Die Verstappen-Festspiele sind eine Machtdemonstration. Die Dominanz der „Bullen“-Aufführungen kann am Sonntag beim Grand Prix von Miami in Florida/USA fortgesetzt werden. Das frühere Weltmeisterteam Mercedes mit Sieggarant und Dauerchampion Lewis Hamilton versinkt dagegen im tristen Mittelfeld.

Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff resigniert. Bereits nach dem vierten des 24 Rennen aufgeblähten Kalenders stand für den Erfolgsmanager fest: „Die Formel-1-Saison 2024 ist schon entschieden. Niemand wird Max (Verstappen, Anm. d. Red.) in diesem Jahr einholen. Sein Auto, der Red Bull, ist spektakulär, und er fährt spektakulär gut. Es geht nur noch darum ‚Best oft the Rest‘ zu werden.“ Diese Lobeshymnen verteilte der „gute Wolf(f)“ nach dem Japan-GP. Das war der dritte Doppelsieg der Bullen, angeführt beim Auftakt in Bahrain, in Saudi-Arabien und Japan vom amtierenden Weltmeister Max Verstappen vor seinem Stallkollegen Sergio Pérez. Nur bei Rennen drei in Australien „strafte“ der Defektteufel den Dauersieger mit einem Ausfall wegen Bremsproblemen. Es war der erste Ausfall des Niederländers nach 43 Rennen, die erste Nichtankunft seit Australien 2022! Überraschungssieger wurde nach einer grandiosen Leistung Carlos Sainz im Ferrari vor Teamkollege Charles Leclerc. Für den Spanier war es der dritte F1-Triumph (nach Silverstone 2022 und Singapur 2023) in seinem 189. Grand Prix und der 86. Doppelerfolg für die Roten aus Maranello.
„Das Auto lief wie auf Schienen“

Aus dem Land des Lächelns zog der F1-Zirkus ins Reich der Mitte. Nach einer vierjährigen (Corona)-Pause sind die Vierradartisten zu ihrer fünften Saisonaufführung nach China zurückgekehrt. Auf dem Shanghai International Circuit hatte Verstappen noch eine Rechnung offen. Seinen letzten weißen Fleck tilgte er mit einem ungefährdetem Start-/Zielsieg, fuhr mit souveräner Leichtigkeit vor Pérez zu seinem Premiere-Triumph an der chinesischen Küste. Für den Ausnahmekönner war es der 58. F1-Sieg im 190. Grand Prix. „Das Auto lief wie auf Schienen. Ich konnte einfach machen, was ich wollte“, beschrieb der 26-jährige Bulle seine Fahrt im Sieger-Interview bei Sky. Nur McLaren-Pilot Lando Norris vereitelte als Zweiter den vierten Red Bull-Doppelerfolg des Jahres. Pérez komplettierter als Dritter das Podium. Der Shanghai-Circuit hat für Red Bull eine besondere Bedeutung: Vor 15 Jahren, am 19. April 2009, bescherte Sebastian Vettel den Bullen die erste Poleposition und den ersten GP-Sieg. Verstappen stockte die Bilanz der (Bullen)Siege auf 117 auf. Mit 110 Punkten führt Verstappen die WM vor seinem mexikanischen Teamkollegen Pérez (85) an. „Ich möchte aber nicht zu viel über den Rest der Saison nachdenken. Ich möchte es Rennen für Rennen angehen, ohne allzu viel auf den aktuellen WM-Zwischenstand zu geben“, so die Vorgehensweise des „strammen Max“. Sein Entdecker, Förderer und Vertrauter, Red Bull-Motorsport-Chefberater Dr. Helmut Marko, sieht die Zurückhaltung seines Zöglings etwas anders. Der Doktor der Rechtswissenschaft treibt der Konkurrenz Sorgenfalten auf die Stirn. „Max fährt bislang fehlerfrei. Da passt alles. Ich glaube, wir können wieder an den WM-Titel denken. Max gehört zu den ganz Großen. Er wird erst 27, da kommt noch einiges“, prophezeite der Österreicher aus Graz im Interview am Sky-Mikro. Passend dazu der Vergleich eines Kollegen, der zu der Erkenntnis kam: „Red Bull und Verstappen passen zusammen wie Black und Decker. Sie zeichnen sich aus durch Stärke, (Durch)-Schlagkraft, Zuverlässigkeit und Präzision.“

Bei solchen Vorhersagen und Vergleichen muss Mercedes-Teamchef Toto Wolff blass werden oder es muss ihm die Zornesröte ins Gesicht treiben. Der bedröppelte Wiener, einst ein Schlawiner, ist ratlos und orientierungslos. Besonders nach den Ergebnissen seiner Piloten in China. Nach einem völlig vermurksten Qualifying ging Hamilton von Startplatz 18 (!) ins Rennen und betrieb mit Platz neun zumindest etwas Schadensbegrenzung. Teamkollege George Russell kam auf Rang sechs ins Ziel. „Diese Plätze entsprechen überhaupt nicht unserem Anspruch“, grantelte der „Ösi“ gegenüber Sky. Eine Teilschuld am China-Debakel schob der „böse Wolf(f)“ auf seinen einstigen Sieggaranten Hamilton. „Wir haben das Auto definitiv falsch hingestellt. Lewis hat eine Entwicklungsrichtung vorgegeben, die war so daneben, dass das Auto nicht um die Kurve gefahren ist.“ China sei bislang das schlechteste Rennen in diesem Jahr gewesen. Einziger Lichtblick war für Hamilton „überraschend Platz zwei im Sprint (hinter Verstappen, Anm. d. Red.) und mit besseren Entscheidungen bei der Abstimmung des Autos“ (im Vergleich zum Rennsonntag, Anm. d. Red.).
Hamilton wartet seit 50 Rennen auf den Sieg

Eigentlich war der Große Preis von China in der Vergangenheit Mercedes-Land. Mit insgesamt sechs Siegen ist Hamilton eindeutiger Rekordsieger (fünfmal für Mercedes, einmal für McLaren). Nico Rosberg bescherte dem 2010 in die Formel 1 zurückgekehrtem Werksteam 2012 den ersten Sieg und 2016 einen weiteren. Doch die Zeiten haben sich seit dem bislang letzten China-GP 2019 geändert. In den ersten fünf Saisonrennen haben die schwarzen Silberpfeile noch keinen einzigen Podestplatz geholt. Das passierte Mercedes zuletzt im Jahr 2011, als man in der kompletten Saison ohne Podium blieb. Der 39-jährige Altstar Hamilton erlebt seinen schlechtesten Saisonstart in 18 Jahren. Dreimal glanzloser, blasser Neunter, einmal Siebter, ein Ausfall – diese Bilanz ergibt 19 WM-Punkte und Platz neun in der Fahrer-WM (Russell WM-Siebter/33 WM-Punkte). Auf seinen 104. Sieg wartet der siebenmalige Champion seit 50 Rennen. Seinen letzten Triumph feierte der Brite am 5. Dezember 2021 in Saudi-Arabien. Gegenüber Servus-TV gesteht der Teamboss Wolff: „Es ist nicht einfach, wenn du eine lange Durststrecke hast, die bei uns jetzt ins dritte Jahr geht.“ In der Marken-WM liegt Mercedes abgeschlagen auf Platz vier mit 52 Punkten hinter seinem Kundenteam McLaren (96), die ebenfalls einen Mercedes-Motor im Rücken haben. Platz zwei belegt Ferrari (151) während Red Bull (195) dieses Ranking unangefochten anführt. So hat sich Toto Wolff die ersten Rennen der neuen Saison sicher nicht vorgestellt. Es kriselt heftig zwischen dem früheren Superstar und der Truppe um Chef Wolff.

„Wenn Kundenteams einem um die Ohren fahren ist das auch das Schlimmste, was einem passieren kann“, hat Sky-Experte Ralf Schumacher fast schon Mitleid mit dem Silberpfeil-Teamchef. Im Sky-Interview nimmt der Ex-F1-Fahrer (180 Grand Prix, sechs Siege)) kein Blatt vor den Mund und spricht Klartext: „Das ist ja eine Katastrophe, was Mercedes im Moment macht. Die wissen ja teilweise gar nicht, was sie tun. Da geht es ein bisschen drunter und drüber und sie sind fast verzweifelt. Es macht zumindest den Eindruck. Im Moment versteht das Team nicht, wie es laufen soll. Und das bei so vielen Experten und bei den tollen Strategien, die Mercedes immer hatte.“ Für Schumacher ist „Wolffs Situation extrem prekär und schwierig. Toto ist grundsätzlich nicht gewohnt, zu verlieren. Das ist ja logisch, er war immer in der Erfolgsspur und hat alle abgehängt. Das ist jetzt eine neue Situation.“ Und diese ist für den früheren Formel 1-Piloten Christian Danner „schon eine Katastrophe, die wir da mitverfolgen dürfen“ stellte der Experte in einer Talkshow beim Red Bull-Haussender ServusTV fest. Der Bayer sieht aktuell auch keine Anzeichen dafür, dass „der Dominator der Vor-Verstappen-Jahre“ es in naher Zukunft aus der Krise schaffen wird. „Er hat ein Technikerteam, ein Ingenieursteam, ein Aeroteam, auf das er sich verlassen muss.“ Zwar sei Wolff als Teamchef für die interne Koordination verantwortlich, aber gemacht wird das Auto nicht vom Teamchef“, so Experte Danner in dem TV-Interview.

Das neue Mercedes-Saisonziel heißt jetzt Platz zwei. Tenor Wolff: „Wir können noch zu McLaren und Ferrari aufschließen und hoffentlich um Platz zwei kämpfen wie im vergangenen Jahr, und da sind wir Zweiter geworden. Aber wenn deine Erwartung darin besteht, irgendwann um Siege und Titel zu fahren, dann kann man sagen, wir befinden uns derzeit im Niemandsland.“
Sainz Topkandidat bei Mercedes
Trotz Pleiten, Pech und Pannen erweist sich ein „geknickter“ Erfolgsmacher Toto Wolff als fairer Sportsmann. Sein Credo: „Man muss anerkennen, dass jemand einfach einen besseren Job macht und damit die Messlatte setzt, die wir irgendwann uns selbst wieder setzen müssen. Und ob wir dieses Jahr Rennen gewinnen oder nicht, diesen Anspruch will ich weiterhin haben.“ Ob Mercedes am Sonntag in Miami (22 Uhr bei Sky), beim ersten von drei (!) US-Rennen (Austin und Las Vegas folgen im Herbst), einen Aufwärtstrend zeigen kann, ist unwahrscheinlich. Bei den bisherigen zwei Grand Prix in Florida (2022, 2023) war Bulle Max Verstappen der Dominator. Perez sorgte im vergangenen Jahr mit Platz zwei für einen Doppelsieg.

Drehen wir schnell eine Runde auf dem Fahrerkarussell. Und das ist in Bewegung. Noch-Ferrari-Pilot Carlos Sainz ist aktuell die heißeste F1-Aktie. Er muss bekanntlich nächstes Jahr sein Cockpit Hamilton überlassen, der zu den Roten abwandert. Und sein Noch-Chef Wolff sucht einen Nachfolger, flirtet mit Verstappen, schmiert ihm Honig um den Mund. Doch Max wird wohl ein Bulle bleiben. Sebastian Vettel soll laut „Bild“ für das frei werdende Mercedes-Cockpit nicht infrage kommen. Alt-Weltmeister Fernando Alonso auch nicht. Der Spanier hat sich für zwei weitere Jahre für Aston Martin entschieden. Sainz könnte Hamilton-Nachfolger werden. Der Spanier aber soll ein Angebot von Audi vorliegen haben, die 2026 in die Formel 1 einsteigen und das Sauber-Team als Werksrennstall übernehmen. Die heiße Aktie Sainz bei Audi? „Dann hätte Toto ein Riesenproblem“, so Schumacher. Der „gute Wolf(f)“ dann ratlos und orientierungslos?