In der Nähe von Marrakesch liegt „ANIMA“, der von André Heller angelegte Zaubergarten. Besucher wandeln durch fantastische Pflanzenwelten, einzigartige Installationen und Kunstwerke.
Zur kalten Jahreszeit zieht es viele Menschen gen Süden, der Sonne entgegen, und immer öfter geraten die Länder Nordafrikas in den Blick der Touristen. Insbesondere gilt hier Marokko als klassisches Reiseland, denn an dieser Schnittstelle zwischen Europa, der arabischen Welt und Afrika offenbart sich wie an kaum einem anderen Ort der Zauber des Orients. Neben den sehenswerten, wilden und kargen Landschaften des mittleren und hohen Atlasgebirges, den Ausläufern der Sahara mit ihren abgelegenen Oasen, sind es vor allem Königsstädte wie Meknès und Fès, die mit ihren Baudenkmälern und ihrer überbordenden Kunstgeschichte ihresgleichen suchen. Erst recht ziehen Casablanca an der Atlantikküste im Nordwesten Marokkos und Marrakesch am Fuße der kargen und unwirtlichen Berge ihre Besucher in den faszinierenden Bann einer exotischen Welt.
Insbesondere Marrakesch, auch als Paris der Sahara gerühmt, ist bunt, verwirrend, laut und anstrengend. Wer hier einmal den Souk, den größten Basar Afrikas, durchstreift und sich an den dicht aneinander gelegenen Läden vorbeigeschlängelt hat, wird sich mehr denn je nach Ruhe für all seine Sinne sehnen. Denn mitunter nervenaufreibend ist das handelsübliche Feilschen um Schmuck, Teppiche, Gläser, Leder und Kunsthandwerk; laut die durch die schmalen Gassen knatternden Mopeds, sperrig die Eselskarren mit ihren Körben, Säcken und festgezurrten Reisigbündeln; verwirrend die Gerüche der Gewürze, umherschweifend und irrlichternd der Blick über all die bunten und glitzernden Auslagen.
Beeindruckende Installationen
Doch selbst das Zentrum der Medina, der stets quirlig belebte „Platz der Getöteten“, dieses weit gestreckte Areal des Djemaa El Fna ist kein Ort ruhigen Verweilens und des Müßiggangs. Fliegende Händler, Artisten, Schlangenbeschwörer und lautstarke Musikanten fordern schon nach kurzer Zeit überaus starke Nerven. Natürlich gibt es auch in Marrakesch Plätze zum Verweilen, aber wer einen Ort wirklicher Entspannung und einer behutsamen Wiederbelebung seiner strapazierten Sinne sucht, sollte unbedingt „ANIMA“, den von André Heller konzipierten Zaubergarten circa 30 Kilometer südlich der Stadt besuchen und sich dafür mehrere Stunden Zeit nehmen. Die Fahrt dorthin führt vorbei an vereinzelten Bauernhöfen, an Rosenfarmen, Olivenhainen und kleinen, zumeist von einheimischen Männern besuchten Straßencafés, über ein schmalen Schotterweg schließlich zum Eingangstor der weitläufigen, künstlich geschaffenen Anlage inmitten karger Landschaft.
André Heller, der in Wien geborene, international bekannte und erfolgreiche Multimedia-Künstler, entdeckte bereits in den 70er-Jahren seine große Leidenschaft für die Schönheit Marokkos. Als er kurz nach der Jahrtausendwende zufällig von einheimischen Freunden unweit eines kleinen Dorfes auf das circa acht Hektar große Gelände einer ehemaligen Rosenfarm geführt wurde, sah er nicht nur das verdorrte und verwaiste Land, sondern vor allem die berauschende Aussicht auf die Höhenzüge des nahen Atlasgebirges. Hier, so sein Entschluss, wollte er ein Stück des Paradieses auf die Erde zurückholen und einen zauberhaften Garten anlegen, koste es ihn, was es wolle. An Kunst und Skulpturen, hauptsächlich aber an Wundern der Natur sollte es an keiner Stelle mangeln.
Schon im Vorhof dieser weitläufigen Garten- und Parkanlage begrüßt eine beeindruckende Installation den Besucher. Neben Steinkreisen ragen rostige Schalen, die eine standfest, die andere, in der eine Weltkugel ruht, schwebend über dem Gelände. Die massive und gleichzeitig fragil austarierte Konstruktion symbolisiert Merkmale des ganzen Areals: Bewegung und Statik, Vielfalt und Ausgewogenheit.
25 Meter hohe Palmen wurden gepflanzt
Gesäumt von Palmen führt der Weg zu einer niedrigen, hölzernen Pforte, durch die man den Garten betritt. Nun weiß wohl niemand, wie das Paradies aussehen mag, aber es wird wohl voller Leben sein. Zumindest hier auf diesem Fleckchen Erde zirpt und zwitschert es zwischen all den Pflanzen, Büschen, Wiesen und Bäumen, schon dies ein Wunder. Denn in der weiteren Umgebung verschwinden Kröten und Frösche, werden Wälder zerstört, Wasser verschlingende Golfplätze angelegt, so unnatürlich wie ihr ödes, kurzgeschnittenes Grün. Schon jetzt können nur jene Pflanzen im Paradiesgarten gedeihen, die wenig Wasser verbrauchen. Um überhaupt das Gelände fruchtbar zu machen, musste zuvor der karge Lehmboden gegen Erdmischungen ausgetauscht werden, die den Anforderungen der unterschiedlichsten Pflanzen entsprachen. Selbst der ideale Humus muss gewässert werden, Drainagen wurden gelegt, es gluckst und gluggert an allen Ecken und Kanten. 25 Meter hohe Palmen wurden herbeigeschafft und seltene und bedrohte Gewächse wieder eingepflanzt.
Ganz bewusst wurde auf belehrende Informationstafeln oder Herkunftsnachweise (der Besucherpavillon bietet dafür ausreichend Material) zu den vielfältigen Pflanzen und Skulpturen verzichtet, eine Gebrauchsanweisung oder eine vorgeschriebene Wegerichtung gibt es nicht. Denn der Paradiesgarten beeindruckt als Ganzes und will als einzigartiges ökologisches Statement mit Fantasie anregender Kunst erlebt werden. Weniger Pädagogik, mehr Sinnlichkeit.
Unweit des Eingangs überschatten über 200 Jahre alte Olivenbäume den kiesbedeckten Flanierpfad. Je knorriger und verwachsener sie sind, desto beeindruckender ihr Anblick. Solch uriges Alter der Krummgeratenen flößt Respekt ein. Und kaum erreicht man eine Weggabelung oder biegt um eine sanft geschwungene Kurve, lädt eine Bank unweit eines plätschernden Brunnens zum Innehalten ein. Immer wieder überraschen uns Skulpturen wie der Nachguss des „Denkers“ von Auguste Rodin oder der kleine „Depp“ von Susanne Schmögner, ein kugelrunder Kopf mit glitzernden Augen inmitten von Kakteen. Mehr noch: eine der berühmten Männchenstelen von Keith Haring. Ein gigantischer, wasserspeiender, mit Glitzersteinen übersäter Mosaikkopf. Multikulturelles im Sinne eines friedlichen Nebeneinanders und mannigfaltiger Anregung findet man im Paradiesgarten ebenso wie Kunst, die nachdenklich stimmt: Afrikanisch muten die hölzernen Masken an, die hier einen abgestorbenen Baum schmücken. Zudem wundersame Zeichen, Streifen und Augen an tätowierten Palmenstämmen.
Eine Fläche von gut vier Fußballfeldern
Es überwiegt die Farbe Grün in all ihren Zwischentönen, hier Kakteengruppen, dort bunte Blumenbeete, Drachenbäume und dichter Pflanzendschungel. Durch dichten Bambus führt ein anderer sanft geschwungener Weg, vorbei an nebeneinander gehängten tibetanischen Fähnchen, Naturerleben auch als eine spirituelle Erfahrung. Dies alles ist also viel mehr als ein botanischer Garten, wie wir ihn hierzulande kennen, und so beschleicht uns während eines Besuchs im „ANIMA“ die Ahnung, vielleicht auch die Gewissheit, dass die Natur beseelt ist, und wir es spüren können. Was scheinbar so ungeordnet dem Besucher ins Auge springt und sein Erstaunen hervorlockt wie auch der Verzicht auf Führung und Anleitung mag zudem wohl auch der Einsicht dienen, dass es einen einzigen, allein richtigen Lebensweg nicht gibt.
Über eine Fläche von gut vier Fußballfeldern erstreckt sich Hellers Paradiesgarten und er ist nicht nur von touristischer Bedeutung für das benachbarte kleine Dorf Douar Sbiti. Er zeigt auch, was ökologisch sinnvoll und machbar ist und er bietet – im Vergleich zum Landesdurchschnitt – gut bezahlte, sinnvolle und sichere Arbeitsplätze für zahlreiche Menschen aus der Umgebung. Bevor man nun die Rückreise ins quirlige Marrakesch antritt, ist ein abschließender Besuch im schlicht gehaltenen, lichtdurchflutetem Besuchertreffpunkt angeraten. Im Gegensatz zu all dem Souvenirkitsch, der den Touristen in den Städten, an den Aussichtspunkten in den Bergen oder bei einem kurzen Kamelritt über die Sanddünen der Saharaausläufer geboten wird – und nicht aufgeschwatzt wie in anderen arabischen Ländern –, findet man hier Erinnerungsstücke und hochwertige Geschenke für die Daheimgebliebenen wie Tücher, Stickereien, Ketten und anderes mehr. Diese Waren werden in einer Werkstatt für gehandicapte Frauen gefertigt und kommen zusammen mit einem Teil der Eintrittsgelder einem Schulprojekt zugute. Man mag von vielen Eindrücken einer Reise nach Marrakesch mit der Zeit so manches wieder vergessen. Die Erinnerungen an einen Rundgang durchs Paradies allerdings – sie bleiben im Gedächtnis. Auch ohne die obligatorischen Smartphone-Fotos.