Er ist einer der erfahrensten Politiker in Europa. 20 Jahre war Jean Asselborn Außenminister Luxemburgs. Heute warnt er einerseits vor einer Zerschlagung der EU. Zugleich setzt er auf eine Zukunft in einem föderalen Europa.
Herr Asselborn, ein paar Wochen vor der Europawahl hat die Jugendstudie für Deutschland gezeigt, dass es bei jungen Menschen verstärkt eine Tendenz zu rechtspopulistischen Einstellungen gibt. Besorgt Sie das?
Ich habe vor Kurzem bei einer Veranstaltung geredet, wo es um die Verantwortung junger Menschen in Sachen Europa ging. Mein Vorschlag war: Ihr habt einen Stimmzettel. Das ist in der Demokratie das Höchste, was man haben kann. Junge Menschen wollen Erasmus behalten, sie wollen frei reisen im Schengen-Raum, das geht nur, wenn Europa weiter besteht. Und wenn ihr die wählt, die Europa kaputtschlagen wollen, dann schadet ihr euch selbst. Das ist doch eine klare Aussage. Es ist schwer zu verstehen, wie es den Menschen in Europa besser gehen soll, wenn man Europa schwächer macht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass heute jemand ernsthaft daran glaubt, dass zum Beispiel Klimaschutz oder Migration, oder Sicherheitsprobleme ein Land ganz allein lösen kann. Sogar Deutschland ist dazu nicht imstande. Deshalb gibt es nur einen Weg: Europa stärken und nicht schwächen.
Die EU hat nach wie vor ein Imageproblem. Warum?
Ich glaube, das liegt auch an der Komplexität, wie Europa funktioniert, und wie das vermittelt wird. Hier in Deutschland sind die Menschen fokussiert darauf, was der Bundeskanzler macht, was die Regierung macht, was die Opposition macht. Das hat man kaum in Europa. Wenn über Europa berichtet wird, ist das immer in einem gewissen Kontext. Jedes Land hat seine Interessen, hat seine Position, und gibt diese Position auch zum Besten: Es kommt vor, dass Minister hervorheben, warum sie europäisch gehandelt haben. Sie sagen vor allem, welchen nationalen Vorteil eine Entscheidung hat, die sie getroffen haben.
Jüngste Umfragen in Mitgliedsstaaten darüber, welche Themen den Menschen bei der Europawahl besonders wichtig sind, haben gezeigt: In einer großen Zahl von Mitgliedsstaaten sind das soziale Fragen. Ein Indiz, dass es um das „soziale Europa“ nicht so gut bestellt ist?
Was das „soziale Europa“ betrifft: Nehmen Sie nur eine Entscheidung, die vor ein paar Tagen getroffen wurde, dass Millionen Menschen, die für (Internet-)Plattformen arbeiten, besser geschützt werden. Das ist doch ein Erfolg für Europa. Aber das nimmt kaum einer zur Kenntnis. Wir müssen wissen, dass in Deutschland, in Luxemburg, in vielen anderen Ländern, leider nicht in allen, das soziale Netz gewachsen ist. Es gibt aber auch Länder in der Europäischen Union, die die Frage nach dem „sozialen Europa“ anders sehen, die eher amerikanisch eingestellt sind. Auch da gilt: Die soziale Dimension wird ja nicht besser, wenn wir Europa kaputtschlagen – ganz im Gegenteil.
Der Blick in die Zukunft klingt bei Ihnen etwas skeptisch …
Mir wurde die Frage schon oft gestellt, wie Europa in 20, 30 Jahren aussieht. Wir müssen immer vor Augen haben: Wir sind eine Gruppierung von 27 Ländern, die eine gewisse hochkarätige Souveränität haben und behalten wollen. Ich kann mir aber vorstellen, wenn wir es hinkriegen, klimaneutral zu werden, dass wir es dann auch hinkriegen müssten, dass Europa ein föderales Europa wird, etwa wie die USA, wo also Deutschland nicht abgeschafft wird, Luxemburg nicht abgeschafft wird, wo wir aber strukturell noch mehr zusammenstehen, wo wir mit unseren Werten zusammenstehen und die verteidigen können. Ich glaube, dass die junge Genration darauf hinarbeitet. Das dauert noch ein, zwei Generationen.