Bluttests zur sicheren Früherkennung oder Diagnose von Krebs wären eine bahnbrechende medizinische Neuerung. Deshalb arbeitet die Forschung mit Hochdruck daran. Chinesische Wissenschaftler haben jüngst ein Verfahren auf Basis von getrockneten Blutstropfen vorgestellt.
Laut Statistischem Bundesamt ist Krebs in Deutschland hinter Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems trotz gestiegener Heilungschancen noch immer die zweithäufigste Todesursache. 2022 erlagen 231.000 Bundesbürger einem Krebsleiden. Dabei ist der Anteil der Krebstoten an der Gesamtzahl der Verstorbenen in den letzten 20 Jahren zwischen 2002 und 2022 von 25 Prozent auf 22 Prozent zurückgegangen. Bei Krankenhauseinweisungen von 1,4 Millionen Patienten standen 2022 Lungen- und Bronchialkrebs an der Spitze mit zwölf Prozent, gefolgt von Darmkrebs mit zehn Prozent, Brustkrebs mit neun Prozent, Hautkrebs mit acht Prozent und Harnblasenkrebs mit sieben Prozent. Krebs war 2022 der vierthäufigste Grund für einen Klinik-Aufenthalt, acht Prozent aller stationären Therapien waren auf Krebs zurückzuführen. Mehr als die Hälfte der hiesigen Krebspatienten (54 Prozent) gehören der Altersgruppe zwischen 60 und 79 Jahren an. Jeweils weitere 20 Prozent entfallen auf die Gruppe der 40- bis 59-Jährigen sowie Personen über 80 Jahre.
Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) ist fast jede zweite Krebserkrankung in Deutschland vermeidbar. Weil es für eine ganze Reihe von Krebsarten durch diverse Vorkehrungsmaßnahmen wie die Vermeidung von beeinflussbaren Risikofaktoren, gesunde Lebensweise oder Screenings ein hohes Präventionspotenzial gebe. Das liegt beispielsweise bei Gebärmutterhalskrebs laut dem DKFZ bei 100 Prozent, bei Lungenkrebs, Krebs in Rachen und Mundhöhle, Hautkrebs oder Speiseröhrenkrebs bei jeweils 90 Prozent. Je früher eine Krebserkrankung festgestellt wird, desto eher lässt sich diese behandeln oder im besten Fall heilen. Weshalb es hierzulande im Rahmen der gesetzlichen Vorsorge eine Untersuchung auf Darm- und Hautkrebs, Brust- und Gebärmutterhalskrebs sowie Prostatakrebs gibt.
Galleri-Bluttest befindet sich in Testphase
Als sicheres Diagnoseverfahren bei der Früherkennung von Krebs gilt bislang die Entnahme von Gewebe- oder Zellproben mittels einer Biopsie oder Punktion. Doch daneben bemüht sich die Forschung seit einigen Jahren um die Entwicklung von weniger invasiven und mehrmals in kurzen Abständen durchführbaren Bluttests zur Krebsdiagnose. Dabei wird die Ermittlung von Krebsgenen über das Medium Blut auch als Liquid Biopsy bezeichnet. US-Wissenschaftler hatten 2018 den Nachweis erbringen können, dass beim Zerfall von Krebszellen oft tumortypische Proteine oder Bruchstücke von Erbsubstanz ins Blut gelangen können und dass man diese winzigen Schnipsel durch spezifische Bluttests identifizieren konnte. Als besonders vielversprechend gilt derzeit der sogenannte Galleri-Bluttest, der nach biochemischen Markern auf dem Tumor-Erbgut im Blut sucht und dessen Wirksamkeit auf über 50 Krebsarten getestet wird. In Großbritannien läuft derzeit eine groß angelegte Studie mit 140.000 Probanden, in den USA dürfen Ärzte den Galleri-Test schon durchführen. Manche Krebsarten wie der Bauchspeicheldrüsenkrebs sind allerdings bislang durch nicht-invasive Verfahren nur schwer erkennbar. Ein Problem bei Bluttests sind zudem vor allem die nicht gänzlich vermeidbaren falsch-positiven Befunde. Allerdings gibt es auch einige Krebsarten, für die bislang noch gar kein klassisches Screening-Verfahren existiert und für die Liquid Biopsy daher sehr sinnvoll sein kann.
In der klinischen Praxis haben sich Bluttests aber schon beim Überprüfen der Wirksamkeit von Medikamenten bei der Krebsbehandlung bewähren können, vor allem beim Lungenkrebs, für den das Schweizer Unternehmen Roche an einem Bluttest arbeitet. „Anders als Tumor-Gewebeproben lässt sich Blut mehrmals problemlos in kurzen Abständen abnehmen“, so das DKFZ. „So können wir verfolgen, ob und wie lange der Krebs auf das Medikament anspricht. Das ist wichtig, denn Krebszellen entwickeln gegen viele Wirkstoffe rasch Resistenzen.“ Der SWR hatte weitere Forschungen und große Studien als absolut notwendige Voraussetzungen deklariert, bevor die Bluttests eine echte Alternative zu den gängigen Diagnoseverfahren wie Computertomografie, Magnet-Resonanz-Tomografie oder Ultraschall sein könnten. „Bluttests zur Krebsfrüherkennung sind bisher noch nicht so weit erprobt“, so der SWR, „dass ihr langfristiger Nutzen nachgewiesen ist. In bestimmten Fällen können Bluttests auf Krebs jedoch schon heute sinnvoll eingesetzt werden.“ Nach Einschätzung der Deutschen Krebsgesellschaft wären treffsichere Bluttests „eine bahnbrechende Neuerung für die Krebsdiagnose. Mithilfe eines solchen Tests könnte es möglich sein, noch vor Auftreten der Symptome eine Krebserkrankung aufzuspüren. Für die acht Krebsarten Eierstockkrebs, Leberkrebs, Magenkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Speiseröhrenkrebs, Dickdarmkrebs, Lungen- und Brustkrebs wird momentan solch ein Bluttest entwickelt und getestet.“
Nur wenige Tropfen vonnöten
Jüngst haben nun Forscher der chinesischen Shanghai Jiao Tong University unter der Leitung von Ruimin Wang einen verblüffend einfachen und kostengünstigen Bluttest für die Krebsdiagnose entwickelt und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen im Fachmagazin „Nature Sustainability“ veröffentlicht. Vor allem mit Blick auf ärmere Länder, in denen die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung oft nicht ausreichend ist, wo das Geld für komplexe Vorsorgeuntersuchungen häufig fehlt und wo in abgelegenen Regionen nicht einmal die notwendigen Voraussetzungen für gängige Diagnoseverfahren wie eine funktionierende Energieversorgung oder eine moderne medizinische Infrastruktur beispielsweise für die Kühlung, Vakuumierung oder Lagerung von flüssigem Blut und dessen aufwendige Reinigung zur Verfügung stehen. Schätzungen zufolge leben etwa 70 Prozent der Menschen, die weltweit an Krebserkrankungen sterben, in Staaten mit niedrigen oder mittleren Einkommen, was kostspielige Diagnose-Möglichkeiten wie die Computertomografie meist gleichsam ausschließt.
Anders als bei herkömmlichen Bluttest-Verfahren, bei denen mehrere Milliliter flüssigen Bluts in Plastikbehältern zur Verfügung stehen müssen, genügen bei der neuen Diagnose-Methode einige auf Papieruntergrund gesammelte winzige getrocknete Blutstropfen, die nach einem Piks in den Finger gewonnen werden können. Die Blutstropfen können anschließend im Labor mithilfe eines Massenspektrometers auf darin enthaltene Stoffwechselprodukte untersucht und anschließend am Computer mit zuvor hinterlegten Stoffwechselprofilen bestimmter Krebsarten abgeglichen werden. „Unser Ansatz ermöglicht die Diagnose mehrerer Krebsarten innerhalb von Minuten zu erschwinglichen Kosten“, so das Forscherteam. Laut den Wissenschaftlern sind für den Nachweis von Krebsarten wie Magen-, Darm- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs weder organische Lösungsmittel noch Reinigungsschritte nötig, weil die in den getrockneten sogenannten Serumspots enthaltenen Stoffwechselprodukte an anorganische Eisen-Nanopartikel gebunden werden können.
Die neue Technik sei daher leichter anzuwenden, kostengünstiger und zudem auch noch umweltfreundlicher als Verfahren, bei denen flüssige Blutproben überprüft werden. Laut den chinesischen Forschern arbeitet ihre Methode mit „serumäquivalenter Präzision“, ist also in Sachen Zuverlässigkeit auf dem gleichen Level angesiedelt. Sie könne daher überall auf der Welt zur Krebsfrüherkennung angewendet werden. „Der Ansatz ist praktisch und kann ein hohes Maß an diagnostischer Genauigkeit erreichen, selbst wenn er von örtlichem Gesundheitspersonal in ressourcenbeschränkten klinischen Umgebungen durchgeführt wird“, so das Forscher-Team. „Unsere Einschätzung zeigt, dass die diagnostizierten Fälle von Darmkrebs von 84,30 Prozent auf 29,20 Prozent, Magenkrebs von 77,57 Prozent auf 57,22 Prozent und Bauchspeicheldrüsenkrebs von 34,56 Prozent auf 9,30 Prozent sinken könnten – bei einer Gesamtreduzierung im Bereich von 20,35 Prozent bis 55,10 Prozent. Diese Arbeit liefert Einblicke in die Bereitstellung einer nachhaltigen metabolischen Diagnose mit maximalem Gesundheitsgewinn“, so das Resümee der Studie. Laut den Forschern könnten mit ihrem einfachen Bluttest künftig daher bis zu 55 Prozent weniger Krebserkrankungen übersehen werden, wodurch viele Menschen gerettet werden könnten.