Krönen die Eisbären ihre Wiedergutmachungs-Mission oder die Fischtown Pinguins ihre Cinderella-Story? Für Spannung ist im Play-off-Finale der Deutschen Eishockey Liga gesorgt.
David gegen Goliath? Gemessen an den nackten Zahlen trifft dieser Vergleich für das Play-off-Finale um die deutsche Eishockey-Meisterschaft zwischen den Fischtown Pinguins und den Eisbären Berlin zu. Auf der einen Seite der Final-Neuling aus dem beschaulichen Bremerhaven, auf der anderen Seite der DEL-Rekordmeister aus der deutschen Hauptstadt. Hier der Mini-Etat von 4,5 Millionen Euro, dort stehen rund 17 Millionen zur Verfügung. In die Eisarena Bremerhaven passen 4.647 Zuschauer, in die Mercedes-Benz-Arena etwa zweieinhalb Mal so viele. Ohne Frage: Die Eisbären verfügen über deutlich mehr Erfahrung auf höchstem Niveau, eine bessere Infrastruktur und auch über das weitaus größere Potenzial. Aber sind sie deswegen auch automatisch Favorit in der am vergangenen Mittwoch mit dem ersten von maximal sieben Spielen gestarteten Showdown der Gegensätze? Nicht unbedingt. Die Mehrheit der Experten schätzt sogar die Pinguins einen Tick stärker ein – und das nicht ohne Grund.
Da ist zum einen der Heimvorteil. Das erste und das womöglich entscheidende siebte Spiel am 30. April finden in Bremerhaven statt. Verdient hatten sich die Norddeutschen diesen vor allem psychologischen Vorteil dank einer herausragenden Hauptrunde, in der sie sich überraschend Platz eins sicherten und auch die Berliner in die Schranken wiesen. Drei von vier Vorrunden-Duellen verlor der Hauptstadt-Club gegen den Außenseiter, der eigentlich längst keiner mehr ist. „Wenn man Bremerhaven jetzt das ganze Jahr über betrachtet“, sagte Eisbären-Stürmer Frederik Tiffels, „machen die unfassbar wenig Fehler. Die ziehen einfach seit Tag eins ihr Spiel extrem konsequent durch.“ Das haben auch die Eisbären nach der Horror-Saison 2022/23, als die Play-offs auf blamable Art und Weise verpasst wurden, versucht. Das hat auch im hart umkämpften Halbfinale gegen die Straubing Tigers gut geklappt. Doch der Finalgegner dürfte dem neunmaligen Meister nochmal mehr abverlangen.
„Wir wissen, was auf uns zukommt, und dass wir definitiv noch eine Schippe oder auch zwei drauflegen müssen“, sagte Nationalspieler Tobias Eder. Auch Tiffels bezeichnete die Pinguins als „eine extrem gute Mannschaft“, er erwartet ein Duell „auf Augenhöhe. Es wird derjenige gewinnen, der weniger Fehler macht.“ Ähnlich sieht es Trainer Serge Aubin. Der Kanadier lobte vor dem ersten Bully den Gegner, vergaß aber auch nicht, die enorme Entwicklung der eigenen Spieler von einer uninspirierten Anhäufung satter Stars zu einem energetischen Team hervorzuheben, das diesen Namen auch wirklich verdient. Die Fans sind wieder glücklich, der Eigner Anschutz ist wieder glücklich, die Sponsoren sind wieder glücklich. Die Mission „Wiedergutmachung“ für die Bruchlandung im Vorjahr ist bis jetzt sehr gut gelaufen, aber „der Job ist noch nicht erledigt“, wie Trainer und Spieler unisono betonten. „Unser voller Fokus gilt nun der Finalserie“, sagte Aubin. Die Chance auf den zehnten Meistertitel der Clubgeschichte – den dritten innerhalb von vier Jahren – wollen sich die Eisbären nicht nehmen lassen.

„Die Erwartungen an uns sind immer hoch. Wir sind in Berlin, wir sind hier, um zu gewinnen“, sagte der Trainer: „Das gilt für die Spieler und den ganzen Trainer- und Betreuerstab.“ Eder, der vor der Saison von der Düsseldorfer EG nach Berlin gewechselt ist und wie viele andere neue Spieler einen frischen Wind reinbrachte, hat genau verstanden, was sein Coach ihm vermitteln wollte: „Jetzt haben wir es so weit geschafft, jetzt wollen wir das Ding auch nach Hause bringen.“
Doch der Gegner ist mindestens mit den gleichen Ambitionen ins Final-Rennen gegangen. „Jetzt holen wir es uns, wir sind zu 100 Prozent bereit“, sagte Bremerhavens Topscorer Jan Urbas nach dem Finaleinzug durch ein 4:1 gegen Titelverteidiger EHC Red Bull München. „Wir sind unheimlich stolz und froh, dass wir es geschafft haben. Wir haben in den letzten Wochen gezeigt, dass wir eine hohe Qualität haben“, schwärmte auch Trainer Thomas Popiesch, für den der Finaleinzug besonders emotional war. „Normal ist das für uns noch nicht, deshalb musste ich mich nach dem Spiel schon etwas sammeln.“
Gesteigertes Selbstvertrauen
Selbst Clubmanager Alfred Prey, der in der Regel nicht zur Euphorie neigt, rechnet sich Titelchancen aus. „Diese Mannschaft hat immer den Willen gehabt, etwas Besonderes zu schaffen“, sagte Prey: „Das Selbstvertrauen ist immer weiter gewachsen.“ Der Triumphzug gegen das von Getränkehersteller Red Bull mit vielen Millionen Euro alimentierte München hat die Brust noch breiter gemacht. Und nun warte eine „Wahnsinns-Finalserie“, meinte Prey, der ganz Bremerhaven im Pinguins-Fieber sieht: „Die Stadt atmet und lebt Eishockey.“ Die Tickets für die beiden ersten Heimspiele an der Nordseeküste waren bereits in weniger als einer halben Stunde verkauft, schon in der Nacht vor dem Verkauf sollen sich Medienberichten zufolge Schlangen vor den Ticketschaltern in der Seestadt gebildet haben. Keine Frage: Während die Finalserie für die Eisbären fast schon Routine ist, ist sie für die Fischtown Pinguins das größte Highlight der bisherigen Clubgeschichte.
Vor dem DEL-Aufstieg 2016 hatte der Club lange in der 2. Liga gespielt, ein Jahr sogar in der Drittklassigkeit. Erst mit dem Bau der Eisarena 2011 konnte mehr Professionalisierung Einzug halten und konnten mit Mühe und Not die 800.000 Euro für eine DEL-Lizenz zusammengekratzt werden. Dass Thomas Popiesch seit der DEL-Premiere 2016 als Cheftrainer an der Bande steht, ist symbolisch für das Erfolgsrezept des Clubs: Kontinuität. Man habe immer versucht, die besten Spieler, die man mit Mühe und reichlich Einfallsreichtum gefunden hatte, länger an sich zu binden, erklärte Prey. Außerdem wurde stark darauf geachtet, sich keinen „faulen Apfel“ in den Korb zu legen. „Wir achten darauf, dass die Spieler einen guten Charakter haben“, sagte der Manager: „Es hört sich an wie eine Plattitüde, aber das Team ist der Star.“
So tritt Bremerhaven auch auf dem Eis auf: geschlossen, kämpferisch, taktisch diszipliniert. Und auch die Qualität im Kader hat sich über die Jahre sukzessiv gesteigert. Deshalb ahnte das Fachmagazin „Hockeyweb“ schon in seiner Saisonvorschau im vergangenen September, dass dem Team diesmal mehr als das Viertelfinale (wie in sechs der sieben DEL-Spielzeiten zuvor) zuzutrauen sei: „Der Kader konnte auf den Schlüsselpositionen zusammengehalten werden und ist breit aufgestellt. Bremerhaven hat den Anspruch, zu den Top-Mannschaften der Liga zu gehören.“ Diesen Anspruch hat das Team mit Bravour untermauert.
Doch auch die Berliner haben ihre Klasse bewiesen, sodass Experten einen engen und vor allem kräftezehrenden Schlagabtausch erwarten. Alle zwei Tage kommt es zu einem Spiel, lediglich zwischen Spiel vier und fünf würde es eine Pause von drei Tagen geben. Wer zuerst vier Siege auf dem Konto hat, ist der deutsche Meister der Saison 2023/24. Gewinnt Berlin, hat der Rekordmeister ein starkes Comeback gekrönt. Gewinnt Bremerhaven, hat das deutsche Eishockey endgültig eine neue Cinderella-Story. „Wenn wir das gallische Dorf spielen und ab und an die Römer ärgern, ist das fürs Publikum schon perfekt“, meinte Manager Prey.