Die Saxofonistin Nicole Johänntgen ist demnächst mit Jon Hansen an der Tuba und David Stauffacher an den Percussions bei „Unplugged im Schloss“ im Saarbrücker Schloss zu erleben.
Nicole, Saxofonistin bist Du zu einer Zeit geworden als Frauen an dem Instrument eher selten zu erleben waren. War Barbara Thompson vom United Jazz and Rock Ensemble vielleicht ein Vorbild? Oder war ein Role Model gar nicht wichtig für Dich?
Wenn ich zeitlich zurückspringe, dann beame ich mich in unser Wohnzimmer zurück. Schon jahrelang haben wir die TV-Sendungen „Ohne Filter extra“ auf Video aufgezeichnet. Und da war der eine besagte Tag, der mir die Richtung wies. Es war die Musik und die Energie von Candy Dulfers Funky & Stuff Band. Wir haben uns mit der Familie die ganze Aufzeichnung aus der Nacht angeschaut und ich war wie im Bann völlig magnetisiert. Nicht im Sinne, dass ich da im Zimmer getanzt habe. Nein, die Musik und vor allem die Energie haben mich gefesselt. Und das hält bis jetzt an. Als hätte eine Märchenfigur einen Zauberstab und würde mich mit Jazz verzaubern. Parallel dazu spielte Barbara Thompson mit der Bigband United Jazz + Rock Ensemble. Das war für mich ebenso ein Schlüsselmoment. Gleich zwei Frauen am Saxofon mit einer starken Stimme. Das war eine prägende Zeit. Mein erstes Instrument ist Klavier. Da war und sind es vor allem Chopin und Ravel, die mich damals wie auch heute noch inspirieren.
Inzwischen hast Du einiges aufgestellt, damit Frauen im Jazz nach vorne kommen. Du bist Gründerin von JazzWomenNetwork sowie Gründerin und Leiterin von SOFIA (Support Of Female Improvising Artists). Was für Projekte sind das?
Etwas weitergeben oder teilen zu wollen, ist für mich selbstverständlich, weil ich ebenso Unterstützung erhielt. 2013 habe ich SOFIA gegründet, um Jazzmusikerinnen eine Plattform des Austausches zu ermöglichen. Der SOFIA-Kurs richtet sich an Musikerinnen, die bereits eine Band haben und die sich nun den Rucksack mit dem Business-Wissen füllen wollen. Alle möchten Konzerte spielen. Doch wie und wer und wann? Es geht um Musik, um das Selbstmanagement mit allen Aspekten des Business und es geht ums Netzwerken. Die Business-Kurse beinhalten Workshop-Themen wie Booking, Promotion, Musikphysiologie, Schlagfertigkeit und vieles mehr. Auch ist SOFIA ein perfekter Ort um selbst herauszufinden, wo die eigenen Stärken musikalisch und auch unternehmerisch liegen. Zusätzlich geht es darum, Konzerte zu spielen und ein Netzwerk im In- und Ausland aufzubauen. Das Programm findet alle zwei Jahre in Zürich statt, und man kann sich sechs Monate vorab via E-Mail anmelden mit zwei Videos und einem Motivationsvideo. Eine fachkompetente Jury wählt dann sechs Musikerinnen aus dem Bereich Jazz aus. Alle treffen erstmals beim SOFIA-Workshop in Zürich zusammen und verbringen fünf Tage zusammen mit Kursen tagsüber und abends Jam-Sessions und Konzerte. SOFIA ist eine gute Schule und Vorbereitung für das professionelle Dasein als Jazzmusikerin.
Welchen Stil im Jazz verfolgst Du? Oder ist das beschränkend gedacht beziehungsweise gefragt? Ich versuche anders zu formulieren: In welche Richtung geht Deine neue CD „Labyrinth“?
Vielleicht der mystisch, romantische, sentimental, expressive, ehrliche, vom Herzen kommende Global-Jazz. Der Jazz, der sich schon zu Beginn immer wieder weiterentwickelte wird immer in Wandlung sein. So auch „Labyrinth“. Es macht so viel Freude dieses Programm live zu spielen. Auch weil die Besetzung mit nur drei Instrumenten wie die Tuba, Perkussion und Saxofon ohne zusätzlichen Effekte einzigartig ist. Hauchdünn und vulkanisch. Es gibt bei meinem neuen Album „Labyrinth“ Einflüsse von Trance, Groove, Middle Eastern Sections und aber auch mehr und mehr südamerikanische Rhythmen, die mit einfließen.
Ist der CD-Titel von einer Erfahrung oder einem Erlebnis inspiriert?
Ich finde Labyrinthe sehr spannend. Man muss immer weitergehen. Ständig in Bewegung. Mal weiter weg vom Innern und wieder sehr nah. Und das ist in der Musik genauso. Man kann Musik spielen, die fließt. Man kann aber auch so komponieren, dass die Tränen fließen. Das Labyrinth ist ein wunderbares Symbol ästhetischer Struktur. Jahrtausendealt und man findet es auf allen Kontinenten. Wenn ich auf Reisen bin, fühle ich mich immer in einem Labyrinth. Vor allem in großen Locations, Hotels, Flughäfen oder Bahnhöfen. Oder in einer Stadt wie Rom. Das ist ein Labyrinth-Erlebnis!
Du lebst mit Deinem Sohn in der Schweiz und bist nach wie vor viel auf Konzerttour. Nimmst Du den Vierjährigen manchmal mit?
Ich nehme mein Kind sehr selten mit. Die kürzeste Zeit verbringe ich auf der Bühne und die meiste Zeit im Zug. Meist sind es lange Reisen und es ist für mein Kind viel lustiger mit seiner „Grosi“ (Oma) im Sandkasten zu spielen, als im Reisechaos zu stecken. Aber hin und wieder kommt er mit. Und er liebt es. Es ist schon magisch zu sehen, wie die ganz kleinen Kinder die Musik mit großem Herz aufnehmen.
Wie wesentlich sind Improvisation und Solo-Spiel beim Live-Konzert?
In meinen Konzerten sind Improvisation und Solo-Spiel das A und O. Ich freu mich jedes Mal drauf! Jazz bedeutet für mich Freiheit im Ausdruck auf meinem Saxofon und diese Musik ist der Spiegel der Seele. Jazz bedeutet nicht, dass man die ganze Wissens-Bibliothek abliefern muss bei einem Konzert. Jazz ist sehr intim. Das liebe ich an dieser Musik und an der Improvisation. Deshalb bin ich Jazzmusikerin.
Dein Instrument – aus dem Jahre 1963 – spielst Du seit fast 30 Jahren. „Der Sound kommt vom Inneren des Menschen“, hast Du einmal gesagt. Das lässt sich vom Saxofon wahrlich sagen, denn ohne Atem klingt es nicht …
Richtig, man ist eins mit dem Instrument irgendwann. Ich spiele mein Instrument bereits so lange, dass ich nicht einfach so auf ein neues Modell wechseln kann. Ich werde oft gefragt, warum spielst du nicht ein neues Selmer-Saxofon. Mein Instrument ist ein Selmer-Saxofon. Sehr beliebt unter den Jazz-Musizierenden. Ich bin Selmer Artist und arbeite mit Selmer eng zusammen. Wenn man so lange ein InsÂtrument spielt, dann ist es eine Seelenverwandtschaft. Ich liebe mein Instrument. Es passt genau zu meinen Händen, lässt sich leicht spielen und ja, es ist meine erweiterte Lunge. Es kommt aus Australien und ich habe es damals in Lahr gekauft bei Bruno Waltersbacher. Es ist mir treu. Und ich habe immer wieder andere Saxofone probiert aus Neugierde, aber mein „Horn“ ist meine Seele.
Du bist Deiner Heimat treu und kommst immer wieder zu Konzerten. Worauf freust Du Dich beim Heimspiel am meisten?
Ich freu mich auf alles! Auf die Sprache, auf die Menschen, auf die Atmosphäre. Ich bin immer sehr stolz, wenn ich meinen Mitmusikerinnen und Mitmusikern meine Heimat zeigen darf. Wenn ich ins Saarland fahre, öffne ich zuallererst die Fenster im Auto. Saarland ist dufte! Und duftet gut!