Mit dem mehrfach Oscar-preisgekrönten Biografie-Epos „Oppenheimer“ ist Julius Robert Oppenheimer gerade wieder ins Bewusstsein einer breiten Weltöffentlichkeit gerückt worden. Der US-amerikanische Physik-Star und Erfinder der ersten Atombombe wäre dieser Tage 120 Jahre alt geworden.
Als in der Morgenfrühe des 16. Juli 1945 über der Strauchwüste des US-Bundesstaates New Mexiko auf einem hermetisch abgeschirmten militärischen Testgelände die erste Atombombe der Geschichte gezündet wurde, stand Robert Oppenheimer in einem gerade mal neun Kilometer vom Ground Zero entfernten Bunker. Aus einem Feuerball des Lichts erhob sich bereits vier Sekunden später eine pilzförmige Wolke himmelwärts, bald begleitet von ohrenbetäubendem Grollen und Donnern sowie einer massiven Druckwelle. Die welterschütternde Explosion war letztlich sein Werk und läutete ein neues Zeitalter ein, das fortan unlösbar mit seiner Person verbunden bleiben sollte.
„Wissenschaftler sind nicht schuld“
Das war allen Hauptbeteiligten an dem 1942 mit gigantischen finanziellen Mitteln und unter größter Geheimhaltung in der Laborstadt Los Alamos ins Leben gerufenen „Manhattan-Projekt“ klar. Mit dem Projekt wollte die USA Hitler-Deutschland in der Entwicklung einer Atombombe zuvorkommen. „Wir wussten, die Welt würde nicht mehr dieselbe sein“, erinnerte sich Oppenheimer später an diesen historischen Augenblick. „Ein paar Leute lachten, ein paar Leute weinten, die meisten waren still.“
Auch Oppenheimer selbst war sich der Tragweite seiner Arbeit als wissenschaftlicher Leiter des Manhattan-Projekts, das mit dem auf den Namen „Trinity“ getauften Test einer Plutoniumbombe namens „Gadget“ einen gloriosen Erfolg verbuchen konnte, durchaus bewusst. Laut eigenem Bekunden hatte Oppenheimer beim Anblick der gewaltigen Explosion an eine Zeile aus der von ihm im Originaltext gelesenen hinduistischen Bhagavad Gita denken müssen: „Jetzt bin ich zum Tod geworden, dem Zerstörer der Welten.“ Der Physiker zeigte neben seiner beruflichen Beschäftigung mit theoretischer Physik auch großes Interesse für Kunst, Freuds Psychoanalyse oder Sprachen wie Griechisch oder Sanskrit.
Schon drei Wochen später erwies sich seine Vorahnung als zutreffend: durch die verheerende US-Bombardierung der japanischen Städte Hiroshima mit einer Uranbombe und Nagasaki mit einer Plutoniumbombe. „Die Physiker haben erfahren, was Sünde ist“, sagte Oppenheimer, „und dieses Wissen wird sie nie ganz verlassen.“ Dennoch distanzierte sich Oppenheimer zeitlebens niemals vom Manhattan-Projekt und der Entwicklung der Atombombe. Unter anderem weil er davon überzeugt war, dass durch die Leiden in Japan und die abschreckende Furcht vor der neuen Vernichtungswaffe schlimmere Kriegshandlungen in der Zukunft verhindert werden könnten. Zudem war er überzeugt, dass die Nukleartechnologie auch für andere Zwecke wie die Energiegewinnung nutzbar gemacht werden könnte. Oppenheimer verwehrte sich dagegen, die Wissenschaftler für den womöglich falschen Einsatz ihrer Entdeckung verantwortlich zu machen: „Die Wissenschaftler sind nicht schuld. Unsere Arbeit hat die menschlichen Lebensbedingungen verändert, aber was mit diesen Veränderungen geschieht, ist das Problem der Regierungen, nicht der Wissenschaftler.“
Vom Nationalhelden zum Geächteten
Allerdings wollte sich der hagere Gelehrte mit seinen typischen Accessoires wie dem Schlapphut und der klobigen Tabakpfeife nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht gleich in den wissenschaftlichen Elfenbeinturm zurückziehen. Stattdessen blieb der als Nationalheld gefeierte, von renommierten Blättern wie dem „Time Magazine“ porträtierte und mit dem Medal for Merit, der damals höchsten zivilen Auszeichnung der USA, geehrte Physiker auch politisch zunächst noch am Ball. Er setzte sich als Vorsitzender des General Advisory Committee, eines Beratungsgremiums für die US-Atomenergiebehörde Atomic Energy Commission (AEC), die damals nur für Bomben und nicht für Kraftwerke zuständig war, für die Aufnahme von atomaren Rüstungsbegrenzungsverhandlungen ein und riet strikt von der Entwicklung der noch tödlicheren Wasserstoffbombe ab.
Das führte im Frühjahr 1954 zu seiner Kaltstellung in einem demütigenden, als „Anhörung“ bezeichneten Schauprozess vor der AEC. Während der McCarthy- Ära wurde Oppenheimer plötzlich wegen früherer Kontakte zu linken Kreisen vor allem in den 1930er-Jahren als nationales Sicherheitsrisiko und sogar als Spion für die Sowjetunion angeprangert. Deshalb hatte das FBI längst eine dicke, für die Leitung des Manhattan-Projekts eigentlich höchst bedenkliche Akte über ihn angelegt. Letztlich entzog man Oppenheimer die für die Mitarbeit an geheimen staatlichen Projekten nötige Sicherheitsfreigabe. Er wurde aus allen staatlichen Gremien verbannt, was der Physiker nur schwer verkraften konnte. Daran konnte auch die von Präsident John F. Kennedy veranlasste und als formelles Zeichen einer Rehabilitation angesehene Verleihung des Enrico-Fermi-Preises der AEC im Jahr 1963 wenig ändern.
Schon seit seiner Geburt am 22. April 1904 in New York konnte sich Julius Robert Oppenheimer eigentlich als Glückskind fühlen. Der Vater hatte ein großes Vermögen im Textilhandel verdient. Robert, dessen erster Vorname Julius nie benutzt wurde, weshalb er sich später die Abkürzung „J.“ zulegte, wuchs an der Upper West Side gemeinsam mit seinem Bruder Frank und der kunstbeflissenen Mutter in einer wohlbehüteten Familie in purem Luxus auf. Dienstmädchen, Chauffeur, Privatlehrer für Chemie oder Segelschiff auf Long Island inklusive. An der Schule war er ein Überflieger und konnte sich nebenbei für französischer Poesie ebenso begeistern wie für Gesteinskunde. Ein Gelehrtendasein schien vorprogrammiert zu sein, weshalb er zwischen 1922 und 1925 die Harvard University besuchte und einen Abschluss mit summa cum laude hinlegte. Dabei hatte er neben seiner hauptsächlichen Beschäftigung mit Chemie auch Kurse in Physik besucht.
Doktortitel mit gerade 23 Jahren
Da er seine berufliche Zukunft in der Physik sah, war für die weitere Ausbildung ein Umzug nach Europa, das in diesem Fach dominierend war, unumgänglich. Am Cavendish Laboratory der University of Cambridge musste er 1925/1926 allerdings die erste Pleite seines Lebens verkraften, weil dort vor allem experimentelle Physik auf dem Programm stand und er sich als denkbar schlechter Experimentator erwiesen hatte. Seine Stärke war die theoretische Physik, die damals eine Domäne europäischer Wissenschaftler mit der Quantenmechanik, die später die Basis für den Bau der Atombombe werden sollte, und Kernphysik an der Spitze war. Nachdem Oppenheimer erste Abhandlungen über die Quantenmechanik und die Atomstrukturen veröffentlicht hatte, wurde er von Max Born an die Universität Göttingen geholt, damals das globale Atomphysik-Epizentrum. Dort erwarb er bereits im Mai 1927 mit gerade mal 23 Jahren den Doktortitel mit der Arbeit „Zur Quantentheorie natürlicher Spektren“.
Da sich in seiner Heimat herumgesprochen hatte, dass Oppenheimer sich quasi an der Quelle fundiertes Wissen über theoretische Physik und speziell die Quantenphysik erworben hatte, konnte er aus einer Vielzahl von Stellenangeboten seine Wahl treffen. Er entschied sich 1929 für eine geteilte Professorenstelle für Physik an der University of California in Berkeley und dem California Institute of Technology in Pasadena. Bis zu seiner Berufung zum Manhattan-Projekt pendelte er 13 Jahre lang zwischen den Unis. Am 2. November 1940 heiratete er nach einer längeren Affäre mit der Ärztin Jean Tatlock die Botanikerin Katherine Puening und wurde Vater zweier Kinder.
Oppenheimers wissenschaftliche Arbeiten vor der Atombombe sind weniger bekannt. Dabei legte er die Grundlagen für die moderne Molekularphysik, erkannte als erster den sogenannten quantenmechanischen Tunneleffekt, entwickelte die Theorie kosmischer Strahlenschauer und zeigte auf, dass massenreiche Sterne unter dem Einfluss der Gravitationskräfte kollabieren können. Oppenheimers großes Plus war seine charismatische Ausstrahlung, die ihn bei seinen Studenten sehr beliebt machte und ihm auch bei der Zusammenarbeit mit hochkarätigen Kollegen beim Manhattan-Projekt sehr hilfreich war. „Nie wieder gab es eine Ansammlung gelehrten Geistes wie damals in der Bomben-Stadt Los Alamos“, beschrieb es der „Spiegel“. „Gleich einem Hohlspiegel vereinigte Oppenheimers intellektueller Charme die Energie der hervorragendsten Wissenschaftler in einem Brennpunkt.“
Rehabilitierung lange nach dem Tod
Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Oppenheimer 1947 die Stelle als Direktor des Institute for Advanced Study in Princeton – so etwas wie ein Thinktank für theoretische Physik. Nach seiner oben erwähnten Ausbootung im Jahr 1954 beschränkte er sich ganz auf seine Tätigkeit in Princeton, wobei er sich immer häufiger auch Gedanken über die moralischen und ethischen Auswirkungen wissenschaftlicher Erfindungen machte. 1965 wurde bei dem Kettenraucher Kehlkopfkrebs festgestellt. Er wurde operiert und unterzog sich einer Bestrahlungstherapie. Am 18. Februar 1967 verstarb Oppenheimer in Princeton im Alter von 62 Jahren. 55 Jahre nach seinem Tod wurde er durch eine Erklärung der US-Energieministerin Jennifer Granholm vollständig rehabilitiert: „Im Laufe der Zeit sind immer mehr Beweise für die Einseitigkeit und Unfairness des Verfahrens ans Licht gekommen, dem Dr. Oppenheimer unterworfen war“, heißt es darin.