nachfolger sollte schnell aus dem inkonstanten Team einen Punktesammler machen, um den Aufstieg (der dieses Jahr auf direktem Weg ohne Qualifikation möglich ist) noch in Angriff zu nehmen. Und das gelang Murat Salar zunächst – der hatte sich zuvor mit 16 Punkten aus sechs Spielen beim Oberligisten Hertha 06 quasi in den Fokus der VSG-Verantwortlichen trainiert. Und genauso startete er nun eine Liga höher – dabei fügte man dem Tabellenführer Greifswalder FC seine bislang einzige Saisonniederlage zu und machte dadurch weiter Boden gut. Die durch zahlreiche Nachholspiele anstrengenden Wochen forderten dann wenig überraschend doch ihren Tribut. Beim 0:1 gegen Viktoria im Februar, dem fünften Spiel in 14 Tagen, setzte es durch ein Elfmetertor die erste Niederlage. Damit war der Lauf gestoppt: Jeweils zwei späte Gegentore nach vorangegangenen Platzverweisen kosteten in Erfurt (2:2) und gegen Abstiegskandidat FC Hansa II (2:3) Punkte, auch gegen die Topteams aus Babelsberg (2:2) und Cottbus (0:0) war mehr möglich. „Wenn man sieht, wie viel wir da liegen gelassen haben – das muss eine Mannschaft erst mal wegstecken“, so Salar. Damit aber war das Thema Aufholjagd bei der VSG bereits vom Tisch: In der Folge spielte man beim 4:0 gegen Chemie Leipzig groß auf – und verlor erneut trotz Führung beim BFC Dynamo (2:3). Den Blick kann man so bereits auf die nächste Saison richten, wenn die Tür zur Dritten Liga vom Aufstiegsturnus her wieder einen deutlichen Spalt breit zugegangen ist. Ob Salar dann weiter das Zepter bei der VSG Altglienicke schwingt, da will er sich noch nicht festlegen: „Das eilt nicht – wir wollen die Saison erst einmal ordentlich zu Ende spielen, dann sehen wir weiter.“
Ganz anders waren die Voraussetzungen bei Viktoria Berlin – obwohl die „Himmelblauen“ 2021/22 noch in der Dritten Liga den Traum vom Fußball auf nationaler Ebene lebten. Denn nach dem direkten Abstieg zurück in die Regionalliga Nordost verordnete sich der Verein einen Paradigmenwechsel: weg von gestandeneren (und dadurch auch teureren) Spielern hin zum Entwicklungsverein für junge Talente. Mit der größten Nachwuchsabteilung im deutschen Fußball haben die Lichterfelder dabei ein großes Reservoir an Eigengewächsen und ehemaligen Jugendspielern – aber auch das Know-how, mit Talenten allgemein zu arbeiten. Das personifiziert niemand besser als der ehemalige Jugendcoach Semih Keskin, der seit dem Umbruch Trainer der Ersten Mannschaft ist.
Paradigmenwechsel nach Abstieg
Nach einer schwierigen Saison war der vorzeitige Klassenerhalt immerhin als Erfolg zu bewerten, aber nach einem erneuten personellen Umbruch gab es vor Beginn dieser Spielzeit wieder große Fragezeichen um die Lichterfelder. Doch die kamen nicht nur hervorragend in die Saison, sondern hielten den Kurs bis zum Ende des ersten Halbjahrs. Da lag man auf einem beinah schon sensationellen Platz 3 mit nur fünf Punkten Rückstand zum Greifswalder FC – nicht nur diesem Topteam (2:2) knöpfte man dabei Zähler ab. Auch andere namhafte Kandidaten wie Cottbus (2:1), Zwickau (1:1), Altglienicke (1:0), Jena (2:1), Lok Leipzig (5:0) oder der BFC Dynamo (3:3) bekamen die Stärke der „jungen Wilden“ zu spüren. Mittelfeldmotor und Kapitän Berk Inaler (24) hatte so im Winter selbstbewusst formuliert: „Ich würde gerne in der Dritten Liga spielen – warum nicht mit Viktoria?“ Hatte man im ersten Semester sogar hier und da noch den einen oder anderen Punkt mehr erzielen können, verfestigte sich dieser Trend im Jahr 2024 allerdings in deutlicher Form. Der Knackpunkt war vielleicht das Topspiel bei Energie Cottbus Anfang Februar, als man trotz doppelter Führung (2:0 und 3:2) durch zwei Treffer in der Nachspielzeit – einer davon ein Eigentor von Nikell Touglo – noch mit 3:4 unterlag. Aus der Pleite wurde eine Serie von nur acht Punkten aus ebenso vielen Partien, die Rolle des „Favoritenschrecks“ (1:4 in Greifswald, 1:5 gegen Jena) konnte man dabei nicht mehr so beeindruckend ausfüllen. Auch bei Torjäger Lucas Falcao (zwölf Saisontore) lief es zuletzt nicht mehr so überragend – bester Beweis: Der eigentlich sichere Elfmeterschütze verpasste gegen Babelsberg (1:1) den möglichen Dreier. Doch obwohl der Aufstieg in diesem Jahr außer Sicht geraten ist, reichten die Verantwortlichen die Unterlagen für die Dritte Liga beim DFB ein – als Honorierung der starken Spielzeit für das junge Team. Und wer weiß: Vielleicht zahlt sich diese Motivationshilfe ja in den nächsten Jahren noch aus?