Das Narrativ des Kriegsverhinderers soll die Schwäche der Ampel überdecken
Es läuft nicht gut für die deutsche Wirtschaft. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wächst sie in diesem Jahr gerade mal um 0,2 Prozent – das ist der letzte Platz unter den führenden westlichen Industrienationen (G7). Dazu passen Horror-Nachrichten für den Standort Deutschland. Der Hausgeräte-Hersteller Miele verlagert einen Teil seiner Produktion nach Polen. Die Firma Stihl, Weltmarktführer bei Motorsägen, erwägt den Bau eines Werks im Hochlohnland Schweiz. Begründung: Trotz der hohen Personalausgaben seien die Kosten unter dem Strich geringer als in Deutschland, wo hohe Energiepreise und Steuern auf die Bilanzen drücken.
Hinzu kommt, dass die Rekrutierung von Fachkräften im großen Stil verschlafen wurde. Die Überalterung der Gesellschaft und der Renteneintritt der Baby-Boomer sind so berechenbar wie das nächste Weihnachtsfest – doch die Politik hat alles auf die lange Bank geschoben.
Die Wirtschaft geht mit der Ampelkoalition hart ins Gericht. „Es waren zwei verlorene Jahre – auch wenn manche Weichen schon in der Zeit davor falsch gestellt wurden“, kritisierte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm. Es nützt jedoch wenig, auf die Defizite der Vorgänger-Regierung zu verweisen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gelang es, die Republik 16 Jahre lang mit einer Schein-Stabilität zu sedieren. „Keine Zumutungen – wir regeln das schon“, lautete ihre Devise. Während sich der Mehltau des Stillstandes über das Land legte, wurden Investitionen in die Digitalisierung, die Bahn oder in den Ausbau der Kita-Plätze verschlafen.
Scholz versucht nun, den gigantischen Reformstau mit symbolpolitischen Maßnahmen schönzureden. Doch die milliardenschweren Subventionen für die Ansiedlung von Chip-Fabriken in Magdeburg oder in Dresden können die strukturellen Mängel in der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung nicht überdecken.
Zugegeben: Der Kanzler steckt im Korsett eines rot-gelb-grünen Kabinetts, das sich als zerstrittener Debattier-Club entpuppt hat. Während die FDP eine „Wirtschaftswende“ fordert und Arbeitsverweigerern das Bürgergeld kürzen will, legt sich die SPD als Besitzstandswahrerin sozialpolitischer Leistungen quer. Die Liberalen wiederum verteidigen die Schuldenbremse, die Sozialdemokraten und Grüne lockern wollen.
Scholz weiß, dass er in dieser Konstellation politisch nicht mehr viel reißen kann. Deshalb positioniert er sich bereits heute – vor der Europawahl im Juni, den drei Landtagswahlen in Ostdeutschland im September und der Bundestagswahl in knapp 17 Monaten – mit einem alles überwölbenden Narrativ: Er will als Kriegsverhinderungskanzler der schwächelnden SPD neues Leben einhauchen.
Viele Bundesbürger befürchten, dass sich Russlands brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine auf Deutschland ausweiten könnte. Scholz präsentiert sich als Sicherheitsanker, der in turbulenten Zeiten Maß und Mitte hält. Er baut auf eine Wahl-Zauberformel, die die Menschen beruhigen soll. Der Kanzler hat „Besonnenheit“ zu seinem politischen Markenkern erhoben, der Risiken minimieren soll.
Sein Kernargument: Deutschland liefert der Ukraine nicht die gewünschten Taurus-Marschflugkörper, weil diese eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern haben und damit theoretisch auch Moskau treffen könnten. Zudem seien zur Zielprogrammierung Bundeswehrsoldaten nötig, was Deutschland zur Kriegspartei machen würde.
Die Begründung ist nicht stichhaltig. Die Ukraine hat sich bislang strikt an die Vorgaben gehalten, russisches Territorium nicht mit westlichen Waffen anzugreifen. Zudem verschicken die Amerikaner neuerdings ATACMS-Raketen mit 300 Kilometern Reichweite in die Ukraine, weil sie keine Eskalationsgefahr befürchten. Der Kanzler, der sich lange hinter der Zurückhaltung der USA versteckt hatte, bleibt trotzdem beim Nein zu Taurus.
Scholz vollführt einen äußerst heiklen Balanceakt. Er verspricht den Bundesbürgern einerseits, Deutschland aus dem Krieg herauszuhalten. Andererseits klopft er sich immer wieder auf die Schulter, dass die Bundesrepublik hinter Amerika der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine sei. Es ist der Versuch einer Quadratur des Kreises. Ob sich dieser Kurs bei den Wahlen auszahlt, ist völlig offen.