Die Titelchance im Pokal ist futsch, die in der Bundesliga nur noch minimal: Die Wochen der Wahrheit beginnen für die Füchse Berlin enttäuschend. Die Konzentration dürfte nun der Titelverteidigung in der European League gelten.
Die Crunchtime war gekommen – und die Füchse schien der Mut zu verlassen. Oder die Kraft. Oder der Glaube an die eigene Stärke. Oder eine Mischung aus allen Dingen. In jedem Fall brachte der Handball-Bundesligist beim Final Four um den DHB-Pokal seine unbestritten vorhandene Qualität nicht auf die Platte und spielte nicht wie ein Spitzenteam. Die erste Titelchance der Saison? Fast schon leichtfertig verspielt. Das enttäuschte auch einen Ex-Fuchs. „Ich hätte mir von dem Spiel mehr Härte gewünscht. Bei so einem Derby, da gibt‘s eigentlich immer eins auf die Nuss und viele Zeitstrafen“, sagte der frühere Berliner Torhüter Silvio Heinevetter nach der klaren Halbfinal-Niederlage (25:30) der Füchse gegen Champions-League-Gewinner SC Magdeburg. „Aber bei den Füchsen hat mir der Pfeffer im Arsch gefehlt. Sie haben nicht gezeigt, was sie eigentlich können.“ Auch der frühere Bundestrainer Dagur Sigurdsson war erstaunt über die Passivität seines Ex-Clubs: „Die waren gar nicht richtig da. Für mich waren die emotional leer. Ich bin ein bisschen enttäuscht von den Füchsen. Magdeburg war viel präsenter, die sind einfach durchmarschiert.“
Fehlende Derby-Mentalität?
Dass dies auch in der Bundesliga passiert, ist die berechtigte Sorge der Füchse, die bei der Pokal-Finalrunde zum Abschluss auch noch gegen die SG Flensburg-Handewitt mit 28:31 verloren. Das Endturnier in Köln „tat richtig weh“, wie Abwehrchef Mijajlo Marsenic zugab. „Zweimal hintereinander zu verlieren, macht wirklich keinen Spaß“, sagte auch Torhüter Dejan Milosavljev. Er schob als Begründung nach: „Wir hatten einfach keine Kraft, zwei solche starken Teams an zwei Tagen hintereinander zu schlagen.“ Auch Trainer Jaron Siewert hatte bei seinen Spielern „ein bisschen weniger Puste“ als bei den gegnerischen Profis ausgemacht, was sich sichtbar auf die Qualität des Spiels ausgewirkt habe: „Wir haben dann den einen oder anderen technischen Fehler zu viel, und irgendwie ist die Energie verloren gegangen.“ Doch viel Zeit zum Trübsal blasen blieb nicht, sein Team müsse sich aufraffen und zurückschlagen, forderte Siewert: „Jetzt müssen wir die Köpfe hochnehmen, denn in der Bundesliga und European League gibt es noch viel für uns zu holen.“
Das anschließende Heimspiel in der Handball-Bundesliga gegen Rekordmeister THW Kiel sei zum Beispiel „wieder ein Finale“ gewesen, wie Welthandballer Mathias Gidsel betonte. Der „Michael Jordan des Handballs“, wie der Däne von Sportvorstand Stefan Kretzschmar bezeichnet wurde, lieferte mit zwölf Toren auch ab. Dennoch endete diese Partie erneut mit einer Enttäuschung für den Hauptstadt-Club. Nach dem 32:32 ist Berlin die Tabellenführung los, Magdeburg thront nun dank der besseren Torbilanz an der Spitze. „Das ist eine große Enttäuschung“, gab Gidsel zu und fügte hinzu: „Wir haben gesagt, wir wollen Meister werden. Das haben wir heute verloren. Das war nicht genug.“ Da der SCM zudem ein Spiel weniger absolviert hat, dürfte mit dem Füchse-Ausrutscher gegen Kiel eine Art Vorentscheidung im Titelkampf gefallen sein. „Dieser Punktverlust tut jetzt direkt nach dem Spiel schon weh. Der Druck auf Magdeburg ist jetzt leider etwas geringer geworden“, äußerte Trainer Siewert. Doch als einen Misserfolg wolle er ein Remis gegen Kiel auch nicht bewerten. „Man darf den THW auch nicht kleinreden. Es ist immer noch der amtierende Deutsche Meister. Leider hat es für den Sieg nicht ganz gereicht.“

Schmerzhafter Punkteverlust
Doch genau den hätten die Berliner benötigt, um die Magdeburger im Saisonendspurt vielleicht nervös zu machen. Der neue Tabellenführer löste seine schwere Auswärtsaufgabe bei der SG Flensburg-Handewitt am vergangenen Wochenende durch ein 32:29 mit Bravour. Das Team von Trainer Bennet Wiegert hat auch den großen Wirbel um die positive Wettkampfprobe von Torhüter Nikola Portner gut weggesteckt. Der Schweizer ist vorläufig suspendiert, auch bei der Staatsanwaltschaft ist ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Anti-Doping-Gesetz beziehungsweise Betäubungsmittelgesetz anhängig. Portner bestreitet die wissentliche Einnahme von Dopingmitteln, das Ergebnis der Öffnung der B-Probe war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch unbekannt. Längst gibt es Gerüchte um einen Wechsel von Nationalkeeper Andreas Wolff zum Champions-League-Sieger. Es sei „toll, dass der SC Magdeburg mit so tollen Spielern in Verbindung gebracht wird“, sagte Coach Wiegert, der aber nicht näher auf solche Spekulationen eingehen wollte: „Ich möchte den Fokus auf der Mannschaft halten.“
Da das den Magdeburgern sehr gut gelingt, scheint den Berlinern realistisch betrachtet nun nur noch die Titelchance in der European League zu bleiben. Im Viertelfinale am 23. und 30. April muss dafür aber im Hin- und Rückspiel der französische Topclub HBC Nantes aus dem Weg geräumt werden. Auch diesen Titel wolle man holen, sagte Torhüter Milosavljev fast schon trotzig: „Ich hoffe, dass wir unseren Weg bis zum Saisonende weitergehen.“ Auch Marsenic erinnerte das Team an die Wochen der Wahrheit, die mit dem Pokal-K.o. und dem Remis gegen Kiel enttäuschend begannen: „Wir verlieren unsere Ziele jetzt nicht aus den Augen. Zwei Titel sind immer noch möglich.“
Auch Heinevetter hat die Berliner in der Bundesliga noch nicht komplett abgeschrieben. Das Pokal-Aus gegen Magdeburg, prophezeite Heinevetter, „das löst was bei Berlin aus für die restliche Saison“. Der Torhüter, der von 2009 bis 2020 beim Hauptstadtclub zwischen den Pfosten stand und zurzeit beim TVB Stuttgart unter Vertrag steht, ist sich sicher: „Die werden mit aller Macht da dran bleiben und auf einen Ausrutscher von Magdeburg hoffen, damit sie ihre erste deutsche Meisterschaft perfekt machen können. Das bleibt bis zum letzten Spieltag spannend. Das wird noch eine ganz, ganz enge Kiste.“ Doch Magdeburg muss sich jetzt sogar zwei Ausrutscher leisten.
Ungeachtet der Gegenwart bastelt der Club auch schon an der Zukunft. U21-Weltmeister Max Beneke wird ab der kommenden Saison fester Bestandteil des Füchse-Profiteams, sein Vertrag läuft drei Jahre. Der 20-Jährige, bei den Füchsen in der A-Jugend zu einem Toptalent ausgebildet, läuft aktuell für Kooperationspartner VfL Potsdam auf – und das höchst erfolgreich. Vor dem Heimspiel gegen die HSG Nordholn-Lingen hatte der 1,98 Meter große Rückraumspieler bereits 247 Saisontore (davon 88 Siebenmeter) erzielt und führte mit Abstand die Torschützenliste in der 2. Handball-Bundesliga an. Dort sei Beneke „einer der herausragenden Figuren“, schwärmte Geschäftsführer Bob Hanning über den jungen Mann, der auch schon für die Füchse in der Bundesliga und im Europapokal zum Einsatz gekommen war. „Für mich ist er eines der größten Linkshändertalente in Deutschland“, meinte Sportvorstand Kretzschmar: „Ich gehe davon aus, dass er nächste Saison reif genug ist, in der Bundesliga zu spielen, und deshalb ist er für uns die ideale Ergänzung zu Mathias Gidsel.“ An Motivation und Selbstvertrauen mangelt es Beneke nicht. „In den letzten Jahren war ich bei den Füchsen Berlin eher der Springer und habe nur sporadisch integriert werden können“, sagte er: „Jetzt will ich ein fester Bestandteil der Mannschaft sein, von den erfahrenen Spielern lernen und hier bei den Füchsen meine sportliche Entwicklung fortsetzen.“