Die Horror-Saison 2022/23 ist vergessen: Mit dem zehnten Meistertitel der Clubgeschichte versöhnen die Eisbären Berlin ihre Fans endgültig für den Ausrutscher. Einige müssen nun aber noch eine Extra-Schicht einlegen.
Vielleicht sollte die Deutsche Eishockey Liga darüber nachdenken, den Henkelpokal gegen eine Meisterschale auszutauschen. Die Trophäe wurde bei den Feierlichkeiten der Eisbären Berlin in Mitleidenschaft gezogen – und das nicht zum ersten Mal. Erneut brachen die Henkel ab, so war es den Berlinern auch schon bei einigen der neun Meistertiteln zuvor und den Profis vom entthronten Titelverteidiger Red Bull München im Vorjahr passiert. Der Champion der kommenden Spielzeit 2024/25 wird davon aber nichts merken, der Pokal wird repariert und bekommt die Henkel wieder dran. Und die Eisbären hoffen, dass es zumindest sie sein werden, die die Trophäe als Nächstes demolieren. Denn der Meistertitel 2024 in einer hart umkämpften Finalserie gegen die Fischtown Pinguins aus Bremerhaven hat den Berlinern Hunger auf mehr gemacht. Unmittelbar nach dem Triumph waren alle im Hauptstadtclub aber erst mal froh, die katastrophale Vorsaison mit dem blamablen Verpassen der Play-offs ein Stück weit vergessen gemacht zu haben.
„Wir sind wieder zurück“
„Wir sind wieder zurück. Ich bin unglaublich stolz“, sagte Trainer Serge Aubin: „Stolz auf jeden Einzelnen in einer großartigen Organisation.“ Die Fans feierten den zehnten Meistertitel der Vereinsgeschichte, als hätte es die enttäuschende Spielzeit 2022/23 nicht gegeben. Die Spieler schlossen sich dem an. „Deutscher Meister zu werden, ist nicht selbstverständlich“, sagte Kapitän Kai Wissmann. Entsprechend müsse dies auch zelebriert werden. Die offizielle Meisterfeier der Eisbären mit Spielern, Verantwortlichen, Fans, Partnern und Sponsoren stieg am 1. Mai, dem Tag der Arbeit. Irgendwie passend, denn hinter dem Saisonerfolg steckte auch harte Arbeit – auf und neben dem Eis. Sechs Eisbären müssen nach dem Saisonabschluss in der DEL noch weiter schuften, ehe sie sich in den wohlverdienten Sommerurlaub verabschieden können. Die Spieler Wissmann, Jonas Müller, Tobias Eder, Freddy Tiffels und Leo Pföderl wurden in den Nationalmannschafts-Kader für die WM in Tschechien (von 10. bis 26. Mai) berufen. Und auch Eisbären-Cheftrainer Aubin erhielt einen Anruf von Bundestrainer Harold Kreis: Der Kanadier soll als dessen Assistent beim amtierenden Vizeweltmeister agieren und mithelfen, dass dem DEB-Team erneut eine positive Überraschung gelingt.
„Es ist eine große Ehre für mich, Team Deutschland bei der WM zu unterstützen. Ich werde alles mir Mögliche machen, um meinen Beitrag für eine erfolgreiche Weltmeisterschaft zu leisten“, sagte Aubin. Bundestrainer Kreis erhofft sich von Aubin und dem ebenfalls neu in den Trainer-Stab berufenen Alexander Sulzer „Erfahrung und Expertise, die wir überaus schätzen. Ihre Qualitäten werden unsere Arbeit im Trainerteam weiter bereichern“. Zumindest weiß Aubin, wie man Titel gewinnt: In seinen bislang fünf Jahren in Berlin wurde er dreimal Meister. Und er kennt die Berliner Spieler, die auch in der Nationalmannschaft den Unterschied ausmachen können, sicherlich noch besser als Kreis.

Einer derjenigen, die bei den Eisbären und im DEB-Team vorangehen, ist Leo Pföderl. Und das nicht nur mit einem vorbildlichen Einsatz auf dem Eis. „Jetzt wird gefeiert, bis nächste Woche irgendwann“, sagte der Angreifer schelmisch grinsend nach dem erlösenden vierten Sieg im fünften Finalspiel, den er mit seinem Führungstreffer eingeleitet hatte. 146 Stundenkilometer wurden bei seinem Schlagschuss gemessen. Insgesamt steuerte der Bad Tölzer vier Tore und sieben Vorlagen in der Finalserie gegen Bremerhaven bei und verdiente sich dadurch die Auszeichnung zum Most Valuable Player (MVP) redlich. „Im Finale hat es bei mir ganz gut geklappt, davor haben die anderen getroffen“, sagte Pföderl, der seinen Anteil am Gesamterfolg nicht zu hoch hängen wollte: „Wenn nicht alle dabei sind, gewinnst du auch nicht.“ Doch Trainer Aubin kam nicht umhin, dem Nationalspieler ein Sonderlob auszusprechen: „Er war unglaublich.“ Der 30-jährige Pföderl spielt seit 2019 für die Eisbären, hier hat er die Meistertitel 2021 und 2022 erlebt, genauso wie den unerklärlichen Einbruch 2023. Dass der Triumph in dieser Saison deshalb etwas höher zu bewerten sei, findet Pföderl aber nicht: „So ein Titel ist immer süß, das wird nicht langweilig. Dafür sind wir da, dafür haben wir gerackert.“
Extra-Lob für Leonhard Pföderl
Und zwar nicht nur die Spieler. Auch die sportlich Verantwortlichen – allen voran Sportdirektor Stephane Richer und Trainer Serge Aubin – haben rückblickend betrachtet in den vergangenen Monaten einen herausragenden Job gemacht. Dass Aubin trotz der vergangenen Katastrophensaison weitermachen durfte und ihm mit der Vertragsverlängerung bis 2026 sogar noch der Rücken gestärkt wurde, sei ein Hauptgrund für den diesjährigen Meistertitel gewesen, meint Pföderl: „Das muss man erst mal so machen, das gibt’s im Sport nicht oft.“ Richer sprach von einer inneren Genugtuung ob dieser goldrichtigen Entscheidung: „Wir haben im letzten Jahr nach dem Verpassen der Play-offs in einer sehr schwierigen Situation am Trainer festgehalten und Serge Aubin zahlte alles zurück.“ Aubin verspürte in der Stunde des Triumphs daher vor allem Dankbarkeit. Gegenüber den Clubbossen, den Fans – vor allem aber den Spielern. Die Mission „Wiedergutmachung“ hätten die Profis „von Tag eins an sehr ernst genommen“, verriet der Kanadier. Genau wie er und die Kaderplaner.
Die Unstimmigkeiten im Team wurden im vergangenen Sommer ausgemerzt, die vereinfachte Formel lautete dabei: jung, schnell und möglichst deutsch. Die Neuzugänge wie Kai Wissmann, Tobias Eder, Frederik Tiffels und Jonas Stettmer passten perfekt ins Beuteschema, auch die ausländischen Kufencracks Ty Ronning, Blaine Byron und allen voran Torhüter Jake Hildebrand waren zweifelsohne Verstärkungen. Die Neuzugänge, die mit der Horror-Saison 2022/23 keine Berührungspunkte hatten, und die verbliebenen Eisbären-Profis wuchsen während der langen Saison zu einer Einheit zusammen, die sich von Rückschlägen nicht verunsichern ließ – im Gegenteil: Sie wuchs daran. „Wir haben uns einfach gefunden“, sagte Jonas Müller, der in der Defensive neben Wissmann ein Ankerpunkt war. Und hinter ihnen ließ Goalie Hildebrand gegen Bremerhaven kaum etwas anbrennen. Doch auch in den Spielen davor war der US-Amerikaner der starke Rückhalt für das Team gewesen. „Wenn wir Jake nicht gehabt hätten“, prophezeite Müller, „würden wir nicht hier stehen“.
Wieder auf einen Ausländer und eine starke Nummer eins zu setzen, war eine der Lehren der Vorsaison, als das talentierte, aber noch fehleranfällige Duo Tobias Ancicka/Juho Markkanen als Schwachpunkt ausgemacht wurde. Hildebrand strahlt dagegen eine Ruhe und Souveränität aus, die sich auch auf seine Vorderleute überträgt. „Ich bin 30 Jahre alt und spiele schon seit einer Weile. Dabei habe ich gelernt, was Torhüter erfolgreich macht – und das ist meistens Ruhe“, sagte Hildebrand: „Wenn der Goalie nervös oder unruhig ist, merken die Gegner das. Also versuche ich ruhig zu wirken, damit jeder weiß, dass ich felsenfest im Tor stehe.“ Doch von der Ruhe dürfe man sich nicht täuschen lassen, verriet Angreifer Tobias Eder: „Selbst im Training will er jede Scheibe halten, das zeichnet ihn aus.“