Der 1. FC Union Berlin taumelt weiter dem Relegations-Abstiegsrang entgegen. Gegen den FC Bayern bleiben Bonuspunkte aus, doch nun müssen die Köpenicker liefern. Aber dafür müssen Tore her.
Union Berlin leidet weiter an einer Torallergie. Da ist es schon fast eine Situation zum Hände-überm-Kopf-Zusammenschlagen, dass ausgerechnet einer der besten Stürmer der Clubgeschichte nun in der Kreisliga auflaufen will. Denn Max Kruse soll am 28. April sein Debüt für den BSV Al-Dersimspor aus Berlin-Kreuzberg geben (mehr Infos in unseren Kurzmeldungen, S. 102). „Ein bisschen Kreisliga kicken“ wolle er. Und keiner weiß so gut wie Union Berlin: Wenn Max Kruse mit Spaß bei der Sache ist, so wie er es in seinen zweieinhalb Jahren bei den Köpenickern war, ist er in der Regel auch richtig, richtig gut. Aber bevor Union-Fans von einer Rückkehr träumen: Das aktuelle und sehr akute Sturmproblem wird Kruse nicht mehr lösen. „Nach fünf Minuten bin ich am Arsch“, sagte er selbst über sein Fitness-Level, das ihm schon zu Profizeiten manche Probleme bereitet hatte.
Die Klasse eines Max Kruse fehlt
Fit sind die Union-Stürmer alle – aber die Klasse eines Max Kruse vor dem Tor geht ihnen allesamt ab. Und das ist der zurzeit größte Grund, warum die Abstiegsangst bei den Eisernen vier Spieltage vor Schluss so groß ist. Auch beim 1:5 am vergangenen Wochenende zu Hause gegen den FC Bayern München waren die Offensiv-Bemühungen weitestgehend harmlos, auch wenn nach 387 torlosen Bundesliga-Minuten immerhin mal wieder die Torhymne für Union erklang. Die Social-Media-Abteilung hatte den späten Treffer des eingewechselten Yorbe Vertessen irgendwie geahnt. „In der Nachspielzeit sind sie fällig“, schrieb der Club beim Kurznachrichtendienst X. Kurz darauf fiel auch tatsächlich das 1:5, das aber nichts mehr an der niederschmetternden Niederlage änderte. Vor allem in der zweiten Halbzeit spielte Union wie ein Absteiger, der gegen die Bayern, die mit den Köpfen auch schon beim Champions-League-Knaller gegen Real Madrid gewesen sein dürften, nicht den Hauch einer Chance hatte. „So ein Dämpfer schärft noch mal die Sinne“, meinte der abermals wirkungslose Angreifer Kevin Volland. Er drückt aber auch mächtig auf die Stimmung. Die sei innerhalb des Teams zwar „nicht schlecht“, wie Mittelfeldspieler András Schäfer verriet, „wir stehen immer noch zusammen“. Doch der ungarische Nationalspieler gab auch zu: „Natürlich ist die Stimmung in der Kabine nicht wie letztes Jahr, als wir um die Champions League gekämpft haben.“
Die Leichtigkeit der vergangenen Jahre, in denen die Unioner mit einem nicht für möglich gehaltenen Aufstieg vom Zweitligisten zum Champions-League-Teilnehmer europaweit für Furore sorgten, ist dahin. Der Erfolg der Vergangenheit wirkt wie ein zusätzlicher Ballast. „Es ist sehr viel schwieriger, wenn du im Abstiegskampf bist und nicht um die Champions League spielst. Für manche Spieler ist es nicht so einfach, sich auf diese Situation umzustellen“, sagte Schäfer. Nach dem wahr gewordenen Traum von der Königsklasse sei die aktuelle Situation zwar „kein Albtraum“ für die Spieler, so Schäfer, „aber es kann einer werden. Das wollen wir nicht.“ Aber können sie ihn auch wirklich verhindern?

Nach Trainer Nenad Bjelica, dessen Weckruf nach dem 0:2 beim FC Augsburg zumindest auf dem Rasen wenig Positives bewirkte, schlug nun auch Oliver Ruhnert Alarm. Der Geschäftsführer forderte vor allem an die Adresse der Spieler: „Jetzt müssen alle verstehen, dass es nur um den Verein geht, für ihn alles zu geben und nicht an sich selbst zu denken.“ Angesichts von nur zwei Punkten Vorsprung auf den Abstiegs-Relegationsrang macht sich langsam Panik breit. Im Club hatte zwar kaum jemand wirklich mit etwas Zählbarem gegen die Bayern gerechnet, es wären mehr oder weniger Bonus-Punkte gewesen. Aber jetzt kommt es drauf an. In den noch ausstehenden Spielen gegen Borussia Mönchengladbach, den VfL Bochum, 1. FC Köln und SC Freiburg fordert Ruhnert insgesamt sechs Punkte. „Aus diesen Spielen haben wir in der Hinrunde zwei Siege geholt. Mindestens das sollten wir erneut anstreben.“
Doch dafür müssen Tore her – und das ist seit Wochen das große Manko der Rot-Weißen. Bjelica versucht zumindest nach außen, den Optimismus zu bewahren. „Ich bin der Letzte, der aufgibt“, sagte der Kroate: „Ich habe volles Vertrauen in unsere Stürmer und Mittelfeldspieler, die auch torgefährlicher sein können. Wir sind als Mannschaft nicht effektiv genug.“ Es ist auffällig, dass er versucht, den viel kritisierten Angreifern den Rücken zu stärken. Vertessen (23), Benedict Hollerbach (22 Jahre) und Mikkel Kaufmann (23) zum Beispiel seien „alles junge Leute, die vielleicht noch etwas Zeit brauchen“, erklärte der Coach, „wir müssen Geduld mit ihnen haben, weiterarbeiten und sie unterstützen“. Dass in der großen Stürmernot der Winter-Neuzugang Chris Bedia unter Bjelica überhaupt keine Rolle spielt, ist bezeichnend für die in den Vorjahren so hochgelobte Unioner Transferpolitik. Immerhin kostete der Ivorer zwei Millionen Euro, und immerhin hatte er bis zu seinem Wechsel die Torjägerliste der Schweizer Topliga angeführt. Doch Union kann er aktuell nicht helfen. Und so muss der Club weiterhin um jedes Tor hart kämpfen und deswegen bis zum Schluss zittern. Die Lösung? Wille – wie Abwehrspieler Danilho Doekhi sagte: „Manchmal müssen wir noch gieriger sein, um im Sechzehner zu treffen.“ Doch davon war auch gegen die Bayern ganz wenig zu spüren.
„Das ist für mich schon Vergangenheit“
Ein Wiedersehen mit Leroy Sané gab es für Bjelica übrigens nicht. Der Nationalspieler, der sich seit Langem mit Schambeinproblemen plagt, wurde von Bayern-Coach Thomas Tuchel für das kommende Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid geschont. Im Hinspiel hatte sich Bjelica eine Tätlichkeit gegen Sané geleistet, als er dem Münchener bei einer Auseinandersetzung an der Seitenlinie zweimal ins Gesicht gegriffen hatte. Dafür wurde er vom DFB für drei Ligaspiele gesperrt, vom Verein öffentlich verwarnt und in der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt. Doch an den Vorfall denke er nicht mehr zurück, versicherte der Kroate: „Was auf dem Platz passiert ist, ist auf dem Platz geblieben. Das ist für mich schon Vergangenheit.“
Gegen die Bayern kam Paul Jaeckel erneut nicht zum Einsatz, sein letztes von nur fünf Saisonspielen hat der Mittelfeldprofi am 10. Februar bestritten. Bei Union pendelt er meist zwischen Bank- und Tribünenplatz, da verwundert die jüngste Vertragsverlängerung schon ein wenig. „Wir schätzen seinen enormen Leistungswillen und seine Tatkraft, immer im Sinne der Mannschaft zu agieren“, begründete Geschäftsführer Oliver Ruhnert den Schritt zur weiteren Zusammenarbeit. Er freue sich, „dass Paul trotz einer nicht immer einfachen Zeit bei uns und in der aktuellen Situation dennoch weiterhin den gemeinsamen Weg gehen“ wolle. Jaeckel war vor knapp drei Jahren von der SpVgg Greuther Fürth als frisch gebackener U-21-Europameister nach Köpenick gewechselt. Seine Karriere geriet hier aber zuletzt ins Stocken. In 61 Pflichtspielen für Union erzielte er übrigens nur einen Treffer – die Lösung für Unions Torallergie ist Jaeckel also definitiv auch nicht.