Österreichische Forscher konnten jüngst nachweisen, dass von den menschlichen Zellen aufgenommene kleinste Plastikpartikel bei der Zellteilung weitergegeben werden. Darüber hinaus können sie außerdem höchstwahrscheinlich die Metastasierung von Tumoren fördern.
Die winzigen, für das menschliche Auge meist unsichtbaren Plastikteilchen sind inzwischen überall auf unserem Planeten und längst auch im menschlichen Organismus anzutreffen. Und angesichts der riesigen Produktionsmenge von weltweit jährlich rund 430 Millionen Tonnen an Plastikprodukten wird sich das Problem für die Umwelt und die Menschheit künftig wohl weiter verschärfen. Nicht zuletzt, weil Schätzungen davon ausgehen, dass sich die jährliche Plastik-Herstellungsmenge bis 2060 verdreifachen könnte. Schon jetzt beträgt die Menge an Mikroplastik (Teilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind), die pro Woche und Person im Schnitt global aufgenommen wird, bis zu fünf Gramm, was etwa dem Gewicht einer Kreditkarte entspricht. Wobei die Forschung längst davon ausgeht, dass das noch winzigere Nanoplastik, dessen Partikelchen kleiner als ein Mikrometer (µm = 0,001 mm/Millimeter) und damit rund 80 Mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares sind, noch weitaus schädlicher für unseren Organismus sein dürften, da die Bestandteile leichter in den menschlichen Körper eindringen können. Neben der Atmung ist die Nahrungsaufnahme der Hauptweg, auf dem Mikro- und Nanoplastikpartikel, sogenannte MNPs, in den menschlichen Organismus gelangen.
Im menschlichen Magen-Darm-Trakt
In früheren Studien konnte die Allgegenwärtigkeit von Plastikpartikeln in menschlichen Stuhlproben nachgewiesen werden, auch die Ausbreitung von Nanoplastik in verschiedensten Organen konnte schon belegt werden: „Es wurde festgestellt, dass die Bioaktivität von Kunststoffpartikeln stark von der Größe abhängt, wobei Nanopartikel eine größere Invasivität aufweisen und dazu neigen, Zellmembranen zu durchdringen.“ So die einführenden Sätze der aktuellen Studie eines Konsortiums österreichischer Wissenschaftler, die im umfassenderen Rahmen eines vom „Center for Biomarker Research in Medicine“ (Cbmed) in Graz durchgeführten Forschungsprojekts namens „microOne“ in den kommenden beiden Jahren fundiert untersuchen möchten, welche Auswirkungen Nano- und Mikroplastikpartikel im menschlichen Körper haben und ob dabei ein Zusammenhang zwischen Mikroplastik und einer Steigerung von Tumorerkrankungen aufgezeigt werden kann. Bei der jüngst im Fachmagazin „Chemospheres“ veröffentlichten Arbeit unter Leitung von Assistenzprofessorin Verena Pichler von der Universität Wien und Professor Lukas Kenner von der Medizinischen Universität Wien ging es um die Auswirkungen der winzig kleinen MNPs auf Krebszellen im menschlichen Magen-Darm-Trakt. Dieser wird als primärer Eintrittspunkt für die tägliche körperliche Belastung durch Mikro- und Nanoplastik gesehen. „Wir haben uns auf die direkten Auswirkungen von MNPs auf Krebszellen im Magen-Darm-Trakt konzentriert, da dies eines der primären Gewebe ist, das MNPs ausgesetzt ist, ohne dass die MNPs die Darmbarriere überwinden müssen“, so das österreichische Forschungsteam.
Die Wissenschaftler überprüften in ihren Experimenten die komplexe Dynamik zwischen MNPs von Polystyrol – einem weit verbreiteten und kostengünstigen Standard-Kunststoff – und vier verschiedenen menschlichen Darmkrebszelllinien. Als Ziel der Studie hatte man sich vorgenommen: „1) die Absorption und Verteilung von Polystyrol (PS)-Partikeln in Darmkrebszellen zu untersuchen; 2) Aufklärung des Aufnahmemechanismus und des Zielorts von MNPs, sobald sie sich angesammelt haben; und 3) den Einfluss von MNPs auf die Zellmigration und -übertragung während der Krebszellteilung zu untersuchen.“ Kunststoffpartikel gelten seit langem als chemisch eher beständig, „wobei die primäre Art des Abbaus physikalisch-mechanischer Abrieb ist“, so die Forscher. „Der biologische Abbau synthetischer Polymere durch mikrobielle oder enzymatische Wirkung ist ein weiterer potenzieller Faktor, aber der hohe Grad an Variabilität macht allgemeine Vorhersagen zum biologischen Abbau schwierig und hängt stark von der Art des Kunststoffs ab. Zellen und Gewebe sind nur begrenzt in der Lage, hochpersistente und metabolisch stabile Polymerketten in MNPs sowohl auf physikalisch-mechanischem Weg als auch auf biologischem Weg abzubauen. Nach unserem Kenntnisstand wurden beim Menschen noch keine Abbauwege beobachtet, was für eine effiziente Ausscheidung chemischer Verbindungen von entscheidender Bedeutung ist.“

Durch Lysosomen aufgenommen
Der Durchmesser der bei den Experimenten eingesetzten Plastikpartikel hatte 0,25, 1 und 10 µm betragen. Dank eingesetzter Fluoreszenzmarker sollte sich schnell erweisen, dass bei sämtlichen Zelllinien eine erhebliche Aufnahme der 1-µm- und insbesondere der 0,25-µm-Partikel stattgefunden hatte, während überhaupt keine Aufnahme der größeren 10-µm-Plastikteilchen registriert werden konnte, weshalb diese bei den folgenden Untersuchungen nicht mehr eingesetzt wurden. Nach einem Tag konnte im Inneren von fast 90 Prozent der Zellen mindestens ein Nanoplastik-Partikel nachgewiesen werden. Die Partikel wurden mithilfe von Bläschen der Zellmembran ins Innere transportiert. Dort wurden sie wie andere Abfallprodukte des Körpers durch die sogenannten Lysosomen aufgenommen. Dabei handelt es sich um Zellorganellen, die auch als „Magen der Zelle“ bezeichnet werden und deren Aufgabe es eigentlich ist, Fremdkörper in der Zelle abzubauen. Doch aufgrund der körperfremden chemischen Zusammensetzung wurden die Kunststoffpartikel im Unterschied zu Fremdkörpern biologischen Ursprungs überraschenderweise gar nicht abgebaut.
Doch damit nicht genug: Die Forscher konnten darüber hinaus beobachten, dass die MNPs abhängig von verschiedenen Faktoren sogar bei der Zellteilung nicht ausgeschieden oder eliminiert, sondern an die neu gebildete Zelle weitergeben werden, ohne dass es dadurch zu einer Störung bei der Zellteilung kommen würde. „Unseres Wissen sind wir damit die ersten, die das Schicksal aufgenommener Partikel bei der Zellteilung dokumentiert haben“, so das Forscher-Team. „Bei Nano- und Mikroplastik beobachten wir einen Trojanisches-Pferd-Effekt“, so Professor Wolfgang Wadsak von der Medizinischen Universität Wien. „Einerseits dringt es in den menschlichen Körper ein und bindet sich an Blutbestandteile, wodurch es sehr leicht verteilt werden und sogar die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann. Andererseits werden diese winzigen Teilchen bei der Zellteilung nachweislich an die nächste Generation weitergegeben. Sie sind also gekommen, um zu bleiben.“ Sprich MNPs dürften weitaus beständiger im menschlichen Körper verbleiben, als bislang angenommen wurde.
Schließlich konnten die Wissenschaftler auch noch Indizien dafür finden, dass MNPs die Migration von Krebszellen in andere Körperregionen verstärken und damit möglicherweise die Metastasierung von Tumoren fördern könnten. „Eine kurzzeitige Exposition gegenüber 0,25-µm-Partikeln verstärkte die Zellmigration erheblich, was möglicherweise zu pro-metastatischen Effekten führte.“ Die Kunststoffpartikel sind daher als gesundheitlich besonders heikel einzustufen, weil sie durch eine hohe Aufnahme und einen langen Verbleib in Geweben und Zellen gleich zwei von drei toxikologischen Merkmalen erfüllen, die im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung „REACH“ für bedenkliche Stoffe gelistet werden. „Es ist davon auszugehen, dass von MNP eine chronische Toxizität ausgeht“, so Verena Pichler. „Außerdem können wir mit unserer Studie jüngste Erkenntnisse bestätigen, die darauf hindeuten, dass MNPs das Zellverhalten beeinflussen und möglicherweise zum Fortschreiten von Krankheiten beitragen können“, so Prof. Kenner. „Unsere Beobachtungen unterstreichen das Potenzial von MNPs als versteckte Katalysatoren für das Fortschreiten von Tumoren, insbesondere durch die Verbesserung der Zellmigration und möglicherweise die Förderung der Metastasierung – ein Befund, der Licht auf ein bedeutendes und bisher wenig erforschtes Problemfeld wirft.“