Ralph Hasenhüttl stand kurz davor, seine Trainer-Karriere zu beenden. Nun ist er Trainer des VfL Wolfsburg. Und arbeitet mit einem ungewöhnlichen Co-Trainer: seinem eigenen Sohn.
Die Premier League schlaucht doch sehr. Das musste auch Jürgen Klopp erkennen, der am Saisonende nach neun Jahren beim FC Liverpool zurücktritt, weil ihm „die Energie ausgeht“. Ralph Hasenhüttl war nur vier Jahre beim FC Southampton, doch er kann das sicher verstehen. Schon Anfang 2022, mit damals gerade 53, hatte der Österreicher angekündigt, nach Ablauf seines Vertrages bis 2024 möglicherweise die Karriere beenden zu wollen. „Ich werde mir selber auch irgendwann die Frage stellen, und das meine ich mit vollem Ernst, ob ich danach überhaupt noch was machen möchte“, hatte er damals zu Sky gesagt: „Man verzichtet auf sehr viel, und es kostet auch wahnsinnig viel Energie. Ich weiß noch nicht, was danach passiert. Aber es kann auch gut sein, dass ich es dann vielleicht sein lasse.“
Langfristiger Vertrag
Vielleicht lag es an seiner vorzeitigen Beurlaubung im November 2022, dass Hasenhüttl umgedacht hat. Doch obwohl es sicher Angebote gab, übernahm er rund anderthalb Jahre lang keinen Club. Bis im März der VfL Wolfsburg anklopfte. „Ich habe den Hunger wieder verspürt“, sagte der neue Coach bei seiner Vorstellung. Er habe sich „genug erholen dürfen“ und nachts sogar wieder vom Fußball geträumt. Dennoch gab er offen zu: „Ich hätte nicht gedacht, dass das wiederkommt, weil ich damals ziemlich leer war.“
Dennoch habe er bei der Anfrage aus Wolfsburg „nicht lange überlegen müssen“, sagte der frühere Kölner Bundesliga-Stürmer. Er unterschrieb nach Club-Angaben sogar einen „langfristigen Vertrag“, auch wenn die genaue Laufzeit nicht bekannt wurde. „Es war nicht so, dass mir zu Hause langweilig geworden ist. Aber wenn man so lange in dem Geschäft arbeitet als Spieler und danach als Trainer, muss das Wissen wieder auf den Platz“. Und Wolfsburg sei eben „eine sehr gute Möglichkeit, wieder einzusteigen“. Und die Bundesliga sei die Liga, „der ich sehr viel zu verdanken habe, in der ich meine ersten Lorbeeren verdienen durfte, wo ich mir das Wissen angeeignet hatte, um den Sprung in die Premier League zu schaffen“.
Als Profi galt „Hase“, wie ihn viele in diesem Geschäft nennen, zwar als staksiger bis ungelenker Stürmer, doch dafür hatte er eine beachtliche Quote. Brachte es letztlich sogar auf acht Länderspiele und erzielte dabei drei Tore. Nachdem er seine Karriere 2004 bei den Amateuren des FC Bayern beendete, verdiente er sich erste Sporen als Trainer bei der SpVgg Unterhaching. Erst als Coach der A2-Junioren, dann als Interimstrainer und Assistent von Werner „Beinhart“ Lorant. Dessen Nachfolger wurde er im Oktober 2007, wo er bis Februar 2010 blieb.
Für Aufsehen sorgte er dann in zweieinhalb Jahren beim VfR Aalen. Den rettete er erst vor dem Abstieg in die Regionalliga, führte ihn dann fast sensationell erstmalig in die Zweite Liga und hielt dort nicht nur die Klasse. In der Winterpause waren die Aalener Fünfter, am Saisonende Neunter. Aber Hasenhüttl ging freiwillig, zwei Jahre später stieg Aalen in die Dritte Liga ab, kam nie wieder zurück und steht aktuell im unteren Mittelfeld der Regionalliga.
Ähnlich verlief es von 2013 bis 2016 beim FC Ingolstadt. Der war vorher und nachher nie so erfolgreich wie zur Zeit von Ralph Hasenhüttl. Auch den FCI rettete er in der Zweiten Liga zunächst vor dem Abstieg, führte ihn erstmals in die Bundesliga und schaffte dort als Elfter souverän den Klassenerhalt. Auch dort ging er freiwillig, auch dort folgte bald der Abstieg ohne Wiederkehr. Aktuell spielt Ingolstadt in der Dritten Liga.
RB Leipzig stürzte nach Hasenhüttl nicht ab, dennoch war er ein wichtiger Wegbereiter für die heutigen Erfolge. Nach dem noch von Sportchef Ralf Rangnick in Doppelfunktion bewerkstelligten Aufstieg in die Bundesliga übernahm Hasenhüttl, wurde mit dem (sicher nicht normalen) Aufsteiger auf Anhieb Vizemeister und führte ihn so direkt in die Champions League. Auch hier bat er nach zwei Jahren um Vertragsauflösung.
Nirgendwo gescheitert
Und wurde schließlich der erste österreichische Trainer in der englischen Premier League. In seiner Bilanz stehen zwar auch zwei geschichtsträchtige 0:9-Niederlagen daheim gegen Leicester City und bei Manchester United. Doch der Trainer blieb immer im Amt. Und rettete den Club viermal in Folge vor dem Abstieg. Nach seiner Beurlaubung im November 2022 folgte am Saison-ende der Absturz in die Zweite Liga.
Dass solch ein Trainer, der nirgendwo scheiterte und überall Vereinshistorisches schaffte, Angebote kriegen wird, war also klar. Aber eben nicht, ob er eines annehmen wird. In Wolfsburg wollten sie eigentlich Kontinuität vorleben und hielten immer wieder an Niko Kovac fest, obwohl man selbst als Außenstehender spätestens im Winter das Gefühl gewinnen musste, dass der Turnaround nicht mehr gelingen kann. Nach nur zwei Siegen aus den letzten 20 Spielen und bei nur noch sechs Punkten Vorsprung auf den Abstiegsplatz musste Kovac dann eben doch gehen. Und Hasenhüttls Verpflichtung wurde nur Stunden später bekannt gegeben.
Bei seiner Rückkehr in die Bundesliga nach knapp sechs Jahren übernahm dieser also eine höchst verunsicherte Mannschaft. Aber eben auch eine, in der sehr viel mehr steckte als vor seiner Zeit zu sehen war. Europacup, am besten sogar Champions League, so lauten eigentlich die Ambitionen des VfL, der 2009 immerhin als letzter deutscher Club außer dem FC Bayern und Borussia Dortmund Meister war. Der neue Trainer sprach seine hohen Ziele nicht aus, ließ sie aber klar durchblicken. „Ich bin gerne ein Träumer“, sagte er: „Ich habe schon meine Vorstellung, was ich mit der Mannschaft erreichen möchte. Am liebsten ist es mir aber, wenn wir nach dem Erreichen darüber sprechen und nicht schon vorher.“ Ihm sei es „sehr, sehr wichtig, dass man den Jungs nicht sofort den Riesenrucksack umhängt. Lasst uns erst mal eine gewisse Qualität erarbeiten, dann werden wir sehen, wie weit wir kommen.“ Für den 2009er-Meistertrainer Felix Magath ist Hasenhüttl jedenfalls „eine gute und richtige Entscheidung“.
Eine ungewöhnliche Entscheidung traf Hasenhüttl derweil beim Trainer-Stab. Kurioserweise hatte sein Sohn Patrick am Tag der Vorstellung des Vaters in Wolfsburg aus gesundheitlichen Gründen sein Karriere-Ende beim Drittligisten Hallescher FC mit nur 26 Jahren erklärt. Einen Tag später wurde bekannt: Er wird Assistent seines Vaters in Wolfsburg. Niko Kovac hatte wie bei den meisten Stationen seinen Bruder Robert an seiner Seite. Nun wird es also noch ein Stück kurioser.
Der wichtigste Ansprechpartner
In der Pressemitteilung der Verkündung hatte es noch keine Stimme des Vaters gegeben. „Ich weiß natürlich, dass es von außen kritisch beäugt werden könnte. Aber es fühlt sich sehr stimmig an“, sagte er dann anderthalb Wochen später: „Ich bin sehr froh, dass ich diese ungewöhnliche Entscheidung getroffen habe. Für mich war Patrick in meinem Leben der wichtigste Ansprechpartner, was Dinge im Fußball angeht. Es war immer auch sehr kritisch, wir haben uns nach jedem Spiel ausgetauscht, nach jedem Spiel Gedanken gemacht. Er ist taktisch auf einem Stand, auf dem ich in diesem Alter lange noch nicht gewesen bin.“
Dass er erst 26 ist, sei kein Nachteil, sondern in dem Fall ein Vorteil. Nämlich vor allem der Umstand, „dass er noch sehr wie ein Spieler denkt. Wenn man älter wird als Trainer, hat man bei all dem angesammelten Wissen nicht mehr so das Gefühl, was Spieler wirklich wollen und brauchen in manchen Situationen.“
Er selbst habe es zuletzt „sehr genossen“, einfach mal abtauchen zu können, „auch unerkannt durch Straßen gehen zu können, sich in Lokale setzen zu können, ohne dass einen jemand erkennt“, sagte Hasenhüttl senior. So lange schien er raus aus der Bundesliga, die deutsche Öffentlichkeit suchte er in dieser Zeit auch nicht. Das wird sich nun mit dem wöchentlichen Fokus wieder ändern. Hasenhüttl glaubt, dass er so erfolgreich sein kann, dass die Begegnungen mit Fans eher freundlicher Natur sein werden. In England habe er in der „besten Liga der Welt“ unter „besten Bedingungen“ von den „besten Trainern“ gelernt.
Vom RB-Fußball, den viele inhaltlich als das Nonplusultra in Deutschland bewerten, habe er sich aber ein wenig „losgelöst“. Der sei dann doch ein wenig „eindimensional“.