Während in der Schwimmszene über Dopingfälle in China diskutiert wird, schließen die DSV-Athleten ihre Olympia-Qualifikation ab. Isabell Gose beweist ihre Topform, Florian Wellbrock kassiert einen Rückschlag.

Es mutet fast wie ein schlechter Scherz an, dass gerade jetzt, wo der chinesische Schwimmsport wieder einmal einen starken Dopingverdacht auf sich zieht, einer der bekanntesten Dopingsünder des Landes demnächst wieder bei Wettkämpfen seine Bahnen ziehen darf. Die Sperre des dreimaligen Olympiasiegers Sun Yang läuft aus – aber auch nur, weil der Internationale Sportgerichtshof CAS sie nach einem Einspruch reduziert hatte. Ursprünglich sollte der Zwei-Meter-Mann ab 2020 für acht Jahre gesperrt werden, was mit großer Wahrscheinlichkeit sein Karriereende bedeutet hätte. So aber darf sich der Skandalschwimmer sogar noch klitzekleine Hoffnungen auf eine Teilnahme bei Olympia in Paris machen, obwohl das gegen die Nominierungskriterien des nationalen Verbandes sprechen würde. Aber was heißt das schon? Ein Start der großen Reizfigur, die 2019 bei einer unangekündigten Kontrolle seine Blutprobe mit dem Hammer zerstören ließ, auf der größten Sport-Bühne der Welt würde für große Aufregung sorgen. China könnte damit der Sportgemeinschaft, die das Riesenreich aktuell wegen nicht geahndeter Dopingfälle scharf kritisiert, eins auswischen. So oder so: Der Verdacht schwimmt ab sofort bei den chinesischen Athleten wieder mit.
Der Verdacht schwimmt mit
Konkret geht es darum: 23 Spitzen-Schwimmer und -Schwimmerinnen, von denen 13 später bei Olympia in Tokio starteten, sollen bei einem Landeswettkampf Anfang 2021 positiv auf das Herzmittel Trimetazidin getestet worden sein. Das zumindest geht aus gemeinsamen Recherchen der ARD und der Zeitungen „New York Times“ und „Daily Telegraph“ hervor. Davon hatte die Sportwelt bislang nichts mitbekommen, weil die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA die Ermittlungen eingestellt hatte. Ein „mehrwöchiger Überprüfungsprozess“ habe ergeben, dass den Athleten keine Absicht und auch keine Fahrlässigkeit unterstellt werden könne, lautete die nun öffentlich gemachte Begründung. Die chinesische Anti-Doping-Agentur CHINADA ließ verlauten, dass Verunreinigungen in einer Hotelküche der Grund für die positiven Tests gewesen seien. Diese sollen zu einer Massenkontamination des Essens geführt haben. Angeblich seien in Dunstabzugshauben, Gewürzcontainern und im Abfluss zwei Monate später noch Spuren des Dopingmittels gefunden worden sein.

Melvin Imoudu ärgert sich über die Vorfälle in ChinaAber kann man diesen Beteuerungen wirklich Glauben schenken? Laut CHINADA führte das Ministerium für Öffentliche Sicherheit die Untersuchungen durch. Da ist mindestens mal Skepsis angebracht, und umso unverständlicher ist die Rolle der WADA in dieser Angelegenheit zu bewerten. „Wir sprechen hier von 23 Verdachtsfällen. Wir sprechen von einem verbotenen Dopingmittel und vom Schwimmsport in China, der eine Historie hat“, sagte Präsidiumsmitglied Léa Krüger von der Organisation „Athleten Deutschland“ der ARD: „Da müssen unabhängige Ermittlungen vonseiten der WADA eingeleitet werden.“ Dies scheint nicht der Fall gewesen zu sein – was den Anti-Doping-Kampf weitaus mehr schaden könnte als einige dopende Sportler. Es sei „ein Schlag ins Gesicht aller sauberen Athleten“, sagte Säbelfechterin Krüger, weil das ohnehin brüchige Vertrauen in die Institutionen dadurch weiter beschädigt werde. Deswegen sei bei ihr die Enttäuschung auch so groß. „Wieder ein großer Dopingskandal und wieder Institutionen, die nicht so gehandelt haben, wie sie hätten handeln müssen, um saubere Athleten zu schützen.“
Frust bei den deutschen Athleten
Dass die betroffenen chinesischen Schwimmer und Schwimmerinnen, darunter auch Doppel-Olympiasiegerin Zhang Yufei, entgegen der gängigen Praxis auch nicht vorläufig suspendiert wurden, sorgt ebenfalls für Unverständnis. „Ich finde das schon ganz schön asozial, dass die Sportler trotzdem an den Start gehen durften bei den Spielen oder immer noch starten dürfen“, sagte Ole Braunschweig. Der Athletensprecher der deutschen Schwimmer ist frustriert, denn: „Es gibt ja auch immer noch keine Aussicht, dass sie gesperrt werden in Paris.“ Auch Melvin Imoudu, deutscher Rekordhalter über 50 Meter Brust, meinte: „Solange da noch keine Klärung da ist, sollten diese Sportler erst mal gesperrt werden, so hart das klingt.“ Da dies aber nicht geschehen ist und wohl auch nicht mehr geschehen werde, sei der ganze Fall „ein absoluter Vertrauensbruch“. Zumal er und seine deutschen Teamkollegen immer penibel auf das hochsensible Thema Ernährung achten würden. „Uns wird immer eingebläut: Pass auf, was du zu dir nimmst. Pass auf, was du isst“, sagte Imoudu: „Und da wird das einfach so unter den Tisch fallen gelassen.“ Doch am Ende nützt alles Beschweren nur wenig. Den deutschen Schwimmern bleibt nichts anderes übrig, als auf sich und ihre Leistungen zu schauen. Und die machten bei den nationalen Meisterschaften Ende April in Berlin, die als letzte Olympia-Qualifikation ausgetragen wurden, durchaus Hoffnung auf erfolgreiche Wettkämpfe in Paris. Insgesamt neun Frauen und 15 Männer erfüllten im vorgegebenen Qualifikationszeitraum die Einzelnorm oder empfahlen sich für die Staffeldisziplinen. Die endgültigen Entscheidungen über die Nominierungen – vor allem mit Blick auf die Staffeln – standen bei Redaktionsschluss noch aus.
Klar ist aber, dass Isabel Gose in Paris starten wird – und zwar als eine der größten Medaillenhoffnungen aus deutscher Sicht. Die Magdeburgerin konnte sehr zufrieden sein mit ihren DM-Rennen über 200, 400, 800 und 1500 Meter Freistil, die sie allesamt gewann, manche gar in persönlicher Bestzeit. In allen vier Disziplinen könnte die 800-Meter-Vizeweltmeisterin in Paris an den Start gehen. Doch um ihre Chancen auf den anderen Strecken zu erhöhen, verzichtet Gose auf die 200 Meter. „Es ist schon immer mein großer Traum gewesen“, sagte die 21-Jährige über das Medaillen-Ziel bei Olympischen Spielen: „Es wäre natürlich schön, wenn ich ihn mir mal erfüllen könnte. Ob es schon in Paris klappt, weiß ich aber nicht.“

Nach ihrem großen Durchbruch bei der WM in Doha Anfang des Jahres mit drei Medaillen in drei Rennen habe sie ein wenig Zeit zum Durchschnaufen gebraucht. „Ich war danach schon ein bisschen matsch. Es war viel zu verarbeiten“, gab sie zu. Doch mittlerweile ist Isabel Gose wieder im Angriffsmodus.
So war von großer Freude nach ihrem deutschen Meistertitel über 1500 Meter Freistil in persönlicher Bestzeit (15:52,02 Minuten) wenig zu spüren, obwohl Gose damit Platz drei in der Weltjahresbestenliste einnahm. „Das ist eine schöne Bestzeit. Ich kann aber mehr“, sagte sie energisch: „Ich zeige im Training, dass ich auf den längeren Distanzen mehr draufhabe und ich muss mich da Schritt für Schritt nach vorne kämpfen.“ Genau diese Einstellung sei notwendig, „um wirklich in der Weltklasse anzukommen“.
Florian Wellbrock wird anfälliger
In diese Kategorie ist Florian Wellbrock seit Jahren einzuordnen, auch wenn die WM in Doha zu einem Rückschlag für ihn geriet. Zwar sicherte er sich zum Abschluss der Titelkämpfe auf seiner Paradestrecke 1500 Meter Freistil Silber, doch das konnte die vorangegangenen medaillenlosen Auftritte im Freiwasser und im Becken über 800 Meter nur bedingt kompensieren. Bei den nationalen Meisterschaften setzte es für den 10-Kilometer-Olympiasieger den nächsten Dämpfer: Beim Versuch, sich auch über die 800-Meter-Strecke für Paris zu qualifizieren, scheiterte der Magdeburger. „Die Enttäuschung ist schon sehr groß. Ich habe gemerkt, dass ich hinten raus gut mobilisieren konnte. Das Tempo auf der Strecke war viel zu langsam“, sagte der 26-Jährige: „Ich kann mir das nicht erklären. Das spiegelt nicht das wider, was ich im Training gemacht habe.“ Weil der DM-Zweite Oliver Klemet im Qualifikationszeitraum die schnellere Zeit geschwommen war, darf er neben dem WM-Vierten Sven Schwarz in Paris über die 800 Meter starten. Wellbrock kann sich dagegen im Becken komplett auf die 1500 Meter konzentrieren, über die er sich 2019 zum Weltmeister gekürt hatte. Auch im olympischen 10-Kilometer-Rennen in der Seine wird Wellbrock zu den Top-Favoriten zählen. Wenn ihn nicht wieder etwas aus der Bahn wirft.
„Die Geschwindigkeit ist gut, wir müssen jetzt noch ein bisschen an der Sicherheit arbeiten“, verriet sein Heimtrainer Bernd Berkhahn, „damit das nicht immer so wackelig wird“.
Denn erstaunlicherweise scheint Wellbrock mit zunehmendem Alter in den Rennen nicht souveräner zu werden, sondern anfälliger für Rückschläge. Drama gehört bei ihm mittlerweile fast immer dazu, dabei entspricht das gar nicht seinem Naturell. „Eigentlich muss ich das nicht haben, aber scheinbar lässt sich das irgendwie nicht vermeiden“, sagte Wellbrock der Zeitung „Die Welt“.

Er versuche, das Positive aus diesen Hochs und Tiefs herauszufiltern. „Rückblickend finde ich es aber immer interessant zu sehen, wie nah Frust und Freude beieinanderliegen können. Es gehört ja auch zum Sport dazu“, sagte er: „Jeder Athlet ist mal auf die Nase gefallen – und das ist wahrscheinlich auch gut so.“
Und Wellbrock hat oft genug bewiesen, dass ihn Nackenschläge nicht ausknocken, sondern stärker machen können – zuletzt auch bei der WM in Doha wieder. „Ich bin überhaupt kein Freund davon zu sagen: ‚Heute hat es nicht geklappt, dann wird das morgen auch nichts. Oder: Dann lasse ich das andere besser sein.‘ Vollkommen egal, ob es dabei um Sport oder etwas anderes geht. Morgen ist ein neuer Tag, eine neue Chance“, sagte er. Sein Leitsatz? „Dass Aufgeben niemals eine Option ist – das habe ich sicherlich von meinem Vater gelernt.“
Dieser habe als ambitionierter Hobby-Radfahrer zwar nie Leistungssport betrieben, ihm aber dennoch diese wichtige Lektion vermitteln können: „Aufstehen, richten und weitermachen.“