Julian Schuster tritt beim SC Freiburg in die großen Fußstapfen von Trainer Christian Streich. Und das ohne jede Erfahrung als Cheftrainer. Dennoch sind sich in Freiburg alle sicher, dass das funktionieren wird.
Einem Trainer nachzufolgen, der in einem Verein eine Ära geprägt hat, ist ausgesprochen undankbar. Der Vorgänger hat nicht nur Strukturen geschaffen und Abläufe, er hat Verbündete an wichtigen Stellen und ist als ständiger Vergleichs-Parameter allgegenwärtig. Werder Bremen verbrauchte nach 14 Jahren mit Otto Rehhagel in Aad de Mos, „Dixie“ Dörner, Wolfgang Sidka und Felix Magath in drei Jahren ganz untypisch vier Cheftrainer, ehe Thomas Schaaf kam und mit weiteren 14 Jahren eine neue Ära prägte. Nach Schaaf taten sich Robin Dutt, Viktor Skripnik und Alexander Nouri schwer, ehe Florian Kohfeldt wieder auf Strecke Erfolg brachte. Noch krasser lief es für David Moyes bei Manchester United, als er 2013 dem großen Sir Alex Ferguson nach 26 Dienstjahren folgte. Denn nach zehn Monaten war Moyes schon wieder beurlaubt und stellte fest: „Es war fast eine unmögliche Sache.“ Moyes selbst war zuvor elf Jahre bei Everton gewesen. In den elf Jahren seitdem benötige Everton 14 Trainer.
Große Fußstapfen in Freiburg
Es gab aber einen Ort, an dem ein solches Kunststück gelungen ist: in Freiburg. Dort hörte 2007 Volker Finke auf, nach 16 Jahren und am Ende nach dem verpassten Wiederaufstieg nicht ganz freiwillig. Sein Nachfolger wurde Robin Dutt. Eben jener Dutt, der sechs Jahre später bei der Schaaf-Nachfolge in Bremen scheiterte. In Freiburg scheiterte er nicht. Er wurde im ersten Zweitliga-Jahr Fünfter, stieg dann als Meister auf, hielt zweimal die Klasse und wurde nach vier Jahren von Bayer Leverkusen verpflichtet. „Ich kam damals aus der Dritten Liga und habe das große Erbe von Volker Finke angetreten“, sagte Dutt kürzlich dem „Kicker“: „Beim SC Freiburg herrscht intern eine große Unterstützung, es ist insgesamt mehr Teamwork als woanders, da ist eine solch große Herausforderung etwas einfacher zu meistern.“
Deshalb glaubt Dutt jetzt auch, dass Julian Schuster das nächste große Erbe beim SC meistern kann. Das von Christian Streich, der am Saisonende nach zwölf Jahren als Cheftrainer und 29 Jahren im Club aufhört. Und durch den 38 Jahre alten Schuster ersetzt wird, der bisher noch nie irgendwo als Cheftrainer gearbeitet hat. „Bei 16 bis 17 anderen Bundesligisten wäre das aus meiner Sicht ein Problem“, sagte Dutt. Grundsätzlich würde er es „nicht empfehlen, einem Trainer ohne Chefcoach-Erfahrung einen Bundesligajob anzuvertrauen“. In Freiburg aber sei es „möglich, falls der Kandidat ein außergewöhnliches Talent ist. Bei Jürgen Klopp hat es damals in Mainz, als er plötzlich vom Spieler zum Trainer wurde, auch funktioniert. Ich sehe in Julian ein großes Trainertalent und bin überzeugt, dass es in Kombination mit dem unterstützenden Umfeld beim SC zu 100 Prozent hinhauen wird.“
Nun denn, man darf gespannt sein. Doch es gibt viele Parameter, die einen glauben lassen, dass es tatsächlich klappen könnte. Da wäre zum einen eben das unaufgeregte Umfeld in Freiburg. Da wäre die enge Verbindung von Schuster zum Verein, für den er – einst von Dutt geholt – zehn Jahre spielte, davon sieben unter Streich. Schuster kennt den Verein und die Menschen darin – inklusive der Fans. Beim Pokal-Halbfinale 2022 gegen den Hamburger SV stand er mitten im Fanblock und jubelte über den Final-Einzug. Und die Fans sangen ihm ein Lied, das sie 2010 eigens für ihn dichteten. „Unser Capitano legt sich gern mal in den Dreck, morgens isst er Müsli, abends geht er früh ins Bett. Oooh, Julian Schuster, du alter Gauner, schieß noch ein Toooor!“, heißt es darin. „Ich habe mit dem Lied meinen Frieden gemacht“, sagte Schuster lachend im Vorjahr: „Natürlich weiß ich das zu schätzen, dass die Fans das immer noch singen. Sie dürfen sich aber ruhig auch für andere Spieler noch Lieder überlegen. Da singe ich dann auch gerne mit.“
Streich derweil ist eine Art Mentor, dessen Segen Schuster hat und dessen Ratschlag er sicher jederzeit einholen darf. Als „sehr erfreulich“ bezeichnete Streich es, dass sein langjähriger Kapitän ihm nachfolgt. Er habe in den sechs Jahren, in denen dieser zuletzt als Verbindungscoach zwischen Jugend und Profi beim SC tätig war, „uneingeschränktes Vertrauen“ in ihn gehabt. Und schon 2022 sagte Streich etwas über Schuster, was heute in sich schlüssig ist. „Er ist so eng mit dem SC verbunden. Die anderen Vereine müssen sich nicht bemühen, dass sie auf die Idee kommen könnten, dass sie ihn hier wegholen können!“
Dabei hatte sich auch ein anderer offenbar große Hoffnungen auf die Streich-Nachfolge gemacht. Seit neun Jahren trainierte Thomas Stamm zunächst die U19 und dann die U23 der Freiburger, die er 2023 auf Platz zwei der Dritten Liga führte. Was den Zweitliga-Aufstieg bedeutet hätte, wenn eine Reserve dazu berechtigt wäre. Aktuell ist Stamm mit der Zweiten Mannschaft des SC Letzter. Und manch einer ist sicher: Hätte Streich die Freiburger ein Jahr früher verlassen, wäre er der Nachfolger geworden. Wenige Tage, nachdem nun Schuster verkündet wurde, kündigte Stamm seinen Abschied aus Freiburg an. Man solle bitte nicht zu viele Dinge „reinspekulieren“ bat der Schweizer. Doch seine Aussagen waren klar. „Plan A und Plan B war für mich eigentlich immer der SC. Jetzt ist eine gewisse Perspektive weggefallen“, sagte er: „Eine gewisse Enttäuschung ist immer da, aber so ist der Sport und das Berufsleben.“
Schon als Spieler ein Leader
Nun wird es also Julian Schuster. Und für viele ist das durchaus logisch. „Julian war schon als Spieler der längste verlängerte Arm eines Trainers, den ich je gesehen habe“, sagte der langjährige Mitspieler Nils Petersen: „Für mich war sonnenklar, dass Schusti eines Tages Trainer wird, und mich würde es sehr wundern, wenn diese tolle Persönlichkeit keinen Erfolg hätte. Seine Ansprachen an Spieltagen hatten immer etwas unglaublich Klares, Motivierendes und stets Sinnvolles. Wenn er das Wort ergriffen hat, war Ruhe in der Kabine.“ Es schade auch nie, „bereits Teil dieses besonderen Vereins gewesen zu sein. Der SC steht für bestimmte Werte, für eine gewisse Demut. Und am Ende auch für sportliche Qualität. Wenn eine Personalie im eigenen Haus das alles verkörpert, muss man wohl nicht allzu lange überlegen.“
Nach Angaben von Sportvorstand Jochen Saier soll der Club durchaus auch externe Kandidaten geprüft haben. Der Name des langjährigen Union-Trainers Urs Fischer fiel zum Beispiel immer wieder. Doch auch Dennis Aogo, der in Freiburg einst zum Nationalspieler wurde, sagte zu Sky: „Als Typ passt Julian zu 100 Prozent. Ich habe ihn leider nie richtig kennenlernen dürfen. Aber alles, was ich höre aus Freiburg – jeder lobt ihn in höchsten Tönen und viele haben gesagt, dass er schon bestimmte Eigenschaften von Christian angenommen hat über die Jahre.“
Schuster als der „neue“ Streich?
Soll Schuster also nur ein Streich-Double werden? Und nur dessen Ära verwalten? Sicher nicht. Auch wenn es helfen wird, wenn einer kommt, der nicht gleich alles ganz anders macht und alles umkrempelt. Nach und nach darf und muss er dann sicher sein eigenes Trainerprofil herausbilden. „Sein Fachwissen, seine Persönlichkeit und seine umfängliche Identifikation mit der Philosophie und den Werten des SC Freiburg waren für uns maßgebliche Kriterien“, sagte Saier. Schuster nannte die neue Aufgabe „Herzensangelegenheit und Herausforderung zugleich. Ich bin mir der Aufgabe bewusst und gehe diese mit voller Überzeugung, aber auch mit Demut und Respekt an.“
So hat sich der vierfache Familienvater nach oben gearbeitet. Schuster spielte nie in einem Leistungszentrum. Nach der Schule machte er eine Lehre als Bankkaufmann, holte das Abitur auf der Wirtschaftsoberschule nach. Mit 19 spielte er noch in der Bezirksliga, mit 23 in der Dritten Liga. Und als er es in Freiburg mit Streich zu tun bekam, stellte dieser angeblich immer wieder die Frage: „Sind Sie nicht zu langsam für die Bundesliga?“ Schuster antwortete daraufhin laut „Kicker“: „Trainer, machen Sie sich keine Sorgen, das haben die Leute auch schon in der Bezirksliga gesagt.“
Schnell war er nie, aber er hatte Leidenschaft, Übersicht, Spielverständnis. Diese Dinge machten Julian Schuster eben zum verlängerten Arm des Trainers. Und machen ihn nun vielleicht zu einem idealen Trainer. Ob er dabei auch gleich zum Einstieg eines der größten Erben der Bundesliga-Geschichte wird verwalten können, wird sich aber zeigen.