Wegen des Klimawandels existiert Tuvalu bald nur noch digital
Manchmal arbeite ich als Ghost. Das heißt, ich bin quasi eine körperlose Verfasserin, weil meine Texte nicht unter meinem Namen erscheinen. So schrieb ich auch einst über Tuvalu, diesen Inselstaat im Pazifischen Ozean – bezaubernd und doch traurig schön, weil dem Untergang geweiht.
Alles da und doch bald weg: Menschen, Häuser, Arbeit, wundervolle Natur, ein funktionierendes politisches System. Aber die Temperaturen gehen hoch und Tuvalu unter. Etwa im Jahr 2100 wird Tuvalu nur noch ein Geist seiner selbst sein. Ein Nachklang in den Köpfen. Eine virtuelle Insel im digitalen Kosmos. Ein Ort der Erinnerung für Bewohner, die bereits jetzt ihre Umsiedlung vorbereiten. Mag sein, Richtung Neuseeland.
Denn was vom Geist von Tuvalu nutzbar bleibt, sind der Name und eine Adresse im Weltennetz: tuvalu.tv. Eine schöne Adresse, die bereits jetzt mit Bildern und anderen Inhalten belebt wird. Ein digitaler Zwilling der Trauminsel.
Darauf stehen kann man nicht. Auch nicht in Zeiten, in denen digitale und reale Identitäten ineinander verschwimmen. Versinkt Tuvalu in den Fluten der Klimakrise, versinken die gelebte Kultur seiner Bewohner und die geheime Zuversicht der Menschheit, dass irgendwo eine Trauminsel unerschütterlich darauf wartet, uns jederzeit aus Mühsal und Alltag zu retten. Was bleibt, ist eine virtuelle Existenz im Internet. Tuvalu ist eine Pionierin als erste digitale Nation der Welt, die ihre kulturelle Identität mit ihren Facetten in der digitalen Wolke bewahren will. Die vielen kleinen Eilande des Inselstaates werden zu Bits und Bytes im Worldwide Web.
Doch auch das verändert sich, ist angreifbar, von Fragmentierungen bedroht. Was, wenn die begehrte Domain „.tv“, die dem Inselstaat bislang gutes Einkommen beschert, untergeht, weil es den Staat dahinter nicht mehr gibt? Laufen dann die Verbindungs-Versuche und Netzwerk-Bestrebungen der ehemaligen Bewohner ins Leere, wenn sie sich auf „tuvalu.tv“ treffen wollen? Vorerst hält der Inselstaat daran fest, sich als digitale Nation neu aufzubauen. Dieses Vorhaben ist ein Griff nach einem Rettungsring, an dem sich Tuvalu vor seinem Untergang retten will. Digital und vielleicht auch real?
Denn im digitalen Tuvalu finden sich Aufklärung und Aufrufe, über die Umweltminister der Welt doch noch einen Wandel im Verhalten der Menschen im weltweiten Kontext zu erreichen. Auch die Tuvaluer wissen, dass sie allein den Klimawandel nicht aufhalten können. Selbst wenn sie ihren winzigen, digitalen Fußabdruck auslöschen würden, bevor ihr kulturell reicher Staat versinkt. Doch wenn die Bemühungen nicht zunehmen, die Erderwärmung zu stoppen, wird Tuvalu nicht allein sein. Im Gegenteil, immer mehr bewohnte Gebiete werden vom Klimawandel verschlungen. Die Erhitzung der Meere geht weiter, wie aktuelle Klimawandel-Analysen, beispielsweise die der Universität von Maine, zeigen.
Moderne Formen der Datenverarbeitung benötigen zudem viel Energie. Ob für digitale Zweitexistenzen oder bei der Begleitung des Klimawandels. „Künstliche Intelligenz kann in Bereichen wie der Klimaforschung einen positiven Beitrag leisten. Die Technologie selbst hat aber einen erheblichen CO2-Fußabdruck“, sagte beispielsweise Patrick Gilroy, Referent Künstliche Intelligenz und Bildung beim Tüv-Verband, anlässlich des Safer Internet Day. „Vor allem das Training von KI-Modellen mit großen Datenmengen, aber auch die laufende Nutzung verschlingen erhebliche Energieressourcen.“
Schätzungen aus der Wissenschaft zufolge könnte der Energieverbrauch von Künstlicher Intelligenz bis zum Jahr 2027 auf 85 bis 134 Terawattstunden (TWh) ansteigen. Das würde etwa dem heutigen Stromverbrauch der Niederlande entsprechen. Dem Tüv-Verband zufolge sind diese Berechnungen jedoch unsicher, da bei großen Sprachmodellen noch Angaben zum Energieverbrauch ihrer KI-Systeme fehlten.
Für die Menschen wird es enger. Und auch für die virtuellen Existenzen von Staaten und Lebewesen. Denn selbst die Server für Daten und virtuelles Dasein brauchen für das digitale Überleben festen Boden unter den Rechenzentren.