Israels Premier müsste Bündnisse schließen, statt die USA zu brüskieren
Es ist ein Lieblingsgedanke von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu: Er sieht sich in einer Schlacht, in der einer gegen alle kämpft – gegen eine Welt, die sich gegen ihn und gegen Israel verschworen hat. „Wenn wir für uns alleine stehen müssen, dann werden wir für uns alleine stehen“, sagt er. Netanjahu ist die zentrale Figur in dem von ihm ersonnenen Heldenepos.
Dieses Heldenepos ist eine Illusion. Die Wahrheit ist: Netanjahu hat nicht nur das Sicherheitsversagen beim bestialischen Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober zu verantworten. Der Premier hat es geschafft, dass die weltweite Solidarität mit Israel in eine weitgehende Isolation des Landes umgeschlagen ist.
Die Kette der Entfremdungen ist lang. 143 Länder haben sich in der Vollversammlung der Vereinten Nationen dafür ausgesprochen, dass der UN-Sicherheitsrat die Aufnahme der Palästinenser „wohlwollend“ prüfe. Aus Frust über die „beispiellose humanitäre Krise“ im Gazastreifen will sich nun auch Ägypten der von Südafrika angestrengten Völkermord-Klage gegen Israel anschließen – das Land am Nil hatte 1979 als erster arabischer Staat Frieden mit Israel geschlossen.
Es sind die täglichen Fernsehbilder, die viele Menschen fassungslos machen: die blindwütige Bombardierung des Gazastreifens, der in Teilen aussieht wie eine unbewohnbare Mondlandschaft. Oder die verzweifelten Geflüchteten, die das israelische Militär von einem Ort zum anderen scheucht. Dass die Hamas-Terroristen Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauchen, ist zutiefst verwerflich. Aber das rechtfertigt nicht die Tötung von mehr als 34.000 Menschen – zumeist Zivilisten – durch israelische Soldaten. Es fehlt die Balance zwischen dem zielgerichteten Kampf gegen die Islamisten und dem Schutz der Zivilbevölkerung.
Politisch höchst unklug ist, dass Netanjahu seinen wichtigsten Verbündeten, Amerika, ein ums andere Mal brüskiert. Er hat gegen den Rat aus Washington die Offensive in der übervollen Stadt Rafah begonnen. Die Hilfslieferungen für die vom Hunger bedrohte Bevölkerung kamen viel zu schleppend. Und: Israels Premier hat noch immer kein Konzept, wie der Gazastreifen nach dem Krieg regiert werden soll. Joe Biden, einer der israelfreundlichsten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten, hält deshalb die Lieferung von 2000-Pfund-Bomben aus Angst vor massiven Kollateralschäden zurück.
Netanjahu bewegt sich in seiner eigenen Propaganda-Wolke. „Wir sind dem Sieg sehr nahe“, schwadroniert er. In Wirklichkeit geht die israelische Armee in Städte wie Gaza-City, legt mehr als die Hälfte der Häuser in Schutt und Asche, zieht sich zurück, während sich die Hamas neu formiert. Anschließend bombardiert sie Gaza-City ein zweites oder drittes Mal.
Es ist ein Kriegs-Fiasko. US-Militärs haben Israel eine andere Linie empfohlen: Statt Wohngebiete mit Luftschlägen und Panzerangriffen zu überziehen, wäre es erfolgversprechender, die Führer und Kämpfer der Hamas mit Spezialkommandos auszuschalten.
Die Planlosigkeit des Gaza-Krieges wurde ausgerechnet von Israels oberstem Militär zumindest indirekt gerügt. „Solange es keinen diplomatischen Prozess gibt, um eine Verwaltung im Gazastreifen aufzubauen, die nicht der Hamas angehört, müssen wir immer wieder Kampagnen an anderen Orten starten, um die Infrastruktur der Hamas zu zerstören“, wird Generalstabschef Herzi Halevi in der „Times of Israel“ zitiert.
Die Kaskade des Krieges lässt Netanjahu nur zwei Alternativen übrig: eine Dauerbesetzung des Küstenstreifens, was Israel überfordern würde. Oder ein Rückzug, was den Landstrich zu einer Art bandenregiertem Somalia machen würde, in dem sich die Hamas sehr wahrscheinlich neu sortieren könnte. Der einzig sinnvolle Weg für eine Befriedung des Gazastreifens und des Westjordanlands wäre eine „Road-Map“ zu einem unabhängigen Palästinenserstaat.
Mit dieser Perspektive könnte Israel arabische Länder wie Ägypten, Jordanien und selbst Saudi-Arabien dafür gewinnen, sich an einer Übergangsregierung in Palästina ohne die Hamas zu beteiligen. Strategischer Nebeneffekt: Die Position des Hamas-Unterstützers Iran wäre geschwächt. Israel müsste Partnerschaften schließen und Bündnisse schmieden. Netanjahu klammert sich hingegen an seinen Kampf einer gegen alle.