Heike Gauer und ihre Familie betreiben das alte Handwerk der Kunst- und Laborglasbläserei. Dabei ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Auch kleinere Blessuren im Arbeitsalltag gehören dazu.

Einen Teil der Familie sieht Glasapparatebauerin Heike Gauer jeden Tag in ihrer Kunst- und Laborglasbläserei: Neben der Firmeninhaberin selbst sind auch Tochter Tessa Koch und Vater Karl-Heinz Gauer Feuer und Flamme für das alte Handwerk. Gemeinsam arbeitet das Trio am großen Werkstatt-Tisch. Eine Aushilfskraft komplettiert das Drei-Generationen-Team des Püttlinger Unternehmens Gauer Glas. Tessa Koch beschäftigt sich gerade mit einem Übungsstück. Nachdem die Auszubildende den Rohling unter gleichmäßigem Drehen erhitzt hat, zieht sie das Glas in die Länge. Zwischendurch wird das Stück immer wieder zu den Lippen geführt, auch durch das Aufblasen erhält das Gefäß die gewünschte Form. Viele Arbeitsschritte sind nötig, immer wieder misst Koch nach und markiert den nächsten Bereich, der erhitzt werden soll. „Es macht Spaß, aber man braucht Geduld“, erklärt die 20-Jährige. Natürlich funktioniert nicht alles beim ersten Versuch, gerade zu Beginn dauert es lange, bis sich der Erfolg einstellt. Da freut man sich über jedes Lob der Chefin. „Es sieht gut aus“, versichert Mutter Heike Gauer mit Blick auf das Ergebnis. Die Meisterin im Glasapparatebau ist sehr zufrieden mit den Fortschritten, die ihre Tochter macht.
Viele Arbeitsschritte sind nötig
Tessa Koch will den Familienbetrieb eines Tages übernehmen. Bis dahin wird sie sicher noch einige Blessuren davontragen. Kleinere Schnitt- und Brandverletzungen an den Händen sind in dem Job praktisch nicht zu vermeiden. Da man bei der Bearbeitung viel Fingerspitzengefühl braucht, tragen Glasapparatebauer keine Handschuhe. Die benötigen sie im Prinzip auch nicht. „Glas ist ein schlechter Wärmeleiter“, erklärt Heike Gauer. Die Bereiche, die nicht erhitzt werden, kann man problemlos anfassen. Lediglich vor der abstrahlenden Hitze des Feuers sollte man sich in Acht nehmen. Und natürlich vor den Scherben, wenn etwas zu Bruch geht. Die Flamme aus dem Tischbrenner ist nicht nur heiß, sie blendet auch. Deshalb trägt Tessa Koch eine Schutzbrille mit Didymium-Gläsern. Deren Filter absorbiert das helle gelbe Flackern, so behält sie jederzeit den Durchblick.
„Als ich gelernt habe, gab es diese Brillen noch nicht“, erzählt Kochs Großvater Karl-Heinz Gauer. Der heute 84-Jährige arbeitete früher als Glasbläser an der Universität in Saarbrücken. Zuhause hatte er eine kleine Werkstatt. Die Werkzeuge und das Glas dort faszinierten Tochter Heike aber wenig. „Eigentlich wollte ich das nie machen“, erinnert sich die 58-Jährige. Anstatt denselben Beruf wie der Vater zu erlernen, begann sie eine Ausbildung zur Gärtnerin. Obwohl die junge Frau bereits nach einem halben Jahr merkte, dass der Job nichts für sie ist, zog sie die Lehre durch. „Was man beginnt, das macht man auch fertig“, sagte der Vater. Irgendwann entschied sich die Tochter dann doch, in dessen Fußstapfen zu treten. In der Nähe von Limburg an der Lahn machte Heike Gauer ihre Ausbildung zur Glasapparatebauerin. Nach der Lehre zog es sie in die USA, ein Jahr arbeitete die Saarländerin in Kalifornien. Über Aachen und Heidelberg führte der Weg zurück ins Saarland. 1993 wagte sie den Sprung in die Selbstständigkeit und gründete das Unternehmen Gauer Glas.
Von Dekoartikeln über Kerzenhalter bis zu kunstvollen Gläsern und Flaschen reicht das Angebot im Ausstellungsraum. Im Online-Shop gibt es ebenfalls viele Schmuckstücke zu entdecken. Aus einer Flasche grüßt ein rotes Teufelchen die Anhänger des 1. FC Kaiserslautern. Fußball-Fans aus dem Ruhrgebiet greifen vermutlich lieber zu dem Glas mit der Vereinsfahne von Borussia Dortmund. Sonderwünsche werden ebenfalls erfüllt. Sollte ein Kunde eine Flasche in Auftrag geben, die ein Golfspieler mit blonden Haaren, roter Hose und blauem Pulli ziert - kein Problem, Heike Gauer weiß, wie‘s geht. Den Großteil ihres Umsatzes macht die Firmeninhaberin allerdings nicht mit der Glaskunst, sondern mit dem Laborglas, das sie für Forschungsunternehmen und die Industrie produziert. In den Regalen des Lagers liegen viele Röhren mit verschiedenen Längen, Durchmessern und Wandstärken. Kunden aus ganz Europa geben bei ihr Einzelstücke und Kleinserien in Auftrag. Manchmal kommen die Firmenvertreter mit Mustern und Zeichnungen, auf deren Grundlage Gauer neue Glasprodukte entwickeln soll. Dann sind viele Fragen zu Form und Funktion zu klären. Bei den Sonderanfertigungen für die Labore ist Präzisionsarbeit gefragt. Während unseres Besuchs ruft eine Firma an - ihr Logo soll auf Erlenmeyerkolben. Bevor Heike Gauer ein Angebot machen kann, muss das Unternehmen das Logo schicken. Damit sich der Aufwand und die Kosten abschätzen lassen.
Auch Reparaturen gehören zum Leistungsspektrum. Trinkgläser zum Beispiel werden abgeschliffen, bis die kleine Macke am Rand verschwunden ist. Und mit dem Spezialkleber lassen sich Scherben wieder zusammensetzen. Selbst wenn eine Vase oder ein Lampenschirm nicht mehr zu retten ist, so können die Bruchstücke doch noch als Vorlage für eine originalgetreue Neuanfertigung dienen. Ob für den privaten oder den industriellen Gebrauch – Grundvoraussetzung für die Herstellung von Glasprodukten ist immer Hitze. Sie macht den spröden Werkstoff zähflüssig und damit dehn- und formbar. Bei 1.250 Grad erreicht technisches Glas seine Bearbeitungstemperatur. Nach der Fertigstellung werden die Gefäße im Ofen erneut erhitzt, bei 560 Grad entspannt sich das Glas. Wenn die Temperatur nicht passt, besteht die Gefahr, dass das Produkt reißt oder springt. Kleine scharfe Kanten oder Schmutz gefährden den Erfolg ebenfalls. „Unter Umständen hat man dann einige Stunden umsonst gearbeitet“, erläutert die Glasapparatebauerin.
Geschick, Talent und Erfahrung
Neben dem Feuer spielt auch Wasser eine wichtige Rolle. Im Nassraum kühlt es das Glas während des Sägens, Schleifens und Bohrens. Neben umfassendem Wissen braucht ein guter Glasbläser Geschick, Talent, Erfahrung und eine ruhige Hand. „Und ein gutes Vorstellungsvermögen“, betont Heike Gauer. Schon vor dem Start muss man die Arbeitsschritte gedanklich durchgehen und wissen, wie das Ergebnis aussehen soll. Auf der detaillierten Vorlagen-Skizze des Intensivkühlers, den Gauer zurzeit produziert, sind ein Querschnitt und eine Draufsicht zu sehen. Abstände, Längen, Durchmesser und Winkel sind exakt vorgegeben. „Man baut von innen nach außen“, erklärt die Expertin. Etwa 3,5 Stunden benötigt sie für die Herstellung der Apparatur. Herzstück sind zwei gläserne Spiralen. Heike Gauer zeigt, wie sie hergestellt werden. Vorsichtig wickelt sie eine dünne heiße Glasröhre um einen Stab. Die Pressluft, die sie der Flamme beimischt, kühlt das Feuer. Ist die Temperatur zu hoch, zerfließt das Glas wie Honig. Wie schnell die Spirale nach dem Ausschalten des Brenners wohl abkühlt? Nach einigen Minuten berühren wir das Glas - und ziehen die Finger schnell wieder zurück. Heike Gauer hat keine Probleme, die Spirale anzufassen. „Ist doch nur noch handwarm“, sagt die Expertin mit einem Schmunzeln.

Da Glas ein sehr empfindlicher Werkstoff ist, müssen auch erfahrene Profis manchmal Scherben zusammenkehren. Selbst Karl-Heinz Gauer passieren noch kleine Missgeschicke. Eines der Schnapsgläser, die er aus Reststücken formt, zerspringt in viele kleine Teile. „Das passiert, kein Problem“, sagt der Glasbläser. Bei jedem Exemplar drückt er mit einem Grafitstab von außen eine kleine Delle in den Boden. „Was nach innen gebogen ist, geht nicht so schnell kaputt“, weiß der Fachmann. Seine Tochter hat nicht nur ein Händchen fürs Glas, sondern auch für die runde Lederkugel - genauso wie ihre Geschwister. Der Nachbar, ein Mitbegründer des HSV Püttlingen, begeisterte sie für den Handballsport. In ihrer aktiven Zeit hütete Heike Gauer das Tor. Zu den Kolleginnen, mit denen sie in Altenkessel Handball spielte, hält sie bis heute Kontakt. Regelmäßig trifft man sich zum Sport, einmal im Jahr steht ein Ausflug auf dem Programm. Die Handball-Tradition führt Tochter Tessa Koch ebenfalls weiter, sie geht bei der HSG Marpingen-Alsweiler auf Punktejagd. Karl-Heinz Gauer hingegen jagte früher lieber einem kleineren Ball hinterher. Er spielte leidenschaftlich gerne Tischtennis.