Etwa 1,1 Milliarden Liter fossile Treibstoffe sparen den Datenexperten von Eon Energie Deutschland zufolge die rund 1,4 Millionen rein elektrischen Autos ein, die laut Kraftfahrt-Bundesamt auf den Straßen unterwegs sind. Doch es fehlt an Ökostrom.
Der Stromanbieter Eon Energie Deutschland rechnet vor, dass etwa 3,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid gespart würden, wenn die Stromer mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen geladen würden. Im deutschen Strommix seien es rund 2,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Durch die Energiewende werde der Anteil von grünem Strom am Strommix immer größer. „2023 wurden 524.219 batterieelektrische Fahrzeuge in Deutschland neu zugelassen. Jedes einzelne dieser emissionsfrei fahrenden Autos trägt nachhaltig zur Dekarbonisierung des Straßenverkehrs und zur Energiewende bei“, sagt Jens Michael Peters, Geschäftsführer für Energielösungen und Elektromobilität bei Eon Deutschland. In Deutschland sind Energiewende und Verkehrswende nach Vorzieh-Effekten 2022 und 2023 ins Stocken geraten, als Förderungen ausliefen. Der E-Pkw-Bestand aus Autos mit Elektromotor und Batterie (BEV) sowie aus Plug-in Hybrid Electric Vehicles (PHEV), die zusätzlich einen Verbrenner-Motor verwenden, hatte sich insgesamt innerhalb von zwei Jahren von etwa 600.000 Fahrzeugen auf rund 2,4 Millionen Fahrzeuge fast vervierfacht.
Die Folge der Zuschuss-Bremse: Plug-in-Hybride werden nicht mehr gekauft. Auch deshalb seien bei Pkw trotz des Hochlaufs der Elektromobilität die Emissionen je neu zugelassenem Fahrzeug 2023 auf 115 Gramm CO2 pro Kilometer gestiegen, berichtet der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE). Zudem sei der Trend zu größeren Fahrzeugen ungebrochen: Einst planten die Konstrukteure der Elektromobilität mit Leichtbauweise und stromschnittigen Fahrzeugen. Sie wurden vom SUV-Optik-Trend aus dem Rennen geworfen.
Versechsfachung bis 2030 nötig
Dennoch führt an einer Stärkung der Antriebswende kein Weg vorbei. Wenn sich der Zuwachs, der „Markthochlauf“, von elektrischen Fahrzeugen weiter verlangsame, werde Deutschland seine Elektromobilitätsziele verfehlen, schreibt der Energieverband. Der asiatische Markt boome derzeit global, sagt BEE-Präsidentin Simone Peter. Deutschland beziehungsweise Europa dürfe hier keinesfalls nachhinken. Um bis 2030 die von der Bundesregierung angepeilten 15 Millionen vollelektrischen Pkw auf die Straße zu bringen, müsse sich der Neufahrzeugverkauf von knapp 525.000 BEV im Jahr 2023 in den nächsten drei Jahren vervierfachen und bis 2030 sogar versechsfachen. Das hieße auch, dass in sechs Jahren zu fast 100 Prozent vollelektrische Pkw verkauft würden – eine Steigerung um 82 Prozent. Damit nicht genug: Elektrische Lkw müssten sich in entsprechenden Mengen vermehren.
Der Haken am beabsichtigten Zuwachs zugunsten von Verkehrswende und Klima: Dieser Zuwachs dürfte mit einer deutlich steigenden Stromnachfrage einhergehen. „Ein zügiger Ausbau der erneuerbaren Energien bei gleichzeitigem, großflächigem Ausbau der Ladeinfrastruktur wird ermöglichen, dass diese Nachfrage mit heimischem Ökostrom gedeckt wird“, sagt Peter. Denn es sollen ja gemäß Klimaschutzgesetz keine zusätzlichen Emissionen im Stromsektor entstehen. Alternativ formuliert die Verbandschefin das Dilemma des Rennens, bei dem die E-Mobilität nicht schneller ins Ziel passieren darf als die Energiewende, so: „Die Verkehrswende in Deutschland befindet sich auf Crashkurs mit den Klimazielen.“
Ein Signal, zu dem es natürlich auch eine Studie gibt. Mitte März 2024 stellte der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) die Analyse vor, die zum Thema hat, wie sich die Treibhausgas-Emissionen im Verkehrssektor bis 2045 entwickeln, wenn die Annahmen für die E-Mobilität, die Verkehrsnachfrage, die Effizienz und die Verkehrsverlagerung variiert werden.
„Auf Crashkurs mit den Klimazielen“
Nach Verbandsangaben wurden hier erstmals Mehremissionen berechnet, die durch deutlich geringere Elektromobilitäts-Entwicklung ohne Kompensationsmaßnahmen entstehen. Dabei ist BEE-Präsidentin Simone Peter zufolge „die Antriebswende der Kern der Verkehrswende, um die Treibhausgasminderung voranzubringen.“
Die BEE-Studie hatte deshalb zum Ziel, die Effekte unterschiedlich hoher Zulassungszahlen von Elektrofahrzeugen auf die Treibhausgas-Emissionen zu untersuchen. Dafür berechneten die Autoren drei Szenarien und verglichen deren Ergebnisse mit den Minderungszielen im Klimaschutzgesetz. In den Hauptszenarien „Trend“ (business-as-usual) und „Ambit“ (ambitionierte Entwicklung) verglichen sie die Effekte unterschiedlich hoher E-Mobilitäts-Anteile auf die Minderungsziele. Alle drei analysierten Szenarien stützen sich auf das Sektorziel für den Verkehr für 2030 und auf das Ziel des Klimaschutzgesetzes (KGS), bis 2045 klimaneutral zu sein.
Die BEE-Präsidentin hob die bedrohlichste Message der Studie hervor: „38 Tonnen des CO2 werden bei einem Trend-Weiter-so-Szenario nicht gedeckt.“ Alle erneuerbaren Optionen müssten jetzt gezogen werden, auch hinsichtlich einer Transformation im Energiesektor. Ihr Fazit: „Wir brauchen zusätzliche Maßnahmen.“ Der internationale Automobilmarkt warte nicht. Es brauche zusätzliche Anreize, Planungssicherheit, einen Ausbau der Ladeinfrastruktur, bidirektionales Laden. Letzteres auch als einen Anreiz für Photovoltaik aufs Dach. Das von Peter skizzierte „Wohlfühl-Ambiente“ für einen sich gegenseitig anschiebenden Ausbau von Energie- und Antriebswende müsse mit Blick auf den Haushalt 2025 angeregt werden. „Andere Länder machen das ambitionierter“, sagte die Verbandschefin.
Im forcierten Ausbau von Solar- und Windkraft sieht die Chefin des Erneuerbare-Energie-Zusammenschlusses auch eine Chance, zu beweisen, dass elektrische Antriebe klimafreundlich sind: „Damit gleich klar ist, dass E-Mobilität aus erneuerbaren Energien komplett möglich ist.“
Die internationalen Anstrengungen ermutigen. Ein kürzlich vom Forschungsunternehmen Bloomberg NEF (BNEF) veröffentlichter Bericht spricht von einem „neuen jährlichen Investitionsrekord“ in die saubere Energiewende: Die weltweiten Investitionen in die kohlenstoffarme Energiewende seien im Jahr 2023 um 17 Prozent gestiegen und hätten so 1,77 Billionen US-Dollar erreicht. Trotz geopolitischer Turbulenzen, hoher Zinsen und Kosteninflation.
Dem Bericht zufolge sind die Ausgaben für den elektrifizierten Verkehr – Elektroautos, Busse, zwei- und dreirädrige Fahrzeuge und Nutzfahrzeuge sowie die dazugehörige Infrastruktur – um 36 Prozent auf 634 Milliarden Dollar gestiegen und liegen vor dem Sektor der erneuerbaren Energien: Investitionen in den Bau von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien, dazu gehören Wind-, Solar- und geothermische Kraftwerke sowie Anlagen zur Herstellung von Biokraftstoffen. Auf dem weltweit dritten Platz finden sich die Investitionen in Stromnetze mit 310 Milliarden Dollar.
Zurück zum „Trend“-Szenario des BEE, der das „Weiter so wie gehabt“ eines „Business-as-usual-Entwicklungspfads“ vor Augen hat. Nachdem die Förderungen gekürzt wurden, geht es von einem moderateren Markthochlauf von E-Fahrzeugen aus. Das „Trend“-Szenario malt für 2030 ein Bild von einem Verkehr, bei dem etwa zehn Millionen reine E-Pkw (BEV) und 0,5 Millionen E-Lkw auf der Straße sein werden. Bis 2045 würden nach diesem vorsichtigen Szenario 80 Prozent der Pkw, 70 Prozent der leichten Lkw, 50 Prozent der mittelschweren Lkw und 40 Prozent der schweren Lkw elektrifiziert. Der elektrische Fahranteil würde bis 2045 in Deutschland 55 Prozent erreichen.
Mit einer gebremsten Verkehrswende wird es schwieriger, vorwärtszukommen. Das Umweltbundesamt bilanziert in seinen „Treibhausgas-Projektionen 2024 für Deutschland“, dass der Sektor Verkehr die kumulierten Jahresemissionsmengen zwischen 2021 und 2030 um insgesamt 180 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent verfehle. Dies entspricht laut UBA einem Viertel der gesamten Emissionen Deutschlands im Jahr 2023. „Es ist keine Trendwende zu erkennen. Die Lücke zwischen projizierten Emissionen und Jahreszielen des Klimaschutzgesetzes nimmt bis zum Jahr 2030 stetig zu.“ Auch das Ziel der Bundesregierung, 15 Millionen elektrisch betriebene Pkw bis 2030 im Bestand zu haben, werde verfehlt.
Immerhin sind die Treibhausgasemissionen in Deutschland 2023 um 10,1 Prozent gesunken, so stark wie noch nie seit 1990. Insgesamt wurden 673 Millionen Tonnen Treibhausgase als Emissionen verbucht und damit 76 Millionen Tonnen weniger als noch 2022. Die Projektion der aktuellen Entwicklungen auf das Jahr 2030 ließen nach Einschätzung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima und des Umweltbundesamtes die Schlussfolgerung zu, dass die deutschen Klimaziele für 2030 erreichbar wären – die vorschreiben, die Treibhausgasemissionen um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken.
„Verkehrssektor verfehlt die Ziele krachend“
Dennoch sagt der Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister beim Präsentations-Termin: „Das Jahr 2023 ist nichts, was man ins Schaufenster stellen kann.“ Kein Wunder. „Da ist auch viel Wasser im Wein, weil der Gebäudesektor und der Verkehrssektor abermals ihre Ziele verfehlen – im Verkehr krachend“, kommentiert Prof. Dr. Jan Christoph Minx, Leiter der Forschungsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung am Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change gGmbH (MCC), den Report zu den Treibhausgasemissionen in Deutschland für 2023 und den Projektionsbericht 2030.
Aus zurückliegenden Ereignissen hochzurechnen, ist schwierig, wenn sich die Welt krass verändert und die Instrumente zum Schutz der Umwelt erst noch angepasst werden müssen. Robert Habeck, als Bundesminister zuständig für Wirtschaft und Klima, wehrt sich dagegen, aus der Vergangenheit in die Zukunft zu lesen. Eine Novellierung des Klimaschutzgesetzes ist in Bearbeitung. Habeck: „Wichtig ist eine Projektion in die Zukunft.“ Wichtig seien der Erfolg der Ziele und der Politik, die vereinbart wird. Ihm geht es darum, hinzuschauen: „Welche Ausbauschritte haben wir erreicht? Daran wollen wir uns auch messen lassen.“ Es gebe einen Ausbau der Elektromobilität. „Wir haben Maßnahmen auf den Weg gebracht, die wirken“, sagte der Klimaschutzminister bei der UBA-Präsentation und verwies auf E-Lastkraftwagen, Bahn und Deutschlandticket, deren Akzeptanz anlaufen. Auch wenn weniger Geld in die Stärkung der Wirtschaft fließt als geplant, ist der Wirtschaftsminister zuversichtlich: „Es geht im Grunde darum, Investitionen auszulösen, die auch einen Effekt haben, Treibhausgasemissionen zu mindern.“
Schauen wir nach nebenan in Europa. Die Produktion von Fahrzeugen für den elektrifizierten Lieferverkehr rollt beim Nachbarn gut an: Renault Trucks spricht von einer Gesamtdurchdringungsrate der Elektro-Lkw in Europa von 0,9 Prozent (3.163 zugelassene Fahrzeuge) im vergangenen Jahr. Der Marktanteil des Kfz-Produzenten liege demgemäß bei 22,4 Prozent im Segment der Elektro-Lkw über 16 Tonnen in Europa. Der französische Hersteller habe mit 1.012 Fahrzeugen im Jahr 2023 um 278 Prozent mehr elektrisch betriebene Nutzfahrzeuge verkauft. Für 2024 kündigt Renault Trucks zwei neue elektrische Modelle an: den E-Tech Trafic und den Renault Trucks E-Tech Master. Letzterer soll das aktuelle Modell im Laufe des Jahres ersetzen.
Fazit: Kommt zu den in Deutschland verkaufbaren E-Lkw und E-Pkw auch noch reichlich zum Laden verfügbarer Öko-Strom hinzu, könnte es hierzulande klappen mit der Rettungsformel für die Verkehrswende – zumindest für die Antriebswende.