Torsten Sträter ist ein Ausnahmetalent in der Comedy-Szene. Im typischen Zungenschlag des Ruhrgebiets unterhält er das Publikum auf ausverkauften Tourneen. Aktuell ist er zudem bei der fünften Staffel von „LOL: Last One Laughing“ dabei. Wir trafen einen äußerst sympathischen Torsten Sträter in München zum Interview.

Herr Sträter, das Schreiben hilft Ihnen, geistig gesund zu bleiben, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Ist das nicht erst die halbe Miete? Wie wichtig ist es Ihnen, diese Geschichten dann auch vor Publikum vorzutragen?
Das ist mir noch wichtiger. Weil ich ja nicht für mich schreibe, sondern für andere Leute. Ich freue mich, wenn ich schreibe, dass da immer noch etwas herauskommt, das mehr oder weniger einen Sinn ergibt. Aber mir ist klar geworden, dass ich für andere Leute schreibe – damit die das lustig finden. Das will ich im Interview aber nicht zugeben. Weil das leicht narzisstisch klingt, als hätte ich mein Ego nicht im Griff … Also bleiben wir dabei: ich schreibe natürlich für mich und wegen meiner geistigen Gesundheit.
Wenn Sie nicht diese Resonanz hätten, würden Sie also nicht schreiben?
Ich glaube nicht. Da müsste mir schon sehr langweilig sein. Das Ferdinand-von-Schirach-Gen geht mir komplett ab. Ich würde dann wohl mehr an der Playstation sitzen.
Sie haben auch gesagt: „Sich zum Deppen zu machen ist gut für die Seele.“ Wann haben Sie sich das letzte Mal zum Deppen gemacht?
Ich bin heute hierher nach München zur Premiere von „LOL – Last One Laughing“ geflogen. Ich muss vorausschicken: Ich habe mir letzte Woche in Berlin endlich so einen richtigen Weekender gekauft, also eine große Reistasche aus Leder. Das ist das Kosmopolitische an mir. Die hänge ich mir um und mache den Eindruck eines erfahrenen Reisenden. Da passt alles rein – denn Kofferziehen ist etwas für Lemminge. Allerdings habe ich diese Tasche heute Morgen sehr nachlässig gepackt, weil das einfach ein so großer Lederbeutel ist. Dann war ich bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen. Und gerade als ich dort so einen Kinderflohmarkt ausgepackt habe, weil ich auf der Suche nach meinem iPad war, das ganz unten lag, sah ich: die Zahnpastatube war nicht richtig zugeschraubt. Und dann legst du blanke Unterhosen in diese Schale rein, weil du ja nichts mehr abgepackt hast. Vor dem Kontrolleur habe ich also alles ausgebreitet, was ich auf Reisen so dabei habe. Der war schwer angetan davon. Mit was für einem psychotischen Konzept ich überhaupt so einen Weekender vollmache. Das wollte dann selbst der Mann, der mich kontrollierte, nicht wirklich wissen. Das war ihm zu viel Abwechslung. Und mir auch. Hat ewig gedauert. Schlimm.
Welches Etikett sagt Ihnen am ehesten zu: Kabarettist, Komiker, Schriftsteller?
Komiker. Alles unterwirft sich bei mir der Komik. Wenn die Leute das lustig finden, dann ist alles okay. Sollte da ein tieferer Sinn dahinter sein, dann nur aus Versehen. Aber ich freue mich trotzdem.
Sie haben die Abschweifung zum Kunstprinzip erhoben. Ist das nicht die beste Form überhaupt, dem Leben auf die Spur zu kommen? Da doch so vieles mit vielem zusammenhängt und sich überlagert?
Ja, alles ist miteinander verwoben. Ich hätte mir dieses Abschweifen auch zwischendurch mal gerne abgewöhnt. Ich kann ja auch – zum Beispiel bei Dieter Nuhr in der Sendung – fünf Minuten stringent etwas machen. Denn die Vorgabe ist: viereinhalb Minuten hast du Zeit, plus 30 Sekunden Applaus. Und dann zieh’ Leine. Das geht schon. Da lese ich ja den Text vor, den ich selber geschrieben habe. Aber bei meiner eigenen Show sehe ich das nicht ein. Meine Live-Auftritte sind wie das Leben, also keineswegs gradlinig. Während ich etwas erzähle, fällt mir etwas ein. Über Mayonnaise. Das muss jetzt raus. Ich halte das irrigerweise für genau den richtigen Platz, es jetzt zu erwähnen. Nur auf den ersten Blick passt es vielleicht nicht. Und während ich es erzähle, stelle ich fest, auf den zweiten Blick passt es auch nicht. Und dann muss ich gucken, wo die Auffahrt ist, die mich wieder auf die richtige Bahn bringt. Und dazwischen mache ich noch etwas über Gebüsch und über Waffeln im Eimer. Und dann komme ich wieder auf den Tod meiner Mutter und von da aus auf Wildlederjacken. Das alles muss ich ein bisschen im Auge behalten. Das macht viel von dem Charme meiner Auftritte aus. Und es hilft mir, mich selber zu amüsieren. Das ist das A und O – mich selbst zu amüsieren! Sonst ist Abspulen angesagt und dann können sie mich auch direkt bei Opel einstellen.

Was treibt Sie mehr an: Angst oder Lust?
Angst ist ja nur ein mäßig guter Ratgeber. Lust ist es aber auch nicht. Ich möchte endlich mal in irgendetwas Profi sein. Das ist es eigentlich. Dass kein Abend gleich ist, aber ungefähr die gleiche Länge hat. Und ungefähr die gleichen Inhalte, sich aber trotzdem für mich – nur für mich – individuell anfühlt. Weil die Leute im Publikum ja auch andere sind als gestern. Das ist es, was mich eigentlich antreibt. Ich möchte immer für alles einen Rahmen – damit ich den dann verlassen kann. Aber immer ungefähr sehe, wo die Gitterstäbe sind.
Sie sind seit Jahren sehr präsent in den Medien, vor allem im Fernsehen. Wie kritisch stehen Sie eigentlich dem Fernsehen gegenüber? Sie treten ja nicht nur bei „Nuhr im Ersten“ auf, bei „Extra 3“ oder der „Heute Show“. Sondern auch bei „Wer weiß denn sowas?“, „Genial daneben“ und „Grill den Henssler“. Haben Sie da keine Berührungsängste?
Ich mache da mit, weil es mir Spaß macht. Und weil es sich manchmal auch wie eine Herausforderung anfühlt. Was natürlich albern ist auf dem Unterhaltungs-Sektor. Ich heile ja keinen Krebs im Fernsehen. Und was Dieter Nuhr betrifft – er ist einer der Mitarchitekten meiner Karriere. Dem Mann schulde ich was. Ich bin loyal. Loyal bis zur Idiotie. Und bei „Wer weiß denn sowas“ mache ich mit, weil ich Kai Pflaume mag. Und ‘ne Quiz-Show hat noch keinem geschadet. Und die zeichnen mittags auf. Und das Essen ist lecker und die Leute sind nett. Das sind für mich schon Gründe, mitzumachen. Ich mache zwar viele Sachen, aber viele nur ein Mal. Da lege ich Wert drauf. Im Übrigen stehe ich dem Fernsehen auch kritisch gegenüber, wie alle anderen. Ich persönlich ärgere mich genauso über die Rundfunkgebühren wie Sie. Hole mir andererseits auch was wieder.
Was hat Sie denn daran gereizt, bei LOL mitzumachen?
Ich mache das jetzt zum zweiten Mal mit. Bei der ersten Staffel wusste man ja nicht, was die wollten. Das war die große Wundertüte für Mädchen und Jungs. Und es war mitten in der Pandemie. Ich fühlte mich selbst nicht mehr. Denn ich war ein tiefgefrorener Komiker, der nirgendwo auftreten konnte. Als dann Amazon – die ja nicht gerade als kleine familiengeführte Produkt-Manufaktur bekannt sind – sagte, sie wollen etwas produzieren, wo zehn Komiker in einen Raum gesperrt werden und derjenige, der zuerst lacht, rausfliegt, war ich mit dabei. Ein Konzept, das man mir in drei Sätzen erklären kann, finde ich immer gut. Abgesehen davon musste ich wirklich etwas tun. Wenn „Grill den Henssler“ angerufen und gesagt hätte, wir würden Sie gerne am ganzen Körper rasieren und treiben Sie für viel Geld durch die Bottroper Innenstadt, hätte ich das auch gemacht. Nee, hätte ich nicht. Und bei „Last One Laughing“ waren auch ganz berühmte Komiker-Kollegen dabei. Wenn mich also Amazon anfragt, halten die mich ja auch für einen ganz berühmten Komiker. Das ist gut fürs Ego. Da fühlte ich mich wirklich sehr geschmeichelt. Und ich war auch sehr erfreut darüber, dass sie mir eine Gage gezahlt haben, in diesem toten Jahr.
Haben Sie auch schon aus Höflichkeit über einen faden Witz einer Ihrer Kollegen gelacht?
Nein, das kann ich nicht. Ich kann kein richtiges Lachen faken. Da war „LOL“ genau das Richtige für mich. Denn da waren auch ein paar Sachen überhaupt nicht witzig. Ich kann auch nicht schauspielern. Ich werde dauernd gefragt, ob ich nicht doch schauspielern will. Denen sage ich immer: Warum wollt ihr denn erst beim Drehen herausfinden, dass ich es nicht kann? Glaubt mir doch schon vorher.
Sie sind seit Jahren gut im Geschäft. Früher hatten Sie zeitweise so wenig Geld, dass Ihnen auch schon mal der Strom abgestellt wurde. Jetzt bekommen Sie für Ihre Auftritte fette Gagen. Auf welche Weise hat der Reichtum Sie denn verändert?
Für richtigen Reichtum habe ich zu spät angefangen, glaube ich. Ich bin sehr wohlhabend. Für meine Begriffe. Aber für mich geht „sehr wohlhabend“ bei 20.000 Euro los. Ich habe Popelkram verdient, bis ich 40 war. Hatte 1.100 Euro netto im Monat. Plus Unterhaltspflicht für meinen Sohn. Und kam selbst mit 800 Euro klar, aber nicht so richtig gut. Und dann wurde mir öfter mal der Strom abgestellt. So etwas vergisst man nicht. Dann habe ich herausgefunden: Was ich vorher nicht brauchte, brauchte ich danach auch nicht mehr. Ich habe auch kein Gefühl dafür, dass Menschen viermal im Jahr in die Karibik fliegen. Das krieg ich nicht hin.
Wie würden Sie denn Ihr Temperament einschätzen? Sind Sie privat eher ein Choleriker oder Melancholiker?
Ich bin Melancholiker. Ich war früher ein Choleriker. Aus Unsicherheit heraus. Weil ich immer dachte, ich müsste irgendwie mein Revier schützen. Aber das hat sich über die Jahre gegeben. Das hatte nichts mit „wohlhabend“ oder „bekannt werden“ zu tun. Jetzt bin ich Melancholiker und denke einmal die Woche darüber nach: Ich bin 57 und Komiker! Was soll denn das jetzt?!

Gibt es ein Verfallsdatum für Komiker?
Einerseits – ja. Ich gucke in den Spiegel und sage zu mir: Was ist dein Plan? Wie lange willst du mit der Mütze noch rumlaufen? Und dann siehst du Otto (der auch in der aktuellen „LOL“-Staffel mitmacht; Anm. d. Red.). Der ist 75. Und dann weißt du: Komiker haben kein Verfallsdatum. Und Du sieht immer wieder, wie Dir ältere Herrschaften zeigen, dass noch was funktioniert. Liam Neeson dreht mit 72 Actionfilme, Michael Keaton kehrt 35 Jahre später als Batman zurück. Michael Keaton habe ich als Hintergrund auf meinem iPhone. Denn der gibt mir das Gefühl, dass es eigentlich keine Grenze gibt. Irgendwann hat man dann halt den Kanal voll.
Lassen Sie uns noch über Narzissmus sprechen. Auf einer Skala von 1 bis 10, wie narzisstisch sind Sie?
Was ist denn das für eine superbrandgefährliche Frage?! Wenn ich sage, ich bin Null narzisstisch, ist das ein klarer Hinweis dafür, dass ich mindestens bei 4 bin. Aber wenn ich mir jetzt – mit einer 4 – offiziell Narzissmus unterstelle, ist das auch falsch. Obwohl Ratgeber sagen, „sobald Sie an sich Narzissmus feststellen, sind Sie es wahrscheinlich nicht“. Für einen richtigen Narzissten behandle ich Menschen zu gut. Und Menschen mich zu gut. Aber bei meinem Ego bin ich jetzt gerade bei zwei. Ich bin geschmeichelt, dass Sie Interesse an mir haben und diese Promo-Pfade innerhalb eines Interviews verlassen. Das ist immer eine schöne Sache. Dann denke ich, ich bin wichtig genug für die Premiere der 5. „LOL“-Staffel, das liftet das Ego wieder auf 3. Und dann wird mir wieder klar: Ich habe nur eine Hose dabei. Das senkt mein Ego dann wieder auf 2. Und ich weiß genau, wenn die dann im Kino wieder eine Fragerunde machen und ich wie ein Dödel dastehe, mit meiner Tütenhose, bin ich auf 1. Und in der Aftershow lobt mich jemand Berühmtes – 9! Das ist wie der Blutdruck. Der ist ja auch nicht immer konstant.
Künstler wollen geliebt werden. Richtig?
Ich will nicht abgelehnt werden.
Können Sie gut das Wichtige vom Unwichtigen trennen?
Nein. Wenn man mich machen lässt, verschieben sich alle 20 Sekunden die Prioritäten. Wenn ich zum Beispiel um 15.30 Uhr hier im Hotel einen Termin habe, finde ich es wichtiger, drei Minuten vorher bei strömendem Regen zum Breuninger-Kaufhaus rüberzurennen, weil die meines Wissens Armani-Eau-de-Toilette reduziert haben. Das ist natürlich vollkommen unsinnig. Aber ich machs. Weil ich das Gefühl habe, das ist gerade die erste Priorität. Da ist dann wieder die Lust ins Spiel. Schmerz vermeiden, Lust empfinden. Das ist so ein Pseudo-Belohnungs-Prinzip.

Haben Sie jetzt Armani aufgetragen?
Nein, ich bin da verstiegen. Weil ich keinerlei Schmerz mehr verspüre, bei teueren Parfüms, deren Namen ich mir nicht mehr merken kann. Ich gehe dann in ’ne Parfümerie. Wo so eine Flasche 300 Euro kostet. Diese Parfüms riechen dann ganz toll und haften für immer. Zum Beispiel an Strickjacken. Man muss die Jacke dann verbrennen. Und wenn ich mal eine Flasche kaputtschmeiße, wie ich das hier vor zwei Jahren in einem Hotel namens Roomers in der Tiefgarage gemacht habe, riecht das an der Stelle heute immer noch nach dem Parfüm. Das war von einem russischen Designer. Da fühlt man sich dann ganz exklusiv und elitär. Aber das kommt mittlerweile alles von demselben Parfümeur. Das ist wie bei Brillen, ob Gucci oder Ray-Ban. Ray-Ban war früher mal cool, Bausch-und-Lomb-Gläser. Mittlerweile kommt das alles aus derselben Plastik-KZ-Hölle.
Herr Sträter, wie oft haben Sie in diesem Interview gelogen?
Gar nicht. Wenn man nicht gerade eine Homestory für die Bunte macht und das Ankleidezimmer zeigt, dann ist es unnötig zu lügen.
Beschreiben Sie sich doch bitte noch mit vier Worten.
Bin im richtigen Alter!