Im kürzlich neu eröffneten „Sicilia“ in Berlin-Charlottenburg werden die Finessen der modernen italienischen Küche zelebriert. Für das dazu passende Pairing sorgt Sommelier Yannick Kern.
Wer kennt nicht Goethes berühmte Gedichtzeilen von dem Land, in dem die Zitronen blühen? Der deutsche Dichter begann seine Italienreise 1786 und kam erst knapp zwei Jahre später wieder in seinem Heimatland an. Die Route führte ihn über Venedig und Rom bis hin nach Sizilien. Wer gerade keine Zeit für eine ausgedehnte Reise oder auch nur für einen Kurztrip an den Stiefel hat, kann italienische Momente auch anders erfahren. So zum Beispiel im „Sicilia“ nahe des Savigny-Platzes, das die italienische Küche an die Spree geholt hat. Von der Italiensehnsucht des großen deutschen Dichters inspiriert, besuche ich es gleich zweimal.
Beim ersten Mal handelt es sich um einen Presse-Event, bei dem Anfang des Jahres die Eröffnung der neuen Location gefeiert wird. Fast ein Jahrzehnt lang war das „Ottavio“ mit traditioneller italienischer Küche an der Knesebeckstraße 29 beheimatet. Dann folgten ein Inhaberwechsel durch das in Leipzig ansässige Gastronomie-Unternehmen „Chateau9“ und eine monatelange Renovierung. Mir fällt die südländische Leichtigkeit des neu eröffneten Lokals auf. Mit tropfenförmigen Leuchten und bunten Fliesen wirkt die Location wie ein Genussort an einem sonnigen Markttag auf Sizilien – bunt und fröhlich.
Großmutters Küche ganz neu interpretiert
Auch ein paar vereinzelte Triskelen auf den Wandkacheln fallen mir ins Auge. Die Dreiecksmuster haben die Form von drei laufenden Beinen. In ihrer Mitte ist der Kopf von Ceres, der römischen Göttin des Ackerbaus, abgebildet. Die Triskele ist auch das Wahrzeichen von Sizilien. Später erfahre ich, dass sämtliche Wandfliesen von dem Kunst- und Keramikatelier „Santana“ aus der direkten Nachbarschaft für das Restaurant entworfen und handbemalt wurden. Schmuck und dabei etwas schlichter sind die weißen Teller mit ihren unaufdringlichen Ornamenten. Auch sie entspringen einem lokalen Handwerk: Sie werden von der Berliner Firma KPM hergestellt, die zu den ältesten Porzellan-Herstellern Europas zählt.
Bei meinem zweiten Besuch nehme ich unseren italienischen Fotografen und meine Foodie-Kameradin Ute Schirmack mit, die vor mir die Genießen-Rubrik für FORUM betreut hat. Auf unserer Speisekarte gibt es keine explizit sizilianische, sondern moderne italienische Küche mit regionalen Produkten und internationalen Einflüssen. La cucina della nonna – Großmutters Küche – soll „ganz neu interpretiert“ werden, heißt es auf der Webseite des Restaurants.
Yannick Kern geleitet uns durch den Abend. Mehr als 100 Weinpositionen hat der Restaurantleiter und Sommelier im Angebot. Etwa die Hälfte davon sind italienische Weine, die andere Hälfte kommt aus Deutschland und Portugal, erzählt er uns im Gespräch. Beeindruckend schon vor dem ersten Schluck ist der begehbare Weinschrank, der sich linkerhand gleich hinter der Eingangstür in einem offenen Raum befindet. Dort kann man sich mit bis zu zwölf Leuten am Dekantiertisch aus Holz niederlassen und an einem Wein-Tasting teilnehmen. Wer es lieber kleiner und intimer angehen möchte, findet im sogenannten „Privato“ auch ein Séparée für private Events wie etwa Familienfeiern oder Firmen-Events.
Yannick Kern entdeckte seine Passion für die Gastronomie bei seinem ersten Job im Bremer „Atlantic Hotel“. Nach seiner Hotelfach-Ausbildung im „Waldorf Astoria Berlin“ blieb der Gastronom dort weitere drei Jahre, um durch die Arbeit an der Bar zu einem versierten Bartender zu werden. Dann zog es den Wahl-Berliner in die „Kurpfalz Weinstuben“, um auch seine Weinkenntnisse zu vertiefen. Danach heuerte er auch schon als Sommelier und Gastgeber im nahe gelegenen „Restaurant am Steinplatz“ an.
Auch am heutigen Abend beweist der Weinkenner ein gutes Händchen für das passende Pairing. Mit Begeisterung goutieren wir ein Glas „Full of Rage“ vom rheinhessischen Weingut Christopher Full. Für Rage sorgt der unfiltrierte und in der Maische vergorene Grauburgunder nun nicht, hat er doch einen unaufdringlichen, zartfruchtigen Geschmack von Erdbeere und Kirsche bei einem durchaus griffigen Mundgefühl. Aber der Name wird mir sicher noch lange in Erinnerung bleiben. Bittersüß wird es dann später am Abend bei einem italienischen Bergamotte-Likör namens Italicus.
Doch zunächst nippen wir an einem Gläschen Prosecco, bevor die ersten Antipasti eintreffen. Bissen für Bissen tauchen wir ein in die Leichtigkeit des Südens und bekommen damit auch einen Vorgeschmack auf den kommenden Sommer. Meine beiden Begleiter sind eher karnivor veranlagt. Sichtlich genießen sie vor allem das zarte Vitello Tonnato. Sie überzeugt nicht nur der fein säuerliche Geschmack, sondern auch die knackige Textur der frittierten Kapernblüten.
Angetan sind wir alle vom Caesar Salad, einem Klassiker unter den Salaten, der dem Italo-Amerikaner Cesare Cardini zugeschrieben wird. Mein Favorit unter den Vorspeisen ist das wunderbar zarte Artischockenherz, veredelt mit Pinienkernen und einer leichtfüßigen Espuma aus Joghurt und Parmesan an hocharomatischem Petersilienöl. Auch Pasta darf bei unseren italienischen Momenten natürlich nicht fehlen: Die hausgemachten, wunderbar cremigen Trüffel-Tagliatelle erobern unser Herz im Sturm. Ich frage mich, ob es wohl auch der köstlichen Küche zu verdanken ist, dass Johann Wolfgang von Goethe damals nicht wie gedacht nur ein paar Monate, sondern fast zwei Jahre lang durch Bella Italia reiste.
Pistazieneis ist wahrer Gaumenschmeichler
Unterdessen dauert auch unsere eigene kulinarische Reise in das Land der blühenden Zitronen ein paar Augenblicke länger. Längst schon fühlen wir uns wie Ceres und all die anderen römischen Göttinnen und Götter, als weitere Köstlichkeiten auf unserem Tisch landen. Zu unseren Hauptgängen zählt zum Beispiel der auf den Punkt gegarte Seeteufel. Zum bissfesten Fisch gibt es ein cremiges Kürbispüree, süß-säuerlich umgarnt von Apfelwürfelchen und knackigen Senfkörnern. Perfekt ausbalanciert, finde ich. Ein weiteres Highlight für die Fleischliebhaber unter uns ist das Rinderfilet mit wildem Brokkoli, Kartoffelpüree und Trüffeln.
Einen süßen Abschluss finden wir zuerst bei einer Portion Tiramisù und danach bei einer Kugel Pistazieneis. Der Klassiker aller italienischen Süßspeisen ist hübsch dekoriert mit Rosenblättern und Beeren. Die geschichtete Cremespeise schmeckt gut, zugleich sind wir drei uns aber auch einig, dass wir das gewisse Etwas vermissen.
Der wahre Gaumenschmeichler unter den Nachspeisen ist hingegen das Pistazieneis. Zwar kommen die kleinen grünen Steinfrüchte wider Erwarten nicht aus dem sizilianischen Bronte, sondern wurden stattdessen aus dem Iran importiert. Dort zählen Pistazien zu den beliebtesten Ingredienzien der persischen Küche. Doch die lange Reise des Sumachgewächses nach Berlin-Charlottenburg hat sich gelohnt. Wir sind sehr angetan von der cremigen Textur und dem intensiv-aromatischen Geschmack der kalten Creme, die wir zum Ausklang des Abends auf unseren Zungen zerschmelzen lassen.
Dann trennen sich unsere Wege. Geschmeidig und mit guten Erinnerungen gehen wir in die Nacht.