Vielfalt und Verständnis sind für die Pflege unerlässlich. Das sind auch die zentralen Themen des prämierten Projekts „Pflege ist bunt“ des Vereins proud to care. Chantal Ostermann, Vorstandsvorsitzende von p2c, spricht über den kürzlich erhaltenen bpa Zukunftspreis und die aktuellen Entwicklungen in der Pflegebranche.
Frau Ostermann, seit mehreren Jahren kämpfen Sie als Vorstandsvorsitzende des Vereins proud to care (p2c) für bessere Bedingungen in der Pflege. Nun steht bei p2c ein neues Projekt mit dem Namen „Pflege ist bunt“ an. Für wen ist die Kampagne gedacht und welche spezifischen Bedürfnisse und Anliegen werden dabei angesprochen?
Mit dem Projekt „Pflege ist bunt“ richten wir uns an alle Träger auf dem deutschen Pflegemarkt und wenden uns an (künftige) Mitarbeitende und Bewohnende aller Kulturen, Demografien und Orientierungen. Alle Mitarbeitenden sollen durch die Kampagne die gleiche Wertschätzung erfahren – unabhängig von Geschlecht und geschlechtlicher Identität, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung oder Alter. Wir vermitteln die Botschaft „Pflege ist bunt“, um uns klar zu positionieren und zu zeigen, dass jeder Beteiligte im Gesundheitswesen wertvoll ist.
Mit der „proud to care“-Initiative streben wir einen Image-Wandel und mehr Anerkennung sowie Akzeptanz des Pflegeberufs in unserer Gesellschaft an. Gemeinsam kämpfen wir für ein neues Selbstbewusstsein des Pflegeberufs und erwecken Berufsstolz bei den Mitarbeitenden im Gesundheitwesen. Durch die „proud to care – Pflege ist bunt“-Kampagne stärken wir die Zusammenarbeit in der Branche und unter den Mitarbeitenden. Durch die trägerübergreifenden Maßnahmen möchten wir mehr Menschen zu diesem wichtigen Beruf begeistern und somit dem Fachkräftemangel in der Pflegebranche entgegenwirken.
Welche konkreten Aktionen und Maßnahmen sind im Rahmen des Projekts geplant?
„Pflege ist bunt“ startet mit einem Auftakt im Mai 2024. In diesem Monat wird neben dem Tag der Pflege am 12. auch der Diversity Tag am 28. Mai gefeiert. So fallen gleich zwei ereignisreiche Events zusammen, die für proud to care von großer Bedeutung sind. Ab diesem Zeitpunkt übermittelt die Kampagne die Hauptbotschaft „Pflege ist bunt“ mit Slogans wie: „Wir l(i)eben Vielfalt“, „Wir pflegen Vielfalt“, „Pflege ist bunt“ und „Pflege ist vielfältig“. Eine bunte Palette an unterschiedlichsten Marketingmaterialien unterstützt die Kampagne.
Für die Einrichtungen in der Pflege gibt es von proud to care ein Ideenkonzept als Maßnahme. Aus dem Konzept können die Einrichtungen schöpfen, um die Vielfalt in ihrer Einrichtung zur Geltung zu bringen und sich zu positionieren. Teil des Ideenkonzepts ist unter anderem ein proud to care Inspiration Board, welches mit den Mitarbeitern und den Bewohnern durchgeführt werden kann. Durch die Vorgaben können die Einrichtungen mit einfachen Konzepten und Ideen die Botschaft „Pflege ist bunt“ verbreiten, so tragen wir Diversity als Zukunftskompetenz in die Öffentlichkeit und auch in die Unternehmen. Neben dem Ideenkonzept können die Einrichtungen im „proud to care“-Online-Shop eine Tool-Box mit Marketingmaterialien bestellen und damit positiv auf sich aufmerksam machen. Außerdem sind Workshops geplant, bei denen die Teams herausarbeiten und dafür sensibilisiert werden, wie vielfältig wir sind, welche Vorteile Vielfalt bietet und wie wir diese in unseren Residenzen fördern können.
Gibt es Veranstaltungen oder Aktionen, auf die Sie sich besonders freuen und die Sie hervorheben möchten?
Wir freuen uns vor allem auf die vielen internationalen Festlichkeiten in über 120 Residenzen. Die Planung eines Holi Festival, ein Fest der Farben, für Mitarbeiter und Bewohner führt bereits jetzt bei der Planung zu großer Freude aller Beteiligten. Andere Residenzen planen ein Fest der Kulturen mit nationalen Gewändern, Speisen und Präsentation der kulturellen Besonderheiten. Auch der baldig erscheinende Imagefilm spannt uns schon sehr auf die Folter – zu gerne würden wir diesen schon jetzt sehen! Auch die Fotos der zahlreichen Inspiration Boards freuen uns schon jetzt. Im Sommer stehen auch die ersten Christopher-Street-Days an, bei denen wir teilnehmen. Vor uns liegen noch viele schöne Ereignisse und viele leckere, internationale Gerichte, die wir genießen dürfen. Langfristig ist es unser Ziel, all dieses Maßnahmen zu etablieren und die Kampagne „Pflege ist bunt“ mit Freude voranzutreiben.
Wie wichtig das Projekt ist, zeigt sich schon jetzt. Erst kürzlich haben Sie den bpa Zukunftsaward 2024 für „Pflege ist bunt“ gewonnen. Wie hat sich das angefühlt? Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für p2c?
Einfach großartig! Katrin Eschenweck, Josephine Luckas und ich fühlen uns alle drei sehr geehrt, den bpa Zukunftsaward erhalten zu haben. Unter 60 Bewerbern haben wir mit unserem Konzept gewonnen! Die Verleihung des Preises gibt uns die Bestätigung für unser Vorhaben und die Motivation, den Verein proud to care weiterzuentwickeln.
Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren und Organisationen in der Pflegebranche bei der Umsetzung des Projekts?
Die Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren und Organisationen im Gesundheitswesen spielt eine entscheidende Rolle, denn nur gemeinsam können wie die Aufmerksamkeit in die richtige Richtung lenken. Bereits jetzt haben sich über 120 Einrichtungen angeschlossen und setzen mit „Pflege ist bunt“ ein Zeichen. Mit dem bpa Zukunftsaward haben wir bereits eine große Reichweite gewonnen, die gerne mit weiteren Interessenten wachsen darf.
Kurz zum Hintergrund des Projekts: Neben der generellen Unterstützung der Pflegekräfte hat die Kampagne auch eine klare politische Linie und zeigt die Vielfalt in der Pflege. Warum war Ihnen gerade dieser Aspekt so wichtig?
Der Hintergrund des Projekts stützt sich nicht zuletzt auf die aktuellen besorgniserregenden politischen Bewegungen in Deutschland. Es ist uns ein großes Anliegen, die Pflege mit ihrer Kultur der Vielfalt noch stärker zu positionieren, denn für rechtsextreme Ideengeber ist kein Platz in unserer Gesellschaft. Als ‚bunter‘ Verein ist es unsere Aufgabe, soziale Verantwortung zu übernehmen und auf die Vielfältigkeit in der Pflege hinzuweisen und diese mit Stolz zu präsentieren. Vielfältigkeit ist eines unserer Markenzeichen und wird gelebt und geliebt in allen Facetten. Wir leben Vielfalt in der sexuellen Orientierung und der nationalen Herkunft, unabhängig von Fähigkeiten oder Erfahrungen.
Allein die Tatsache, dass in den letzten fünf Jahren im Zuge der EU-Freizügigkeit in Deutschland die Anzahl der Pflegekräfte aus dem Ausland laut den Angaben der Agentur für Arbeit von 25.000 auf 91.000 gestiegen ist, ist ein positives Statement für die Pflegebranche. Gemeinsam mit den internationalen Kräften ist die Pflegebranche wertvoller und internationaler als je zuvor. Ohne die massive Unterstützung der internationalen Kräfte würde der Pflegemarkt zusammenbrechen und nur gemeinsam können wir die Herausforderungen in der Pflege und den Fachkräftemangel stemmen. Für Pflegeeinrichtungen ist es ein enormer Zugewinn, aus den Kenntnissen, Persönlichkeiten und kulturellen Gegebenheiten zu schöpfen.
Dem Bedarf zur Veränderung der Wahrnehmung, zur Schaffung von mehr Respekt, Offenheit und Toleranz möchte proud to care mit der Kampagne gerecht werden. Ganz im Sinne von Audre Lorde, einer der einflussreichsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts, die feststellte: „Wir müssen lernen, Unterschiede nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung zu sehen.“
Sie haben bereits auf Herausforderungen in der Pflegebranche hingewiesen. Wie würden Sie den aktuellen Zustand beschreiben und welche konkreten Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach notwendig, um die Pflegesituation nachhaltig zu verbessern?
Wir verzeichnen allgemein einen hohen Fachkräftemangel, insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklungen und dem damit einhergehenden stark steigenden Personalbedarf in der Pflege und das Imageproblem der Pflegeberufe ist nach wie vor präsent. Das müssen wir gemeinsam wieder in ein positives Licht rücken. Die Altenpflege ist ein sehr schöner und vor allem dankbarer Beruf mit optimalen Zukunftsaussichten. Dieses Bild vermitteln wir auch in zahlreichen Veranstaltungen, um gerade jungen Menschen näher zu bringen, dass Pflege Spaß machen kann. Der Beruf Pflegefachmann/-frau zählt inzwischen zu den bestbezahlten Ausbildungsberufen in Deutschland mit einem Ausbildungsgehalt von 1.350 Euro bis 1.550 Euro je nach Lehrjahr während der Ausbildung und Einstiegsgehältern von 3.600 Euro bis 4.000 Euro nach der Ausbildung plus Zulagen. Auch hier setzten wir uns mit proud to care ein, um das Image zu verbessern. Wir, der deutsche Pflegemarkt, zeigen uns in unseren Einrichtungen flexibel und gehen damit auch auf die Generation Z ein. Dies müssen wir in Zukunft noch mehr forcieren, damit wir junge Menschen noch mehr begeistern können, den Beruf auszuwählen, und sie als langfristige Mitarbeiter binden zu können. Und damit das auch geschieht, streben wir als Verein unter anderem die Eindämmung von Leasingkräften an und sorgen für innovative Arbeitszeitmodelle und flexibles Denken, um neue Wege zu gehen. So schaffen wir es, auch auf die Bedürfnisse der neuen Generation einzugehen. In diesem Zusammenhang würden wir uns auch freuen, wenn sich noch mehr Arbeitgeber dem Projekt „Pflege ist bunt“ anschließen würden. Gemeinsam können wir mit der Kampagne eine Dynamik und somit eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit antreiben, die anregt, über die Vielfalt in der Pflege nachzudenken.
Und wie kann die Gesellschaft dazu beitragen, ein tieferes Verständnis für die Bedeutung und Notwendigkeit der Pflege zu fördern und entsprechende Unterstützung zu gewähren?
Zum einen sollten unsere Medien aktiv dazu beitragen, das Bild der Pflegeberufe zu verbessern, indem sie die wichtige und abwechslungsreiche Arbeit der Pflegekräfte würdigen und ihre positiven Erfahrungen darstellen. Dies kann dazu beitragen, ein positives Image der Pflege zu schaffen und die Anerkennung für ihre Arbeit zu erhöhen. Der Beruf ist immer noch sehr belastet von teils falschen Vorstellungen und Vorurteilen, sodass beispielsweise Eltern ihren Kindern von einer Karriere in der Pflege abraten. Hier wünschen wir uns mehr Offenheit, denn die Profession Pflege hat inzwischen einen sehr hohen medizinischen Fokus. Ab 2025 werden im Pflegestudium sogar erweiterte Kompetenzen für die selbstständige Ausübung von Heilkunde vermittelt.
Zum anderen sollten Zugangsvoraussetzungen in den Beruf erleichtert werden beispielsweise für Flüchtlinge, die teils gerne eine Ausbildung in der Pflege absolvieren würden, aber keine Erlaubnis erhalten.
Die Zukunft wird bereits geformt. Welche Rolle spielen innovative Technologien und Digitalisierung in der Pflege und wie können sie dazu beitragen, die Arbeit von Pflegekräften zu erleichtern und die Versorgung zu verbessern?
Innovative Technologien und Digitalisierung spielen eine entscheidende Rolle in der Transformation des Pflegesektors und können maßgeblich dazu beitragen, die Arbeit zu erleichtern und die Versorgung zu verbessern. Wir sind aktuell dabei, die neueste Pflegesoftware bei der Victor’s Group zu implementieren, die neben digitaler Dokumentation, Pflegeplanung, Ablaufplanung, Kommunikation mit Apotheken und Ärzten auch einen KI-gestützten Dienstplan enthält. Diese Tools können die Pflegequalität erhöhen und senken gleichzeitig den administrativen Aufwand für die Pflegenden erheblich, sodass Sie mehr Zeit für die Bewohner gewinnen.
Telemedizin wird ebenso zunehmend bedeutsam, insbesondere für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung in ländlichen Gebieten. In den Bereichen KI und Robotik erwarten wir zukünftig faszinierende Fortschritte. Im März hatten wir die Gelegenheit, beim PerspektivForum des deutschen Präsidialamts als Vertreter des proud to care e.V. in einer Podiumsdiskussion mit den Preisträgern des deutschen Zukunftspreises über KI in der Pflege und Medizin zu sprechen. KI bietet potenziell bedeutende Chancen für die Früherkennung und Diagnostik, die Automatisierung und Personalisierung von Pflegeplänen und Behandlungen sowie die Optimierung von Prozessen. Dies wird auch die Entstehung neuer Berufsbilder in der Pflege fördern und das Tätigkeitsfeld noch attraktiver machen.