Werke von Mendelssohn, Schönberg, Ben-Haim und Avni spielt das Kammerorchester der Großregion demnächst in der Saarbrücker Synagoge. Im Interview stellt Stefan Bone, Künstlerischer Leiter des Orchesters, das Programm vor.
Herr Bone, das nächste Konzert des Kammerorchesters der Großregion (KOG) findet am 13. Mai, am Vorabend des Jahrestags der Staatsgründung Israels, statt. Warum gerade an diesem Datum?
Die Idee, im Rahmen der Konzertsaison 2024 eines unserer Konzerte in Zusammenarbeit mit der Saarbrücker Synagogengemeinde zu veranstalten, kam uns im Frühsommer 2023. Im Mittelpunkt des Programms sollte in jedem Fall ein Werk des israelischen Komponisten und Saarbrücker Ehrenbürgers Tzvi Avni stehen. Als wir uns dann gemeinsam mit der Synagogengemeinde nach einem passenden Zeitfenster umsahen, stand schnell die Idee im Raum, den Jahrestag der Staatsgründung Israels zum Anlass zu nehmen und mit einem Festkonzert zu feiern. Für uns als KOG war das ein besonders schöner Anlass, haben doch auch zwei der Komponisten, die wir vorstellen möchten – Tzvi Avni und sein Lehrer Paul Ben-Haim – den Großteil ihres Lebens in Israel verbracht.
Auf dem Programm stehen auch Werke von Mendelssohn und Schönberg. Was verbindet sie?
Erst einmal verbindet die Komponisten natürlich ihre jüdische Herkunft, auch wenn Felix Mendelssohn im Alter von 16 Jahren protestantisch getauft wurde und den Beinamen Bartholdy erhielt, unter dem er bis heute bekannt ist. Als frühromantischer Klassizist kann man sagen, dass er eine Epoche konsolidierte, wohingegen ja Arnold Schönberg das Tor weit ins 20. Jahrhundert hinein öffnete. Die „Verklärte Nacht“, die wir am Ende des Konzertes in ihrer Fassung für Streichorchester präsentieren werden, kann als Höhepunkt der romantischen Musik bezeichnet werden. Weitestgehend tonal, dennoch avantgardistisch in seinen harmonischen und klanglichen Dimensionen, ist das Werk die logische Fortsetzung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“. Den Zeitraum – weltanschaulich könnte man von der bürgerlichen Epoche des 19. Jahrhunderts sprechen –, den die „Verklärte Nacht“ musikalisch abschließt, haben der junge Mendelssohn und der späte Beethoven eröffnet. Beide vereint außerdem ihr natürlicher Genius, ihr „Wunderkind“-Status.
Der Achse Mendelssohn/Schönberg wird in unserem Konzert die Achse Ben-Haim/Avni gegenübergestellt. Beide standen in einem Lehrer-Schüler-Verhältnis; es eint sie darüber hinaus die Erfahrung der Flucht aus Deutschland nach Palästina in den 1930er-Jahren. Tzvi Avni wurde 1927 in Saarbrücken geboren und gilt als einer der wichtigsten israelischen Komponisten unserer Zeit. Welches seiner Stücke haben Sie für das Konzert in der Synagoge ausgesucht?
Wir werden sein Werk „De Profundis“ zur Aufführung bringen. Komponiert wurde es 1969 und im selben Jahr vom Tel Aviv Streichquartett uraufgeführt. 1972 wurde es dann vom Komponisten selbst für Streichorchester bearbeitet – auf Bitte des israelischen Dirigenten Yuri Aronovich hin, der die Orchesterfassung schließlich mit dem Jerusalem Symphony Orchestra uraufführte. Das Werk basiert auf dem 130. Psalm: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr zu dir: Herr, höre meine Stimme! Wende dein Ohr zu mir, achte auf mein lautes Flehen!“
Der Aufführungsort und die Auswahl der Komponisten könnten als Statement zu den aktuellen Ereignissen in Israel interpretiert werden …
Wie ich oben ausführte, begann die Planung des Synagogenkonzertes bereits vor den Anschlägen vom 7. Oktober. Auf den Schock über diesen brutalen Gewaltakt folgte schnell die traurige Erkenntnis, dass der Antisemitismus in Deutschland nie wirklich verschwunden war, was die zum Teil verstörenden Bilder von Demonstrationen aus Berlin oder auch die antisemitischen Schmähungen, denen sich Jüdinnen und Juden ausgesetzt sehen, beweisen. Alle Komponisten, deren Werke am 13. Mai zur Aufführung kommen, haben auf ihrem Lebensweg Antisemitismus erfahren. Drei von ihnen zwang er zur Emigration aus Deutschland beziehungsweise Österreich. Der Kontext des Konzertes hat sich daher vielleicht weniger stark geändert, als wir uns das alle wünschen würden.
Das Programm ist in jedem Fall ein eher ernstes und darf zum Nachdenken anregen. Wobei ich hier gerne auf den großen amerikanisch-jüdischen Dirigenten, Komponisten und Humanisten Leonard Bernstein verweisen möchte, der sich zeit seines Lebens viele Gedanken zu dem komplexen Verhältnis von Kunst, Kultur und Politik gemacht hat. Er kam zu dem Ergebnis, dass Musik und Kunst den Lauf der Welt – im Sinne von aufeinanderfolgenden historischen Ereignissen – nicht ändern können. Dass sie aber die Menschen ändern können, die Art, wie wir denken, fühlen und letzten Endes auch handeln. Dass die emotionale und intellektuelle Bereicherung, die uns bei dem Lesen eines Buches oder Gedichtes, dem Anhören eines Musikstücks oder dem Betrachten eines Kunstwerks zuteilwird, uns zu friedlicheren, sensibleren und engagierteren Mitgliedern unserer Gesellschaften macht. Dieses Credo mache ich mir gerne zu eigen.
Als Künstlerischer Leiter des Orchesters bestimmen Sie maßgeblich dessen klangliche Identität. Wie klingt das KOG?
Das schönste Kompliment ist, wenn man uns nach einem Konzert sagt, wir hätten so frisch und zupackend geklungen und die Spielfreude hätte sich auch in unseren Gesichtern ablesen lassen. Ansonsten hoffe ich, dass wir mit unserer stilistischen Vielfalt vom Barock bis in die Moderne hinein werkgetreue und emotional tiefgehende Interpretationen der Werke liefern, denen wir uns widmen, und – um noch einmal an Leonard Bernstein zu erinnern – unser Publikum mit beseelter Freude und einem Funken Hoffnung im Herzen auf den Nachhauseweg schicken.