Der niederländische Fotograf und Regisseur Anton Corbijn über seinen Film, über die legendäre Londoner Grafikdesign-Agentur Hipgnosis, seine Liebe zur Musik und darüber, was er von David Bowie gelernt hat.
Anton Corbijn, 68, ist ein Multitalent. In den letzten 40 Jahren fotografierte er die Crème de la Crème der Rockmusik, hat unzählige Videoclips gemacht, darunter von Nirvana, Nick Cave, U2, Herbert Grönemeyer und Bryan Adams, ist der Hausfotograf von Depeche Mode, gestaltete Plattencover unter anderem für Nick Cave und Metallica. 2007 drehte er seinen ersten Kinofilm „Control“ über Ian Curtis, den Sänger der Band Joy Division. Danach folg-te der Thriller „The American“ (2010) mit George Clooney in der Hauptrolle sowie die Romanverfilmung von John le Carrés „A Most Wanted Man“ (2014). Als großer Fan von Aubrey Powell und Storm Thorgerson – besser bekannt als die legendäre Londoner Grafikdesign-Agentur „Hipgnosis“ – hat er jetzt seinen ersten Dokumentarfilm gedreht: „Squaring the Circle“. Hipgnosis revolutionierte in den 70er-Jahren, bis zu ihrer Auflösung 1983, die Art und Weise, wie man Popmusik-Plattenhüllen gestalten kann. Anton Corbijns Film ist eine faszinierende Hommage an die wohl kreativsten Cover-Artists aller Zeiten.

Herr Corbijn, als Aubrey „Po“ Powell Ihnen vorschlug, einen Dokumentarfilm über die Arbeit von Hipgnosis zu machen, haben Sie zunächst abgelehnt. Warum haben Sie gezögert? Und was gab den Ausschlag, dass Sie den Film dann doch machten?
„Squaring the Circle“ ist seit „Control“ der erste Film, der Musik zum Thema hat. Und da man mich – auch durch meine vielen Videos – fast immer nur mit Musikfilmen in Verbindung bringt, wollte ich zunächst nichts damit zu tun haben. Weil Hipgnosis sehr viele Album-Cover für Pop-Musiker gestaltet haben, hatte das natürlich auch wieder mit Musik zu tun. Aber dann hat mir Po (Storm Thorgerson ist bereits 2013 verstorben, Anm. d. Red.) so interessante Anekdoten erzählt – von seiner Arbeit für Pink Floyd, Led Zeppelin, Paul McCartney und andere Rock-Größen –, dass ich es doch sehr spannend fand, darüber einen Film zu machen. Immerhin bin ich mit der Musik dieser Künstler aufgewachsen und war schon immer total begeistert von den Hipgnosis-Covern. Sie sind für mich echte Kunstwerke.
Sie haben für Ihre Doku ein paar sehr prominente Rockstars für Interviews gewinnen können, da-runter David Gilmour, Roger Waters, Paul McCartney, Peter Gabriel und Jimmy Page. War es sehr schwer, sie zu überreden, bei diesem Projekt mitzumachen?
David Gilmour und Roger Waters von Pink Floyd haben sich schnell bereit erklärt, mit mir zu reden. Allerdings sind sie seit langem nicht mehr gut aufeinander zu sprechen und waren natürlich nie zur selben Zeit in meinem Studio. Bei Paul McCartney und Jimmy Page von Led Zeppelin war es ziemlich kompliziert. Da musste ich mehr Überzeugungsarbeit leisten. Aber ich kann das verstehen. Beide kriegen ja täglich viele Einladungen zu Events oder Anfragen für Interviews. Und sie wollen sich schließlich auf ihre eigene Arbeit konzentrieren. Aber als ich sie dann vor dem Mikro hatte, waren sie alle großartig. Jimmy scherzte sogar, dass das Hipgnosis-Cover von „In Through the Out Door“ besser war als das Album selbst.
Was ist für Sie die Essenz der Kunst von Hipgnosis?
Sie waren mit den Musikern von Pink Floyd befreundet und haben deshalb ab Ende der 60er-Jahre – seit „A Saucer Full Of Secrets“ – viele Album-Cover für die Band gemacht. Darunter eins meiner Lieblings-Cover, nämlich das mit der Kuh für „Atom Heart Mother“. So etwas war 1970 unerhört. Kein Bandname, nichts – nur die Kuh! Ich liebe es, weil es so einfach ist. Und ich habe natürlich auch die Musik geliebt. Oder die Pyramide auf dem Cover von „Dark Side of the Moon“. Und das Cover von Led Zeppelins „Houses Of The Holy“. Wirklich sensationell. Ich könnte noch so viele weitere aufzählen. Sie haben immer etwas völlig Neues, Unerwartetes gemacht, und zwar mit hoher handwerklicher Kunstfertigkeit.

Bei aller Liebe zu Hipgnosis waren Sie trotzdem nie von ihnen beeinflusst. Ihre Arbeiten als Fotograf, Filmemacher und Album-Cover-Gestalter unterscheiden sich sehr von deren Kunst. Wer hat Sie denn beeinflusst?
Ich habe mich von vielen Künstlern inspirieren lassen, vor allem wenn ich Platten-Cover machte. Auch als Fotograf habe ich mich an Fotografen orientiert, die Musiker fotografierten. Wie zum Beispiel Jim Marshall: Er fotografierte unter anderen Johnny Cash und Jimmy Hendrix. Seine Fotos waren auf vielen Album-Covern zu sehen. Es gab in den 60er-Jahren viele gute Rock’n’Roll-Fotografen.
Die Bilder von Hipgnosis sind sehr durchdacht, bis ins kleinste Detail geplant und sehr kunstvoll ausgeführt. Sie hingegen sagten einmal, dass Sie gar nicht gerne planen, sondern eher Dinge finden wollen, während Sie sich damit befassen. Warum haben Sie gerade diese Arbeitsweise gewählt?
Ich habe leider nicht diese wahnsinnig guten Ideen, die Storm und Po immer hatten. Wenn ich an meinem Schreibtisch sitze, verkrampfe ich mich sofort. Ich bin sehr gut darin, Dinge zu adaptieren und sie dann auf meine ganz eigene Art und Weise umzusetzen.
Sie haben sehr jung als professioneller Fotograf angefangen. Warum haben Sie die Fotografie als künstlerisches Ausdrucksmittel gewählt?
Ich wuchs auf einer Insel vor Rotterdam auf. In einem Elternhaus, das sehr von Religion geprägt war. Mein Vater war evangelischer Pfarrer. Als Teenager fühlte ich mich da schon ziemlich eingeengt. Dann hörte ich die Beatles und all die anderen Bands. Und ich sah, dass es jenseits meiner kleinen Insel eine Welt gab, die viel interessanter schien als meine. Deshalb bin ich mit 19 Jahren nach London gegangen. Auch um ein Teil dieser aufregenden Musik-Welt zu werden. Anfangs habe ich Bands bei Konzertauftritten fotografiert und manchmal auch Porträts von den Musikern gemacht. Dann bin ich sehr schnell als Hausfotograf beim „New Musical Express“ untergekommen. Damals hatte ich noch keine Ahnung von Fotografie. Aber sie war für mich der Königsweg zur Musik. Es war also nicht die Liebe zur Fotografie, sondern zur Musik. Und die Sehnsucht nach einem freien, ungebundenen Leben.

von Herbert Grönemeyer - Foto: picture-alliance / dpa
„Meine Fotos sind sehr protestantisch“, sagten Sie mal. Was meinen Sie damit genau?
(lacht) Die Katholiken haben sicher mehr Spaß. Wir Protestanten sind da eher zurückgenommen. Und in Bezug auf meine Fotos – die sind nicht gerade streng, aber doch sehr fokussiert. Sie konzentrieren sich auf das Wesentliche. Wenn man sie anschaut, soll man nicht abgelenkt werden. Außerdem will ich meine Zeit nicht mit Belanglosem verschwenden. Da muss schon etwas da sein, das zählt.
Sie haben viele berühmte Popstars fotografiert. Was haben Sie aus der Arbeit mit ihnen gelernt? Zum Beispiel von David Bowie?
Mich hat vor allem beeindruckt, wie locker und entspannt er war. Und wie intelligent. Er war eben ein echter Künstler und so gar nicht blasiert oder überheblich. Zu sehen, mit welcher Leichtigkeit sich David Bowie präsentierte, das war mir schon eine gute Lehre. Wichtig für mich ist auch, dass ich dem Menschen, den ich vor der Kamera habe, zwar sage, wie ich das Foto gerne hätte – dann aber komplett loslasse. Ich will meine Fotos auch nicht erklären. Sie sollen für sich selbst sprechen. Ich will dem Zuschauer die Freiheit geben, sich seine ganz persönliche Geschichte dazu auszudenken.
Seit einigen Jahren fotografieren Sie nicht nur Rockstars, sondern auch Künstler aus anderen Lebensbereichen, wie zum Beispiel Lucian Freud, Georg Baselitz oder Ai Weiwei. War Ihnen der Rock’n’Roll-Zirkus nicht mehr genug?
Mich interessieren Musiker nach wie vor. Aber in meinem Leben gab es natürlich schon immer mehr, das mich fasziniert hat. Ich habe das Leben in den 5-Sterne-Hotels, die Flüge in den Privatjets und das Herumhängen in Aufnahme-Studios viele Jahre lang sehr genossen, wollte mich aber auch mal mit etwas anderem beschäftigen. Da haben mich vor allem die bildenden Künstler interessiert. So hatte ich dann Zugang zu ganz anderen Welten. Maler sind bei Fotos-Shootings ganz anders als Rockstars, die sich ja gerne für die Fotos in Szene setzen. Maler wollen vor allem malen. Wenn sie vor der Leinwand sitzen und arbeiten, vergessen sie meistens, dass ich überhaupt da bin. (lacht) Mit Ausnahme von Damien Hirst und Jeff Koons. Denen war sehr bewusst, wie sie sich vor meiner Kamera präsentierten.
Ist man als Maler freier in der Bildgestaltung als ein Fotograf?
Oh ja, malen bedeutet die absolute Freiheit. Maler gehen in ein Atelier, setzen sich vor eine weiße Leinwand und beginnen mit nichts. Das finde ich sehr faszinierend. Mein Großvater war ein Maler, der Landschaften, Kirchen und Dörfer malte.

Echte Kunstwerke gibt es nicht ohne echte Künstler. Ist da nicht die Künstliche Intelligenz gerade für den Künstler eine echte Bedrohung?
Auf jeden Fall! Es gibt keine echte Kunst ohne Handwerk, Spiritualität und Visionen. Und ganz wichtig ist auch das Ringen um etwas. Die große Anstrengung, etwas Originelles und ganz Eigenes zu erschaffen. Das Eigene ist Teil des kreativen Prozesses. Nur so kommt man schließlich zu einem Ergebnis, das etwas wert ist.
Die KI blendet das völlig aus. Und das Produkt ist dann eben künstlich – nicht Kunst. KI mag auf anderen Gebieten, wie zum Beispiel in der Medizin, sehr sinnvoll und gut sein. Aber für die Kunst ist sie ein Killer.
Ihr nächstes Projekt wird wieder ein Spielfilm sein. Er trägt den Titel „Switzerland“ und handelt von den letzten Jahren der Kriminalautorin Patricia Highsmith. Sind Sie ein Highsmith-Fan?
Nein, aber ich bin ein großer Fan von Helen Mirren, die Patricia Highsmith spielen wird. Der Thriller „Switzerland“ ist meine Adaption des gleichnamigen Theaterstücks, das in Australien mit großem Erfolg lief. Die Autorin ist Joanna Murray-Smith, die auch das Drehbuch zu meinem Film geschrieben hat. Wir werden wohl im Juli mit den Dreharbeiten beginnen.
Was ist der künstlerische Ausdruck, der Ihrem Inneren am nächsten kommt?
Ich glaube, ganz in meinem Inneren werde ich immer Fotograf sein. Aber ich finde das Filmemachen auch unglaublich interessant. Das ist jedes Mal das große Abenteuer.