Südafrika lockt nicht nur mit der Tierwelt seiner Savanne. Auf einer Meeressafari kommt man den wahren Giganten der Fauna am Kap mitunter ganz nah.
Ein Elefantenbulle direkt vorm Geländewagen, eine Nashornmutter mit Neugeborenem, eine Büffelherde im Abendrot, Löwen auf Antilopenjagd und ein Leopard im Morgenlicht: Wenn eine Südafrikareise wie bisweilen im Phinda-Reservat ganz im Osten des Landes gleich an den ersten Tagen mit den Riesen der Savanne beginnt, kann eigentlich kaum noch Schwergewichtigeres kommen. Oder doch?

„Entdecke die Robbe in dir“
Fast jeder Tourist in Südafrika träumt von einer Beobachtung der Big Five der Savanne: Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard. Seit einigen Jahren haben findige Touristiker jedoch sehr erfolgreich ein Anschlussprogramm nach der Pirschfahrt auf den Spuren der „Big Five der Savanne“ ersonnen: Die „Big Five des Ozeans“ – Wale, Delfine, Haie, Robben und Pinguine. Wie bei ihren bekannteren Konkurrenten gehört zu einer Sichtung der Meerestiere rund um das Kap der Guten Hoffnung ein bedachtes Timing und eine Portion Glück. Aber eine Begegnung ist mindestens genauso atemraubend wie in der Savanne.
Ist das hier einfach nur Glückseligkeit oder schlicht grobe Fahrlässigkeit? Der Mensch als Robbe inmitten eines fröhlich Pirouetten drehenden Schwarms Südafrikanischer Seebären – oder eher als willkommener Frühstückshappen, als plumpe Beilage eines üppigen Buffets für die Weißen Haie am Kap?
Wenn man Hanli Prinsloo so durch die Taucherbrille beobachtet, wie sie meerjungfrauengleich durch den Kelpwald gleitet, umringt von einer Schar neugieriger Robben – die Fernsehbilder von Haimonstern, die Seelöwenkadaver durch die Luft wirbeln und Steven Spielbergs Blockbuster-Ungetüm – sie sind urplötzlich vergessen. Der Seebärenbezirzte nimmt einen weiteren Luftzug durch den Schnorchel und versucht, der Freitaucherin durch den wogenden Tang zu folgen.
„Entdecke die Robbe in Dir!“, hatte Prinsloo beim Atemtraining dem Freitauch-Neuling mit auf den Weg gegeben. „Wir teilen als Mensch mit Seebären, Delfinen und Walen den Tauchreflex, die Fähigkeit, mit einem Atemzug in ungeahnte Tiefen vordringen zu können.“ Sie hat gut reden: Die heute 45-Jährige hat bereits vor 20 Jahren ihren ersten südafrikanischen Rekord im Freitauchen gebrochen. Etliche weitere folgten. Bis zu 60 Meter und bis zu sechs Minuten unter Wasser schafft die Südafrikanerin mit einem einzigen Atemzug. Heute nimmt sie Touristen mit zu den Seebären am Kap und macht mit ihrer „I am Water“-Stiftung als Meeresschützerin benachteiligte Kinder von der Küste mit der bedrohten Tierwelt Südafrikas bekannt.

Wo sind nur die Weißen Haie? „Wir können es nicht abschließend sagen“, antwortet Alison Towner mit Blick auf das Meer bei Gansbaai, etwa zwei Autostunden östlich von Kapstadt. Eigentlich ist der Ort weithin bekannt als „Welthauptstadt der Weißen Haie“. Zahlreiche Aufnahmen der berüchtigten Raubfische wurden hier vor der Küste gedreht.
Touristen aus der ganzen Welt kommen für eine Begegnung mit ihnen zum Käfigtauchen nach Gansbaai. Doch das Auge-in-Auge mit den gefürchteten Jägern, das man hier zeitweise fast garantieren konnte, gehört nun erst einmal der Vergangenheit an. „Die ersten Kadaver von Weißen Haien fanden wir 2017 bei Gansbaai“, erklärt die britische Meeresbiologin, „ihre Lebern waren herausgerissen“. Zwei zeigten deutliche Spuren, dass sie Opfer von Schwertwalen geworden waren. „Zur gleichen Zeit beobachteten wir zwei Orcas, die in Südafrika bereits seit einiger Zeit bekannt waren“, erzählt die 38-jährige Forscherin. Sie werden nicht nur für das Verschwinden der Weißen Haie um Gansbaai, sondern auch entlang der nahezu gesamten südafrikanischen Küste, verantwortlich gemacht. Towner geht davon aus, dass etliche Richtung Mosambik flohen. Ob und wann sie zurückkehren, scheint derzeit ungewiss.
Schutzraum für Pinguine

Wer in Gansbaai Haien im Käfig begegnen will, hat indessen weiter gute Chancen. „Den Platz der Weißen Haie für Touristen haben nun überraschend Bronzehaie eingenommen“, sagt Towner. Vorerst müssen sich Touristen bei Gansbaai also mit einem nur etwa zwei Meter großen Verwandten der Weißen Haie zufrieden geben. „Aber wer weiß schon, wie lange noch“, sagt Towner. „Die Orcas können jederzeit zurück sein.“ Auch Bronzehaie verschmähen sie nicht.
Um den kleinsten Vertreter der „Big Five des Ozeans“, den Brillenpinguin, machen sich jedoch nicht nur Meeresbiologen bereits seit Langem Sorgen. Im Pinguin- und Meeresvogel-Zentrum in Gansbaai watschelt vor strahlenden Kinderaugen eine Gruppe der possierlichen Tiere um ein kleines Schwimmbecken. Sie warten auf ihre Fütterung. „Wir haben in den letzten 100 Jahren 99 Prozent der ursprünglichen Population verloren“, sagt Pinkey Ngewu von der Naturschutzorganisation Dyer Island Conservation Trust. Für den dramatischen Rückgang der Bestandszahlen machen Wissenschaftler unter anderem die Verschlechterung des Nahrungsangebots durch Überfischung und die Meeresverschmutzung verantwortlich. „Wenn wir die Entwicklung nicht aufhalten können, könnte die Art bereits um 2030 ausgestorben sein.“ Warum der Brillenpinguin zu den Big Five des Ozeans gezählt wird, erschließt sich angesichts seiner Größe von maximal 70 Zentimetern nicht wirklich. Riesengroß sind jedenfalls die Sympathien, die ihm die Südafrikaner entgegenbringen. Es ist die einzige Pinguinart, die in Afrika heimisch ist.

2015 hat der Dyer Island Conservation Trust das Schutzzentrum in Gansbaai eröffnet, wo verletzte Pinguine und verwaiste Jungvögel aufgepäppelt und auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden. Die Einrichtung soll jedoch auch dazu dienen, in- und ausländische Touristen auf die Bedrohung der Brillenpinguine aufmerksam zu machen. Ngewu glaubt an die Besucher als Botschafter für die Großen und Kleinen der „Big Five des Ozeans“. „Wir müssen mehr Menschen für den Schutz der Meere gewinnen“, sagt sie. „Noch ist es für viele seiner Bewohner nicht zu spät.“
Von Gansbaai ist die Meeresbiologin Sandra Hörbst auf einem Walbeobachtungsboot zur vorgelagerten Dyer Island aufgebrochen. Die Insel ist für ihre große Seebären-Kolonie bekannt. Wohl nirgends stehen die Chancen besser, die Big Five des Ozeans bei einem einzigen Meeresausflug zu sichten. Hörbst und ihre Kolleginnen erklären Touristen nicht nur die einzigartige Meeresfauna Südafrikas, sie machen sie auch auf ihre Bedrohung aufmerksam. Gleichzeitig sammeln sie Daten zu verschiedenen Arten. Hörbst forscht seit 2013 über Delfine und Wale in Südafrika. Die im Tannheimer Tal in Tirol aufgewachsene 32-Jährige kann heute ihren Gästen bereits kurz nach Verlassen des Hafens die erste Sichtung eines Meeressäugers verkünden. In der Ferne schnellen die Rückenflossen von gleich mehreren Delfinen aus dem Meer. „Bleifarbene Delfine“, freut sich Hörbst. Es ist nur eine von drei Delfinarten, die man hier beobachten kann und die gefährdetste. „Wir haben nur noch etwa 500 von ihnen entlang der südafrikanischen Küste“, sagt Hörbst, „zunehmende Entwicklung entlang der Küsten, Meeresverschmutzung und Fischernetze tragen noch immer zum Rückgang der Population bei.“
Glattwale wiegen bis zu 80 Tonnen

Doch es gibt auch gute Nachrichten vom Kap. Als die erste Walfluke vor dem Ausflugsboot auftaucht, schwappt ein Jauchzen durch die Passagierreihen an der Reling. Die Touristen nähern sich bald einer Walmutter mit einem auffallend weißen Kalb. Das sich langsam nähernde Boot scheint die Meeressäuger nicht zu stören. Im Gegenteil: Die beiden schwimmen darauf zu. Südliche Glattwale werden bis zu 18 Meter lang und maximal 80 Tonnen schwer, was dem Gewicht von mindestens acht stattlichen Elefantenbullen entspricht. Einst standen sie am Rand der Ausrottung, doch ihre Zahl hat sich seit dem Verbot des kommerziellen Walfangs 1986 in Südafrika deutlich erholt. „Wir haben in diesem Jahr so viele Tiere wie selten gesehen und verzeichnen sogar Rekordzahlen“, sagt Hörbst. 568 Walmütter mit Kälbern sowie 40 Einzeltiere wurden bei der letzten Zählung erfasst, die höchste Anzahl seit 1969. „Wir sind überaus glücklich, dass wir nun auf quasi jeder Bootstour in der Saison mehreren Walen begegnen“, sagt Hörbst, „manchmal sind die Boote geradezu von den Tieren umzingelt.“