Auch die EU reguliert nun die Lieferkette. Mit dem deutschen Gesetz soll es keine Doppelbelastung geben, verspricht Arbeitsminister Hubertus Heil. Unternehmen sehen vor allem die Kosten, doch bringt das Gesetz auch Vorteile.
Mit der Lieferkettenrichtlinie hat die EU nun die Zügel angezogen: für Unternehmen, beheimatet außerhalb und innerhalb der Union. Dem war ein langes Ringen vorausgegangen, in das auch die Berliner Koalition involviert war. Vor allem die FDP stemmte sich vehement gegen die neue Richtlinie. Deutschland muss sie nach Enthaltung während der Abstimmung nun trotzdem umsetzen.
Konkret zielt die Richtlinie darauf ab, die Menschenrechte weltweit zu stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. Sie sollen zudem Berichte erstellen, inwiefern ihr Geschäftsmodell mit dem Ziel vereinbar ist, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Die betroffenen Unternehmen müssen nach Angaben des Parlaments zum Beispiel vertragliche Zusicherungen ihrer Zulieferer einholen. „Auch müssen sie, wenn nötig, kleine und mittlere Unternehmen, mit denen sie Geschäfte machen, unterstützen, damit diese den neuen Verpflichtungen nachkommen können“, so die Mitteilung.
Mehrkosten und Bürokratie befürchtet
Die deutsche Wirtschaft ist von der erneuten Lieferkettenrichtlinie – nachdem Deutschland bereits seinerseits ein Lieferkettengesetz beschlossen hatte – wenig begeistert. Sie sieht vor allem mehr Bürokratie und Dokumentationspflichten auf sich zukommen. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht das Vorhaben trotz einiger Abschwächungen kritisch. Diese seien aus Sicht der Wirtschaft zwar positiv zu bewerten. Aber „auch leicht abgespeckt bleibt die EU-Lieferkettenrichtlinie wenig praxistauglich und wird viel Bürokratie mit sich bringen“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Rechtsunsicherheit bestehe weiter. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hingegen hatte sich eindringlich für das Vorhaben ausgesprochen. Deutschland würde ohne eine EU-Version des Gesetzes einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden erleiden, sagte er. In einer Kolumne für die „Zeit“ schrieb Fratzscher, beim Markenkern „made in Germany“ ging es nie um billige Preise, sondern um Qualität und Zuverlässigkeit. Erfüllen sie nun auch hohe ethische und klimaschutztechnische Standards, zahle sich dies für die Markenreputation aus.

Ursprünglich sah ein Kompromiss von Unterhändlern der EU-Staaten und des Europaparlaments vor, dass Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz von den Vorgaben betroffen sind. Diese Grenze wurde jedoch auf 1000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben, nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren, also bis 2029. Nach drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinken diese Grenzen dann auf 4000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz. Einer der größten Unterschiede zwischen dem deutschen Gesetz und der EU-Richtlinie ist die Haftbarkeit. So ist im deutschen Gesetz ausgeschlossen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind. Die EU-Variante lässt dies zu. Darüber hinaus gilt das deutsche Lieferkettengesetz für Unternehmen mit 1000 oder mehr Mitarbeitenden. In den kommenden fünf Jahren sind von der deutschen Version also mehr Unternehmen betroffen als von der EU-Variante – eine Verschärfung, die für deutsche Unternehmen keine ist, da die betroffenen Firmen ohnehin schon die deutsche Gesetzesvariante seit 1. Januar dieses Jahres umsetzen. Außerdem vereinfacht das EU-Recht das deutsche Lieferkettengesetz etwas, da es vor allem eine Dokumentation der risikobasierten Lieferkette erfordert, das deutsche jedoch alle mittelbaren Lieferanten unabhängig vom Risiko miteinbezieht.
Lieferkette als Markenkern
Um das Gesetz durchzusetzen, muss jetzt jeder EU-Staat eine Aufsichtsbehörde dafür benennen. Sie soll auch Strafen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese sich nicht an die Vorschriften halten. Es können Geldstrafen von bis zu fünf Prozent des weltweiten Nettoumsatzes eines Unternehmens fällig werden. Nach Veröffentlichung hat jeder EU-Staat nun zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in seinen Gesetze-Kanon zu integrieren.
Deutschland hatte sich bei der Abstimmung im Ausschuss der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten enthalten. Dies lag erneut an unterschiedlichen Auffassungen über die Richtlinie innerhalb der Bundesregierung. In diesem Fall hatte die FDP darauf gedrängt, dass Deutschland dem Gesetz nicht zustimmt, aus Sorge vor Bürokratie und rechtlichen Risiken für Unternehmen. Politiker von SPD und Grünen hingegen befürworten das Vorhaben. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte an, dass es keine Doppelbelastung durch das deutsche und das europäische Lieferkettengesetz geben solle. Gesetzgeberisch werde die Ampel dafür sorgen, dass Bürokratie beschränkt werde. Das Bundesentwicklungsministerium teilte mit, es werde Unternehmen bei der Umsetzung des Gesetzes unterstützen. Unter anderem soll es kostenlose Beratung für Firmen geben.
Trotz des heftigen Gegenwindes seitens der FDP und von Wirtschaftsverbänden setzen Unternehmen bereits seit vergangenem Jahr Teile des EU-Lieferkettengesetzes um. Das geht aus einer Umfrage von Inverto hervor, einer Tochter der Boston Consulting Group. Demnach betrachten nur ein Viertel der 680 befragten deutschen und französischen Unternehmen die neue Verordnung als Risiko. Mehr als zwei Drittel betrachten die Verordnung als Chance und haben bereits mit der Umsetzung bestimmter Maßnahmen begonnen. Dazu gehören entsprechende Finanzberichte, optimierte Prozesse zum Identifizieren von Risiken in der Lieferkette und eine Aufstellung von Kriterien, nach denen künftig Lieferanten ausgewählt werden. Ebenfalls zwei Drittel sind sich sicher, dass die Verordnung Kosten verursachen wird, doch gehen die Befragten von moderaten Kosten aus.
Klar ist für die befragten Unternehmen, dass sich das Gesetz auf die eigene Reputation, das Marketing und die Arbeitnehmerrechte auswirken wird. Ein Markenkern, der künftig ein Qualitätssiegel „Made in Europe“ definieren könnte.